Hallo miteinander!
Im letzten Jahr musste ich für die Schule eine mindestens 20-seitige Arbeit über ein beliebiges Thema verfassen. Ich habe mich dafür entschieden, über das Synchronisationswesen in Deutschland zu schreiben, weil ich mich sehr für Filme und Sprachen interessiere. Entstanden ist dabei auch ein etwa 15-minütiges Telefoninterview mit Regina Lemnitz, welche Stars wie Whoopi Goldberg, Kathy Bates, „Roseanne“ oder auch Diane Keaton ihre Stimme leiht. Hier findet ihr eine Mitschrift davon. Das Interview ist zwar eher fürs „breite Publikum“ gedacht, aber vielleicht ist es für den einen oder anderen Synchronspezialisten hier ja dennoch interessant...
Noch ein paar kleine Vorbemerkungen: Das Interview ist in schweizerdeutscher Orthographie abgefasst, da ich in Zürich wohne. Also ohne den Buchstaben „ß“ und vielleicht etwas „exotischen“ Ausdrücken oder Formulierungen. Und manchmal habe ich ein paar Kommentare oder sinnvolle Ergänzungen in Klammern eingefügt.
4. 3. Transkript des Interviews
Daniel Dünner: Ich freue mich sehr, sie heute begrüssen zu dürfen. Guten Tag, Frau Lemnitz!
Regina Lemnitz: Tag, Herr Dünner. Hallo.
Erzählen Sie uns doch, wie sind Sie zum Synchronsprechen gekommen?
Ich war auf der Max Reinhardt-Schauspielschule hier in Berlin, und einer unserer Lehrer hat auch Funk- und Synchronregie gemacht. Damals suchten sie eine Hauptdarstellerin für einen polnischen Film. Ich habe bei einem Probesprechen mitgemacht, weil mein Lehrer meinte „Geh’ doch da mal hin“ – und hab’s halt gewonnen.
Ist es eine anstrengende Arbeit?
Ja, wenn man es ernst nimmt, schon.
Ich habe gelesen, dass in den meisten Studios die Sprecher das Dialogbuch vor den Aufnahmen nie zu Gesicht bekommen...
Neenee. Also, bei ganz grossen Rollen wurde man früher zur Vorführung gebeten, heute wird einem meist eine Kassette geschickt, da kommt das Buch dann mit. Aber bei den meisten Rollen geht man eben ins Studio, wo einem der Film oder die Rolle dann erklärt werden – da sieht man das Drehbuch zum ersten Mal.
Ich stelle mir das ziemlich schwierig vor. Man muss sich dann ja sekundenschnell in die verschiedensten Situationen hinein versetzen.
Ja, das ist ja das Phänomen des Synchronisierens überhaupt. Man braucht eine grosse Reaktionsschnelligkeit, Musikalität und Rhythmusgefühl. Das ist glaube ich das Entscheidende, das Rhythmusgefühl. Dass man den Sprachrhythmus übernehmen kann.
Das stelle ich mir ziemlich anspruchsvoll vor.
Ja, das ist es auch. Deswegen sind wir ja eigentlich auch keine Sprecher, sondern eben Schauspieler. Ein blosser Sprecher, der nur gelernt hat, schön zu sprechen, für Nachrichten oder irgendetwas, der könnte das dann mit Sicherheit doch nicht leisten.
Kann man vom Synchronisieren alleine gut Leben oder empfiehlt sich diese Berufsgattung eher als Nebenverdienst zu einer anderen Arbeit?
Ja, man kann davon leben. Und ich glaube auch, ziemlich gut. Es gibt Kollegen, die davon leben. Für viele und auch für mich ist es aber nur ein Nebenbeigeschäft, ich bin immer Theaterschauspielerin gewesen, und habe das nebenbei gemacht. Erst als sie mein Theater, das Schiller-Theater hier in Berlin, 1993 zugemacht haben, war ich auf dem freien Markt und habe ein bisschen mehr synchronisiert als früher. Und seit ich die Whoopi 1986 bekommen habe, bin ich dann eben auch prominent geworden, und dann kamen die anderen Stimmen dazu: Roseanne, Kathy Bates und Diane Keaton. Für mich kommt aber das Theater an erster Stelle, dann das Fernsehen, und dann erst Synchron. Aber ich mach’ es wahnsinnig gerne, das will ich dazu sagen.
Was war es für ein Gefühl, sich zum ersten Mal selbst im Fernsehen oder im Radio zu hören? Die meisten Leute finden es ja schon seltsam, wenn sie sich selber auf einem Tonband hören...
Ja, man hört sich anders. Sie können das nachprüfen, wenn Sie die Hände vor die Ohren legen – Handflächen nach vorne und beide Hände vor die Ohren – dann hören Sie sich ungefähr so, wie die Stimme wirklich klingt. Damit kann man sich selbst kontrollieren. Das haben wir halt auf der Schauspielschule schon gelernt, und wir haben ja auch viel mit Mikrophonen gearbeitet. Chansons gesungen, und überhaupt viel Mikrophonarbeit. Deswegen war ich auch schon an meine Stimme gewöhnt, wie sie klingt. Aber wenn man’s das erste Mal hört, ist man erstaunt.
Das werde ich mal ausprobieren. Welche Schauspielerin synchronisieren Sie am liebsten? Oder welche war bisher Ihre Lieblingsrolle, die Sie synchronisieren durften?
Das ist schwer zu sagen. Ich weiss es nicht. Ich liebe Whoopi Goldberg, das ist natürlich meine ganz grosse Begegnung gewesen. Aber auch Kathy Bates ist eine so wunderbare Schauspielerin. Auch Diane Keaton, der ich nun gar nicht ähnlich sehe, habe ich gerne gesprochen. Sie macht mir grossen Spass – ich habe acht oder neun Filme mit ihr gesprochen – weil sie so manieriert (gekünstelt, unnatürlich) ist. Sie ist schwer zu sprechen; sie verstottert die Sätze dermassen, das ist nicht einfach. Aber er es ist eben eine Herausforderung. Und Roseanne ist in dem Sinne gar nicht so eine grosse Schauspielerin wie die anderen, aber sie ist eine wunderbare Persönlichkeit, ein Comedian halt. Das hat auch grossen Spass gemacht, vor allen Dingen, weil wir auch einen guten Übersetzer und tolle Texte hatten, das ist ja auch immer entscheidend. Im einzelnen kann ich das gar nicht sagen. Ich freue mich, wenn ein toller Film mit diesen herrlichen Frauen kommt, dann bin ich immer ganz zufrieden.
Bei welcher Rolle oder Schauspielerin war das Synchronisieren bisher stimmlich am anspruchvollsten? Wo mussten Sie sich richtig „reinhängen“, damit’s einigermassen ’rüberkommt?
Naja, am anspruchsvollsten und schwersten ist schon die Whoopi, weil sie einfach dermassen kraftvoll ist. Da braucht man eben viel Power (lacht). Ich weiss, dass einmal in München, als ich nicht konnte, weil ich in Wien war, drei Kolleginnen, glaube ich, an ihr verschliessen worden sind (lacht). Sie kostet Stimmkraft.
Sie machen das ganz hervorragend, muss ich sagen.
Danke, ja. Es macht mir auch irren Spass (lacht).
Da wir gerade bei Whoopi Goldberg sind: Sie haben sie in all ihren Filmen gesprochen, bis auf einen: Ghost – Nachricht von Sam.
Ja, da bin ich krank geworden.
Genau. Und ausgerechnet für diese Rolle hat Whoopi dann einen „Oscar“ gewonnen. Hat Sie das im Nachhinein nicht ein bisschen genervt?
(lacht) Nein, genervt nicht. Das sind ja mehr Scherze, dass man sich dann sozusagen zum Oscar gratuliert. (in Synchronsprecherkreisen) Ich hab’ ja zum Glück dann bald darauf als Kathy Bates einen Oscar gewonnen, für Misery.
Stimmt ja, genau. Daran habe ich gar nicht gedacht.
Also insofern: Nein. Da macht man dann wie gesagt Scherze daraus, dass man sagt: „Ich gratuliere dir zum Oscar“ oder so. Natürlich war ich traurig. Der Film musste einfach damals ’raus und ich war wirklich schwer – schwerer als jetzt – erkältet, die Stimmbänder waren angegriffen; und ich stand jeden Abend auf der Bühne als Rösslwirtin im Weissen Rössl. Und ich musste einfach die Vorstellungen retten, die waren dann eben wichtiger. Da musste ich auf diesen Film verzichten. Ich hab’ zur gleichen Zeit auch Roseanne-Folgen synchronisiert, die konnte man verschieben. Die konnten warten, bis ich wieder gesund war. Aber der Film musste damals eben ganz schnell ’raus, und da musste ich darauf verzichten.
Verständlich. Gab es auch einmal eine Rolle, die Sie ungern gesprochen haben?
Weiss ich nicht, hab’ ich schon überlegt. (Ich habe Frau Lemnitz vor dem Interview einen Fax mit den Fragen geschickt, damit sie sich ein wenig vorbereiten konnte) Ich kann nur sagen: Immer, wenn es schlechte Schauspielerinnen sind, macht es keinen Spass. So etwas kommt ja auch vor: Dass man irgendeine Serie synchronisiert, die von schönen, aber nicht so begabten Frauen gespielt wird. Das macht dann keinen grossen Spass. Auch Whoopi hat Sachen gemacht, die nicht so toll waren. Ich erinnere mich an einen Film, T. Rex hiess der, da hatte man wirklich das Gefühl, sie hat nur ihren Vertrag erfüllen müssen, und hat keinen grossen Spass daran gehabt. Und das hat mir dann entsprechend auch keinen grossen Spass gemacht. Naja, wie gesagt, wenn es ambitionslose oder nicht so tolle Schauspielerinnen sind. Dann versucht man das noch irgendwie mit der Stimme zu verbessern.
Soweit das möglich ist.
Ja, soweit das möglich ist. Aber ich hab’ im Allgemeinen schon tolle Frauen...
Mussten Sie schon einmal einen Satz sagen, der gegen all ihre Prinzipien steht?
Ja, hab’ ich auch überlegt. Weiss ich nicht. Also... Selbst wenn es Sätze sind, die man nicht mag oder so, sind sie ja oft in die Geschichte eingebaut. Aktuelles Beispiel: Der Untergang (Das Interview entstand am 31. Oktober 2004). Wobei ich nicht weiss, ob der Film so sein muss, wie er ist. Ich finde, er hat keine Aussage, das ist genau das Problem. Jedenfalls: Wenn man da einen Nazi spielt und irgendeinen entsprechenden Satz sagt, steht man ja auch nicht unbedingt hinter dem Satz an sich, sondern man spielt die Rolle, die Figur. Und insofern gehört das dann dazu.
Verstellen Sie für Synchronarbeiten oft die Stimme oder hören die Zuschauer Sie „ganz normal“?
Verstellen in dem Sinne nicht, sondern ich schöpfe die Möglichkeiten der Stimme aus, die da sind. Ich bin ja auch ausgebildete Sängerin, ich habe einen Stimmumfang von dreieinhalb Oktaven, das ist schon sehr viel. Das ist so wie ich eben beim Singen in den Sopran oder hinunter in die tiefsten Alttiefen gehe. Bei Whoopi gehe ich natürlich in die tieferen Regionen, die möglich sind. Aber sie geht eben selber auch (macht es vor) ex-trem nach oben.
(lacht) Ja, das stimmt schon.
Und bei Diane Keaton lass’ ich einfach ein bisschen Körper weg, weil sie dünn und schlank ist. Da spricht man dann ein bisschen mit der Kopfstimme, also ohne den ganzen Bauch, der sonst dazu gehört. Aber das ist eben kein Verstellen, sondern ein Ausschöpfen der Möglichkeiten, welche die Stimme hat.
Wie gehen Synchronsprecher damit um, dass sie von der Allgemeinheit kaum beachtet werden?
Ehrlich gesagt, für mich war das nie ein Problem. Ich weiss nicht, ob ich für die Allgemeinheit sprechen kann, aber dadurch, dass ich ja eben hauptsächlich auf der Bühne gestanden habe und auch viel Fernsehen mache, ist das für mich kein Problem. Es werden ja hier in Deutschland in letzter Zeit auch Versuche gemacht, die Synchronsprecher etwas mehr ins Licht zu bringen. Es gibt hier jedes Jahr einen Synchronpreis. Wobei ich aber nicht weiss, ob die – um mal die Amerikaner zu nennen, weil das der grösste Markt ist – ob die das überhaupt wollen, dass wir sozusagen unsere Gesichter vor die Stars drängen. Ich glaube, es soll ja letztlich die Stimme des Stars sein, auch für den Zuschauer, und das ist vielleicht schon irgendwo ganz richtig (dass sie das nicht wollen). Natürlich freut man sich, wenn’s mal einen Abspann gibt, wo die Namen (der Synchronsprecher) genannt werden, aber die Gesichter müssen sich gar nicht unbedingt vor die Stimmen drängen.
Es ist ja eine erstaunliche Tatsache, dass die Synchronsprecher meistens nicht einmal in den Abspännen der Filme erwähnt werden...
Ja, die Erwähnung der Stimmen fände ich schon immer ganz schön. Aber das gibt es ganz, ganz selten.
Meistens ist ja am Schluss noch einfach ein Bild im Abspann. Da steht dann „Deutsche Bearbeitung“ und die entsprechende Synchronfirma, aber wer wen gesprochen hat, sieht man selten.
Wie gesagt, ganz selten. Das wäre von mir aus schon wünschenswert, dass man das machen würde. Aber eben das andere, dass man darunter leidet oder so – überhaupt nicht. Also ich persönlich nicht, und ich glaube auch, wenige Kollegen.
Aber wenn man nicht mal im Abspann erwähnt wird – da könnte man doch fast den Eindruck bekommen, Synchronisieren ist eine etwas undankbare Arbeit. Würden Sie da zustimmen?
Nein. Wir machen ja fast alle nicht nur das eine. Wenn man mit der Stimme arbeitet, macht man eben auch Funk, viele Kollegen machen auch Werbung; es gibt ja für die Stimmarbeit eine Menge Möglichkeiten. Das ist einfach ein Arbeitszweig der Schauspielerei. Nein, als undankbar würde ich das nicht empfinden. Es ist ’ne wirklich schöne Arbeit und durchaus eine grosse Herausforderung, wenn es tolle Schauspieler sind. Und wenn dann die Bücher stimmen – es ist ja auch immer entscheidend, ob der Text gut ist – dann macht das also richtig grossen Spass.
Gut. Dann wäre ich jetzt mit meinen Fragen durch. Ich bedanke mich herzlich für das Interview. Es war mir eine grosse Ehre. Vielen Dank, Frau Lemnitz. Ich wünsche Ihnen eine schöne Zeit...
Bitte, Herr Dünner. Viel Erfolg.
...und auch Ihnen viel Erfolg. Auf Wiederhören!
Gut. Tschüs in die Schweiz.
Greetz,
Daniel