Und wieder ein kleiner Beitrag über Synchronsprecher, diesmal in der WELT AM SONNTAG:
http://www.wams.de/data/2005/10/16/789510.html
Wo Mr. Bond auf Roger Rabbit trifft
Ob Cartoons, Filme oder Serien - die meisten erfolgreichen Produktionen werden in der Hauptstadt synchronisiert
von Jessica Schulte am Hülse
Am MonbijouPark in Berlin-Mitte herrscht nachmittags reges Treiben - Mütter unterhalten sich, Kinder spielen, Menschen fast allen Alters genießen die letzten warmen Tage im Oktober. Zwei kleine Jungs streiten, die Mutter des einen greift ein.
Ihr Gesicht ist unbekannt, ihre Stimme nicht. Sie ist die deutsche Stimme der amerikanischen Schauspielerin und Oskarpreisträgerin Halle Berry und heißt Melanie Pukas. Nicht erkannt zu werden, ist der Alltag fast aller Synchronsprecher, denn sie sind nun mal nur die deutschen Stimmen der internationalen Stars.
Die Stimmen von Robert de Niro, Al Pacino, Michelle Pfeiffer; Jodie Foster und Julia Roberts (siehe Stadtplan unten) leben in der Stadt. Somit ist es in Berlin gar nicht so unwahrscheinlich, die Stimme eines Lieblingsschauspielers unterwegs aufzuschnappen. Nirgendwo in Deutschland gibt es so viele Star-Sprecher wie in der Hauptstadt, und nirgendwo sonst werden so viele Serien und Kinofilme synchronisiert.
Allein in diesem Monat werden wieder mehr als 20 Serien in Berliner Synchron-Studios mit deutschen Stimmen vertont, wie bereits die drei Kultserien "Sex and the City", "Desperate Housewifes" und "Ally McBeal". Selbst die achtziger Jahre Fernseh-Klassiker "Denver Clan" und "Dallas" wurden hier ins Deutsche übersetzt. Auch eins der zur Zeit größten Projekte, ein amerikanischer Kinofilm über das Leben des Country-Sängers Johnny Cash, wird gerade für den deutschsprachigen Markt vorbereitet. "Walk the Line" heißt das Werk des New Yorker Regisseurs James Mangold.
Auch die Klassiker des Films wurden in Berlin synchronisiert. Mit gutem Grund: Ursprünglich durften Filme nur dort ins Deutsche übersetzt werden. So hatte das älteste Synchronstudio Berlin Synchron Wenzel Lüdecke länger als ein Jahrzehnt eine Monopolstellung (siehe Kasten).
Namensgeber und Inhaber Wenzel Lüdecke bekam nach dem Zweiten Weltkrieg als einziger die Genehmigung von den Besatzungsmächten, englische und amerikanische Filme für die deutschen Zuschauer zu vertonen. "Von 1949 bis in die sechziger Jahre gab es nur Wenzel Lüdecke für die Synchronisation ausländischer Filmen", sagt Reinhold Kospach, der einer der Produktionsleiter bei Berlin Synchron ist.
Bis heute herrscht in Lankwitz bei Berlin Synchron eine geradezu familiäre Stimmung. Synchronsprecher grüßen einander mit einem freundlichen "Hallo, und wer bist du heute?" Denn die meisten erfolgreichen Sprecher gaben bereits mehreren großen Stars ihre Stimme. So spricht Christian Brückner, Deutschlands erfolgreichster und bestbezahlter Sprecher, nicht nur Robert De Niro in "Taxidriver", sondern auch Alain Delon oder Marlon Brando.
Ein Rundgang über das Studiogelände im verschlafenen Lankwitz wird zu einem Ausflug an den hektischen Hollywoodboulevard. Da unterhalten sich Halle Berry und George Clooney auf dem Flur, Brad Pitt nimmt in rasantem Tempo seine Mahlzeit in der Kantine ein, und Michelle Pfeiffer macht sich auf den Weg zur Arbeit ins Studio fünf. Zusammentreffen dieser Art sind in den Lankwitzer Studios keine Seltenheit.
Bei der Arbeit vor dem Mikrofon herrscht für gewöhnlich eine konzentrierte Atmosphäre. Denn um einen Kinofilm zu synchronisieren, haben alle Beteiligten meistens nicht mehr als zwei Wochen Zeit. Währenddessen muß das Drehbuch ins Deutsche übersetzt werden und auf sogenannte lippensynchrone Sprechweise getrimmt werden. Sämtliche Rollen werden mit deutschen Stimmen besetzt und aufgenommen. Und zu guter Letzt muß auch noch der Ton perfekt abgemischt sein.
Die Konkurrenz unter den Studios ist groß. Inzwischen gibt es 15 renommierte Synchronateliers in der Stadt - Tendenz steigend. Damit ist der Markt in der Hauptstadt härter umkämpft als zum Beispiel in München, wo es gerade mal halb so viele Studios gibt.
Profis wie Judith Hildebrandt, die deutsche Stimme von Monica Bellucci und Desperate Housewife Marcia Cross beeindruckt dies kaum. Die routinierte Sprecherin steht regelmäßig vor dem Mikrofon. Dann läßt sie ihren Blick abwechselnd über ein Textbuch und die Leinwand gleiten. Wenn Monica Bellucci ausatmet, atmet Judith Hildebrandt aus. Und zwar exakt im selben Rhythmus. Jede Atempause, jeder Schmatzer muß perfekt passen. Da geht es um Bruchteile von Sekunden. Sie hebt die Arme, beugt sich vor, lacht und gestikuliert. Eigentlich sieht das Ganze ziemlich absurd aus. Doch das Ergebnis ist immer wieder erstaunlich: Monica Bellucci spricht plötzlich in perfektem Deutsch.
Was für Kinobesucher heute selbstverständlich ist, war in den frühen 50er Jahren noch ein kleines Wunder. Hitchcock-Klassiker wie "Vertigo - Aus dem Reich der Toten" oder "Über den Dächern von Nizza" kamen in die deutschen Lichtspielhäuser, und die Zuschauer fragten ernsthaft nach der Vorstellung: Woher können US-Schauspieler so gut Deutsch?
Heute fragt das hierzulande kein Kinofan mehr. In Deutschland ist es eben seither üblich, alle Filme synchronisiert zu zeigen. In keinem anderen Land der Welt kommen laut Goethe-Institut so viele Filme synchronisiert auf die Leinwand und den Fernsehbildschirm. Aus der Vorliebe der Deutschen für "lippensynchrone" Fassungen internationaler Produktionen entstand eine Branche mit ganz eigenen Berufsfeldern. Deren Hochburg ist immer noch Berlin.
Selbst Regiegrößen wie Steven Spielberg müssen sich damit auseinandersetzten. "Mir ist die Notwendigkeit, meine Filme in die wichtigsten europäischen Sprachen zu übersetzten, vollkommen bewußt, und ich begrüße es, wenn sie mit größter Sorgfalt synchronisiert werden", sagt Spielberg. Deshalb ist er auch immer wieder erleichtert, wenn er für die Schauspieler seiner Filme die richtigen deutschen Stimmen findet. "Bänder von Stimmproben deutscher Sprecher hört Spielberg sogar persönlich ab", weiß Kospach.
Für Kosbach und seine Kollegen gehört das kreative Spiel mit Stimmen zum Alltag - und für Berlins Unternehmer gerät es zum guten Geschäft. "Filmproduktion inklusive Synchronisation ist ein bedeutender Schwerpunkt der Berliner Wirtschaft", sagt der medienpolitische Sprecher der SPD, Frank Zimmermann. Die Bedeutung des Sektors werde künftig noch zunehmen. Deshalb würde dieser Bereich auch weiterhin gefördert.
Also Ohren auf beim Bäcker oder im Supermarkt. Vielleicht bestellt James Bond Brötchen oder der Pate bezahlt seine Rechnung.
Artikel erschienen am 16. Oktober 2005
Gruß,
Hendrik
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