Im Geschichtsunterricht mussten wir immer wieder eine NS-Dokumentation gucken, deren Kommentar von Paul Klinger gesprochen wurde. Weiß jemand genaueres über diese Doku?
Grüße, Fehmi
„Leg ihn um! Leg ihn um!“ (Paul Klinger in DIE BRÜCKE AM KWAI)
Nach über neun Jahren wird ein Minithread wieder zum Leben erweckt. Erwin Leiser war ja sowas wie ein Pionier, was Dokus zur NS-Zeit anbelangt. Da war mal an der Uni ein interessanter Vortrag zum Thema Leiser und da wurde auch über "Mein Kampf" gesprochen. Leiser suchte als Erzähler einen Schauspieler, der einen Bezug zur NS-Zeit hatte-nicht nur altersbedingt. Klinger mit Jahrgang 1907 war von Beginn an alt genug, um die gesamte Zeit zu erfassen. Er war aber auch ein beliebter Star der Ufa (meine Oma und ihre Altersgenossinnen schwärmten sehr für den damals als schön geltenden Mann). Dennoch war Klinger unbelastet, weil er trotz Mitwirkung in auch etwas tendenziösen Filmen doch stets eine Distanz gehalten hatte und nie einer war, der nach dem Krieg die Vergangenheit verklärte. Leiser wollte auch einen Sprecher, dessen Popularität ungebrochen war-und Klinger war zur Entstehungszeit noch immer ein Star. Da manche Schauspieler (Birgel, Rühmann, Fröhlich, Fritsch, usw) für Leiser nicht ganz frei von Vorbelastungen waren, blieben wenige übrig. Klinger war ideal, weil er einen Heldentypus verkörperte, weil er im Film damals auf gute Charaktere fixiert war und ein "Heile Welt"-Image hatte. Darum war Klinger als Sprecher in einer solchen Dokumentation ein großartiger Effekt. Leiser habe sich gut vorbereitet an Klinger gewandt, aber es bedurfte keiner großen Überredungskünste. Wenn ich's richtig im Kopf habe, soll Klinger in etwa gesagt haben: "Das ist eine großartige Sache, das machen wir doch sofort!" Ich finde, dass Klinger diese Aufgabe selbst für heutige Standards sehr gut gemacht hat, denn Dokumentationen zu sprechen klang ja damals oft sehr dramatisch und künstlich.
Ob Wilhelm Borchert hier auch eine Möglichkeit gewesen wäre? Immerhin war dieser Klingers Jahrgang und zwar kein "Star", aber immerhin ein renommierter Theaterschauspieler. Oder hätte ihn Leiser wohl als "nicht frei von Vorbelastungen" empfunden?
Borchert wäre sicher von der Erzählerqualität her passend gewesen und ich glaube, man kann ihn sicher nicht als vorbelasteter bezeichnen, als viele, viele andere. Soviel ich das mitbekam, ging's Leiser wirklich um einen "Star"-und das war Borchert nun mal ausserhalb des Theaters nicht.
(PS: ich bin dir noch einen Eintrag im Paul Klinger-Thread "schuldig", hab ich nicht vergessen!)
Zitat von berti im Beitrag #5Ob Wilhelm Borchert hier auch eine Möglichkeit gewesen wäre? Immerhin war dieser Klingers Jahrgang und zwar kein "Star", aber immerhin ein renommierter Theaterschauspieler. Oder hätte ihn Leiser wohl als "nicht frei von Vorbelastungen" empfunden?
das ist eine rhetorische Frage, oder? Immerhin warst du auch an der Diskussion über Borcherts Vergangenheit nicht unerheblich beteiligt
Ich glaube mal so gefühlsmäßig, daß Erwin Leiser gegen Borchert als Sprecher nichts gehabt hätte.
Aber Borchert war, hart ausgedrückt, für Leisers Bedürfnisse ein "Niemand". Es ging hier offenbar bewußt um jemanden, der als Schauspieler-als FILMSTAR-ein Begriff war und eine Brücke schlagen konnte zwischen Damals und Heute (also dem zeitgenössischen Heute der 50er). Jemand, der ein gutes Filmimage hatte und den das Publikum kannte-einen Sympathieträger. Borchert kannten nicht so viele, den meisten war er nur als Synchronsprecher akustisch ein Begriff. Ausserhalb des Theaters konnte er sich ja als Schauspieler nie großer Bekanntheit erfreuen!
Interessant finde ich übrigens das Detail, daß sich Paul Klinger fehement geweigert haben soll, den Erzähler zu geben in "Das war der deutsche Landser". Dieser sogenannte Dokumentarfilm ist zeithistorisch interessant, aber von erschreckender Naivität, absoluter Reinwaschung der Wehrmacht und Verherrlichung des Krieges. Gesprochen hat das dann Herbert Stass, allerdings in einer eigentümlichen, unnatürlich jovialen Weise-fast so, als hätte er es nur ironisch angehaucht zusammengebracht, diesen pathostriefenden Unsinn zu schwafeln.
Wenn in "Mein Kampf" Paul Klinger am Ende sagt, daß so etwas nie wieder passieren darf, ist das von immenser Wirkung. Ich muß auch jetzt unbedingt den Defa-Film "Ehe im Schatten" erwähnen, der dem Andenken Joachim Gottschalks und seiner Familie gewidmet ist. Ehe Klinger als Schauspieler Wieland (=Gottschalk) den Entschluß fasst, sich mit seiner Frau, die deportiert werden soll, umzubringen-da hat er einen starken Dialog mit Claus Holm, der einen ehemaligen Freund und nunmehrigen Mitarbeiter des Propagandaministeriums darstellt. Da wettert Klinger in einer Intensität gegen die Künstler und ihre Betonung und Beharrung des "unpolitisch seins", daß man Gänsehaut kriegen kann. Kurt Maetzig erzählte mal dazu, daß ihnen der Atem weg blieb über die Überzeugung, die Klinger hier einbrachte und die Grenzen zwischen Filmrolle und Privatmann verschwammen. Er habe danach gesagt, es sei eigentlich zum Schämen, wie sich viele deutsche Künstler gaben und jetzt nichts von allem gewußt haben wollten.