Ich wollte mal etwas zu den Schauspielern schreiben, die Borchert regelmäßig oder sogar als Stammsprecher synchronisiert hat. An erster Stelle kommt er für mich bei Henry Fonda, auf den er auch die zahlenmäßig meisten Einsätze hatte. Schade, dass man erst bei "Die zwölf Geschworenen" auf ihn kam, wobei selbst dort nicht er, sondern (laut Friedrich Schoenfelders Erinnerungen) Curt Ackermann die erste Wahl war! Er hätte sicher schon in einigen früheren Filmen überzeugt. Noch ärgerlicher ist, dass er Fonda zwar kontinuierlich sprach, aber immer mal wieder ausgetauscht wurde. Und von den übrigen konnten mich kaum jemand überzeugen, da die meisten ziemlich daneben waren (Hirthe, Schoenfelder, Marquis, Lukschy, GGH). Besonders dass er nicht in "Am goldenen See" besetzt wurde, wurmt mich ziemlich. Dass Fürbringer nochmal eine Chance erhielt, ist zwar erfreulich, aber trotzdem kein schade. Allenfalls Siegmar Schneider war ganz akzeptabel, aber zwei seiner Einsätze datierten vor den "Geschworenen", weshalb er streng genommen kein "Ersatz" war. Alec Guinness kommt für mich erst danach, da ich bei diesem auch Schneider, Schoenfelder oder sogar Balthoff rollenbezogen akzeptieren kann. An dritter Stelle käme Laurence Olivier, bei dem es noch mehr sind, die ich (zumindest rollenbezogen) gelungen finde: Klinger, Pasetti, Schoenfelder, Schürenberg, Schneider, Ackermann Bei James Mason finde ich ihn in jüngeren oder mittleren Jahren nicht optimal, dafür aber beim Späteren eigentlich am besten. Besser jedenfalls als Schoenfelder und einige, die man in dieser Zeit auch nahm (Engelmann, Ackva, Waitzmann). Allenfalls Holger Hagen funktionierte als Alternative, aber dessen Einsätze waren nicht so häufig. Mit Borchert für Charlton Heston habe ich ziemliche Probleme: Einerseits trifft er die epische Art in Überhelden-Rollen ziemlich gut, andererseits klingt er mir zu alt und auch etwas zu "durchgeistigt" für Hestons meist sehr "zupackenden" Rollen. Interessanter finde ich dafür seine Einsätze auf Burt Lancaster. Im "Urteil von Nürnberg" und "Valdez" war er angesichts des Rollenalters naheliegend, originell dafür in "Mit eisernen Fäusten" und den "gefürchteten Vier", wo Lancaster nicht nur eher jünger wirkte als er war, sondern auch ordinäre Rollen (unrasierter Analphabet bzw. Zoten reißender Frauenheld) spielte. Bei Richard Burton hätte man auf Borchert ohne Weiteres verzichten können (zu alt und genügend Alternativen vorhanden). Auf John Gielgud habe ich ihn noch nicht erlebt, aber da kommt sowieso das Problem ins Spiel, dass ich hier gerne öfter Friedrich Schoenfelder gehört hätte. Für den frühen Richard Widmark war er ganz interessant, obwohl ich hier insgesamt Marquis vorziehen würde. Und dass man Borchert in späteren Jahren hier nicht mehr besetzte, bedaure ich ehrlich gesagt nicht sonderlich; es hätte wahrscheinlich nicht mehr funktioniert.
Borchert war immer am besten, wenn er relativ "frei Schnauze" sprechen durfte. Hing natürlich von den Rollen ab. Neben drögen Monumentalschinken waren ja zum Glück auch diverse Rollen dabei, wo er sich so richtig austoben konnte: "Spiel mir das Lied vom Tod", "Sie möchten Giganten sein" oder auch "Große Lüge Lylah Clare", wo er einen skrupellosen Regisseur - gespielt von Peter Finch - sprach. Und ein frühes Highlight: José Ferrer in "Caine war ihr Schicksal", besonders die zynische Rede am Ende der Verhandlung.
Danke für den Hinweis auf "Spiel mir das Lied vom Tod"! Ich wollte nochmal erwähnen, wie erfreulich es ist, dass er hier auf Fonda belassen wurde und sich (wie später auch in "Sie möchten Giganten sein") herrlich dreckig zeigen konnte.
Zitat von Silenzio im Beitrag #32Borchert war immer am besten, wenn er relativ "frei Schnauze" sprechen durfte. Hing natürlich von den Rollen ab. Neben drögen Monumentalschinken waren ja zum Glück auch diverse Rollen dabei, wo er sich so richtig austoben konnte
Etwas Ähnliches ("jenseits des edlen Images am besten") meinte Stefan auch mal über Holger Hagen. Könntest du auch sagen, auf welchen Schauspielern du ihn (jenseits spezieller Rollen) am passendsten fandest? Dass du mit ihm für Heston (aus ähnlichen Gründen wie ich) nicht viel anfangen kannst, habe ich noch in Erinnerung.
Zitat von berti im Beitrag #33 Könntest du auch sagen, auf welchen Schauspielern du ihn (jenseits spezieller Rollen) am passendsten fandest?
Außer Henry Fonda fällt mir da speziell keiner mehr ein. Beispiele: Bei James Mason-Filmen ab den 60ern vermisse ich einfach viel zu sehr "seinen" Friedrich Joloff, finde Borchert zwar nicht fehlbesetzt, aber doch eher Durchschnitt. Laurence Olivier, dito. Da gibt's einfach 'ne Reihe besserer Alternativen find ich.
Zitat von Silenzio im Beitrag #34Außer Henry Fonda fällt mir da speziell keiner mehr ein. Beispiele: Bei James Mason-Filmen ab den 60ern vermisse ich einfach viel zu sehr "seinen" Friedrich Joloff, finde Borchert zwar nicht fehlbesetzt, aber doch eher Durchschnitt. Laurence Olivier, dito. Da gibt's einfach 'ne Reihe besserer Alternativen find ich.
Und bei Alec Guinness gilt für dich dasselbe wie für Mason und Olivier?
Aber abgesehen von Charlton Heston fandest du Borchert für keinen der Schauspieler, die er regelmäßig sprach, wirklich daneben? Ich persönlich fand ihn wie gesagt bei Richard Burton fehlbesetzt, aber den hat er ja zum Glück gar nicht so oft gesprochen.
Zitat von berti im Beitrag #37Aber abgesehen von Charlton Heston fandest du Borchert für keinen der Schauspieler, die er regelmäßig sprach, wirklich daneben?
So ist es. - Im "längsten Tag" fand ich Borchert übrigens noch recht passend, in "Cleopatra" dafür umso schlimmer.
Zitat von Jayden im Beitrag #25hat jemand nähere Informationen zu Borcherts politischer Haltung während des Dritten Reichs? Online findet nur den Hinweis, dass seine Mitwirkung an Die Mörder sind unter uns in der Außendarstellung (Poster, Erwähnung im Film) reduziert wurde, als herauskam, dass er seine Unbedenklichkeitsbescheinigung nur aufgrund falscher Angaben erhalten hat. Er sei Mitglied in der NSDAP gewesen, aber später als "Mitläufer" eingestuft worden. Während sich Bräutigam zu dem Thema ausschweigt, findet sich auf Peter Hoffmanns Seite sogar der Hinweis, Borchert sei SA-Angehöriger gewesen. Hat jemand detaillierteres Wissen hierüber und gibt es evtl. sogar persönliche Äußerungen Borcherts?
In der kürzlich erschienenen Neuauflage geht Bräutigam auf diesen Punkt (leider ohne Quellenbelege) ein: Demzufolge wurde Wilhelm Borchert kurz nach Drehschluss der "Mörder" wegen falscher Angaben verhaftet, zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, jedoch wegen "Fürsprache von Kollegen (...) nach drei Monaten begnadigt". An gleicher Stelle (S. 64) wird erwähnt, dass ihn bei Kriegsende mehrere "gewaltige Schicksalsschläge" getroffen hätten: "Kurz vor dem Einmarsch der Russen in Berlin hatte ein Onkel in einem Wahnsinnsanfall Borcherts Frau, Sohn, Pflegetochter und sich selbst erschossen. Da auch seine Eltern bei einem Luftangriff ums Leben gekommen waren, stand Borchert plötzlich mutterseelenallein da."
fortinbras
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17.06.2013 12:45
#43 RE: GGH, der König - Wilhelm Borchert, der Kaiser
Ich weiss nicht, wie zielführend solche Angaben immer sind. Man neigt auch heute noch stark dazu, alles in sehr vereinfachter Form zu sehen. Der war ein Nazi und der nicht. Wenn man sich viel mit Zeitgeschichte auseinandersetzt und auch Zeitzeugen zuhört, muss man viele Dinge differenzierter sehen.
Erstmals-viele Leute (einschliesslich der jüdischen Bevölkerung) haben das NS-Regime als wichtige, bedeutende Kraft wahrgenommen, die wieder Arbeit, Ordnung, Nahrung und Selbstwertgefühl gebracht hat. Die Ernüchterung kam später. Borchert kann zu jenen vielen Menschen zählen, die ebenso waren. Dazu äusserte sich Wolfgang Preiss einmal zu sich selbst, wie naiv er war und erst später aufwachte.
Weiters-wenn man an staatlichen Bühnen engagiert war oder in anderen öffentlichen Bereichen, war es nahezu verpflichtend, Mitglied der NSDAP zu sein. Sämtliche Kunstschaffende unterschrieben mit dem Vertrag auch die Parteimitgliedschaft. Es gibt vergleichsweise wenige deutsche Künstler, die sich dem entziehen konnten.
Selbst die Mitgliedschaft einer Gruppe wie der SA muss nicht zwangsläufig auf eine politische Gesinnung zurückführen. Es gab hier genauso Schreibtischabteilungen, usw Allerdings gab es auch genug Schauspieler, die aktiv dabei waren und überzeugt davon waren, dass es richtig war, was da lief. Es gibt auch einen sehr bekannten Synchronsprecher, der zwar die NS-Greuel verabscheute, aber die Ordnung jener Zeit stets vermisste, häufig der Kameradschaft der Kriegsteilnehmer nachtrauerte und regelmäßig politisch sehr rechte Äusserungen machte, dass die heutige Zeit (50er/60er/70er) wieder eine starke Hand bräuchte. In Filmen, die eine starke liberale Prägung hatten, war er auch kaum zu hören. Trotzdem höre ich ihn immer wieder gerne. Namen nenne ich jetzt keinen.
Nach Kriegsende kam es oft darauf an, bei wem die "Entnazifizierung" gemacht wurde. Bei harmlosen Mitläufern konnte sie oft zu langem Berufsverbot führen, während viele wirklich regimefreundliche Künstler problemlos weiterarbeiten durften. Da herrschte manchesmal eine Willkür, die schon auch das Lügen gefördert hat.
Wie auch immer Borcherts Gesinnung war-er war ein wunderbarer Schauspieler und Synchronsprecher. Wenn er Mitläufer war (was wohl am Wahrscheinlichsten ist), dann ermüchterte er wohl. Wenn man sieht, was der Mann auch alles gerade am Theater gespielt hat, dann weicht sich das schon auf. Gut, ein Schauspieler hat seine Rollen zu spielen, frei von Gesinnung. Aber es fällt dennoch auf, wenn jemand einen Hang zu gewissen Stücken hat, die eine Aussage haben.
Borchert wird in Ernst Klees "Das Kulturlexikon zum dritten Reich" biografisch erfasst, aber nur in wenigen Worten. Darin wird die Mitwirkung in zwei Propagandafilmen erwähnt. Allerdings ist das insgesamt ein typischer "Mitläufer-Eintrag". Wer Klee kennt, weiss genau, wie was zu werten ist-er ist einerseits sehr exakt, recherchiert pingelig genau und schreibt mit einem gewissen Zynismus bei Personen, die wirklich regimefreundlich waren. Er erspart keinem was-also ist der knappe, trockene Beitrag im Lexikon wohl eine treffende Aussage.
fortinbras
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17.06.2013 13:54
#44 RE: GGH, der König - Wilhelm Borchert, der Kaiser
Aus Ernst Klee, Kulturlexikon zum dritten Reich. (überarbeitete Ausgabe 2009, Seite 62)
Borchert, Wilhelm * 13. 3. 1907 Berlin. 1934 am Stadttheater Köln, 1938 Volksbühne Berlin. Unter anderem 1941 im antibritischen Film 'Mein Leben für Irland' sowie im Staatsauftragsfilm 'U-Boote westwärts'. 1946 als Zeuge von Nazi-Greueln im DEFA-Film 'Die Mörder sind unter uns'. 1959 Rolle des General Paulus im Stalingradfilm 'Hunde, wollt ihr ewig leben?' 1963 in Berlin Titel 'Staatsschauspieler" (DBJ). + 1. 6. 1990 Berlin. ----------------------------------------
Borchert stand nicht auf der Gottbegnadeten-Liste, zu der etwa 400 Kunstschaffende zählten. Der leider heuer verstorbene Klee ist eine sehr erschöpfende Quelle zu Personen jener Zeit. Hätte Borchert irgendwie "mehr Dreck am Stecken" gehabt, so würde das vermerkt sein. Ernst Klee machte vor keinem Halt. Einer der faszinierendsten Historiker, die's themenbezogen gab.
Danke für das Zitat aus Klees Buch! Ich wollte keineswegs jemanden anklagen. Es ging mir nur darum, auf eine vor ein paar Jahren gestellte Frage zu antworten und zu erwähnen, dass die bei Bräutigam genannten biographischen Angaben von diesem inzwischen leicht erweitert wurden.