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Dieses Thema hat 11 Antworten
und wurde 953 mal aufgerufen
 Allgemeines
Persian



Beiträge: 990

27.10.2012 18:58
Warum *funktionieren* Chargen und Mehrfachbesetzungen auf Deutsch nicht? Zitat · antworten

Ich denke mal jeder kennt die Synchronpolitik aus den Staaten:
Vor allem bei längerlaufenden Animated Shows, und auch bei Games, wird (teils auch auf wichtige Hauptfiguren) oft nur ein relativ kleines Ensemble von Sprechern besetzt.
Um die Figuren anders klingen zu lassen fangen die Sprecher dann immer wie wild an zu chargieren.
Für die Synchronbegeisterten in Übersee ist sowas völlig normal.

Hier wird meist bereits bei einer Doppelbesetzung (in den Staaten sind es ja im Extremstfall Dutzendbesetzungen), die dann ein kleines bisschen anfangen zu chargieren, direkt gesagt *Schwachsinn sowas auf Deutsch zu machen, das klappt nicht*.

(Oder noch ein anderer Fall wäre junge Sprecher auf alte Figuren zu besetzen. Auch dort normal, hier nicht,)

Nun frage ich mal rein aus Interesse:
Wieso ist Chargieren in der deutschen Synchronbranche so schlecht angesehen?
Klar klingt es im ersten Moment komisch, aber das tut es auf Englisch doch genauso. Ist es nur wegen diese Distanz Muttersprache/Fremdsprache?
Denn es wurde durchaus schon öfters bewiesen dass Chargieren im Deutschen sehr gut klappen kann.
Siehe z.B. Rufus Beck in den Potter-Hörspielen.

Also, diskutiert nur fleißig, ich bin gespannt!

hudemx


Beiträge: 7.264

27.10.2012 19:23
#2 RE: Warum *funktionieren* Chargen und Mehrfachbesetzungen auf Deutsch nicht? Zitat · antworten

Ich denke es ist die Distanz der Muttersprache.

Als ich angefangen habe Serien im Original anzuschauen sind mir die Doppelbesetzungen nie wirklich aufgefallen, erst nachdem ich ein Ohr dafür entwickelt habe konnte ich z.b. Seth MacFarlane in jeder dritten Rolle in Family Guy oder American Dad hören usw.

berti


Beiträge: 17.846

27.10.2012 23:21
#3 RE: Warum *funktionieren* Chargen und Mehrfachbesetzungen auf Deutsch nicht? Zitat · antworten

Auffälligerweise ging man bei einigen Serien, die um 1990 im Auftrag von Tele 5 in Hamburg synchronisiert wurden, nach dem "amerikanischen" Modell vor. Bei den Filmation-Cartoons (He-Man, She-Ra, Marshall Bravestarr) ließe sich die Beschränkung auf wenige Stimmen dadurch rechtfertigen, dass es im Original auch nur wenige waren. Bei den "Raccoons" dagegen waren es (laut dem englischen Wikipedia-Artikel*) mehr als eine Frau und drei Männer.
Ob man vielleicht aufgrund der langen Synchron-Tradition hierzulande meint, verschiedene Figuren bräuchten auch unterschiedliche Stimmen, um "individuelle" Züge zu haben? Oder tatsächlich, weil man befürchtet, es könnte ansonsten dazu füren, dass Rolle und Dialog nicht mehr ernstgenommen würden?
*http://en.wikipedia.org/wiki/The_Raccoons#Characters

berti


Beiträge: 17.846

27.10.2012 23:25
#4 RE: Warum *funktionieren* Chargen und Mehrfachbesetzungen auf Deutsch nicht? Zitat · antworten

Andererseits war im deutschsprachigen Raum gerade der zu früh verstorbene Joachim Kemmer nicht nur ein Meister im Chargieren, sondern auch darin, unterschiedlichste Rollen (gerade im Zeichentrick) zu verkörpern. Ihm hätte ich durchaus zugetraut, problemlos im Dialog mit sich selber zu sprechen, ohne dass es unangenehm aufgefallen wäre.

Wilkins


Beiträge: 4.420

28.10.2012 20:46
#5 RE: Warum *funktionieren* Chargen und Mehrfachbesetzungen auf Deutsch nicht? Zitat · antworten

Zitat
Andererseits war im deutschsprachigen Raum gerade der zu früh verstorbene Joachim Kemmer nicht nur ein Meister im Chargieren, sondern auch darin, unterschiedlichste Rollen (gerade im Zeichentrick) zu verkörpern. Ihm hätte ich durchaus zugetraut, problemlos im Dialog mit sich selber zu sprechen, ohne dass es unangenehm aufgefallen wäre.



Ja, Kemmer hätte das definitiv drauf gehabt. Ein weiterer typischer 90er-Disney-Sprecher hat dies sogar vollbracht:
Der viel zu früh verstorbene Wolfgang Kühne hat damals bei "Winnie Puuh" sowohl Tigger als auch I-Ah gesprochen, und beide so verschieden angelegt, dass es überhaupt nicht auffiel. (Ich kann mich jetzt allerdings nicht daran erinnern, dass Kühne hier einen Dialog mit sich selber geführt hätte).

Ein weiteres Beispiel für gelungene Mehrfachbesetzungen war für mich lange Zeit die deutsche Fassung der Simpsons:
Elizabeth Volkmann als Marge,Patty und Selma, Sabine Bohlmann als Lisa und Maggie und dann noch Gernot Duda und Ivar Combrinck in verschiedenen Rollen. Auch hier fiel es nicht negativ auf, im Gegenteil, gerade die Tatsache dass sich die Sprecher hier ihre Variablität zeigen konnten, macht hier grade den Reiz aus (Duda als Barney Gumble beispielsweise). Leider nahmen die Mehrfachbesetzungen gegen Ende der Combrinck-Ära überhand (Gerade Michael Rüth und Reinhard Brock wurden hier total verheizt), sodass die Mehrfachbesetzungen nicht mehr so gut funktionierten.

Anhand dieser Beispiele kann man sehen, dass Mehrfachbesetzungen auch im Deutschen funktionieren können, wenn man es richtig angeht. Leider trauen sich die meisten Synchronregiesseure sich nicht, mit Mehrfachbesetzungen und Chargen zu experimentieren(Was wohl, wie bereits erwähnt, an der Tradition liegt). Ich würde mir in der Hinsicht mehr Mut von den Verantwortlichen wünschen, denn wenn es zur Vorlage passt (bei einem durchgeknallten Cartoon können die Sprecher ruhig mal richtig aufdrehen - Bei "ernsthafteren" Trickfilmen (Animes oder Superheldenadaptionen) hingegen wäre sowas natürlich eher fehl am Platz) können Chargen und Mehrfachbesetzungen richtig Spaß machen.

Allerdings scheint Chargieren/Mehrfachbesetzen auch nur in der Synchronbranche recht unbeliebt zu sein, denn in anderen Medien wird sowas gerne mal gemacht: Denkt mal an die ganzen Radiocomedyserien, in denen oft nur ein oder zwei Sprecher sämtlichen Charakteren die Stimme leihen.

Isch


Beiträge: 3.402

28.10.2012 23:07
#6 RE: Warum *funktionieren* Chargen und Mehrfachbesetzungen auf Deutsch nicht? Zitat · antworten

Ich finde das gar nicht so toll, denn die Mehrfachbesetzungen mal abgesehen von DEN Voice-Actors schlechthin (Frank Welker, Jim Cummings, Corey Burton, Maurice LaMarche, Rob Paulsen, Russi Taylor, June Foray...) hört man schon. Bei der "Muppet-Show" höre ich Jim Henson, Frank Oz und Jerry Nelson (übrigens kürzlich verstorben) fast immer raus, bei den Simpsons Dan Castellanetta und bei... naja viel mehr (Non-Disney, denn bei Disney wird meist mehr darauf geachtet) hab ich bisher leider noch nicht im Original gesehen, aber das reicht schon.

smeagol



Beiträge: 3.902

29.10.2012 07:58
#7 RE: Warum *funktionieren* Chargen und Mehrfachbesetzungen auf Deutsch nicht? Zitat · antworten

Ich bin davon insgesamt auch kein wirklicher Freund, da es doch ziemlich oft auffällt und das sollten Ausnahmen bleiben. Wo ich es bis heute so gut wie nie raushöre sind die ganzen Looney Tunes Cartoons mit Mel Blanc. Obwohl ich hier die Meinereiner-Synchronfassung noch besser finde als das Original und das wahrscheinlich auch, weil durch wenige Doppelbesetzungen "glaubhaftere" Charaktere geformt wurden.

berti


Beiträge: 17.846

29.10.2012 09:35
#8 RE: Warum *funktionieren* Chargen und Mehrfachbesetzungen auf Deutsch nicht? Zitat · antworten

Zitat von Wilkins im Beitrag #5
Der viel zu früh verstorbene Wolfgang Kühne hat damals bei "Winnie Puuh" sowohl Tigger als auch I-Ah gesprochen, und beide so verschieden angelegt, dass es überhaupt nicht auffiel. (Ich kann mich jetzt allerdings nicht daran erinnern, dass Kühne hier einen Dialog mit sich selber geführt hätte).

Waren das nicht Wolfgang Kühne und Tilo Schmitz? Zumindest wurde die Besetzung beider dort mal als Beispiel dafür genannt, dass es verwirrend sei, zwei besonders ähnliche Sprecher innerhalb einer Synchro zu hören.

Koboldsky


Beiträge: 3.428

22.12.2015 19:41
#9 RE: Warum *funktionieren* Chargen und Mehrfachbesetzungen auf Deutsch nicht? Zitat · antworten

Ich grabe mal diesen alten Thread aus...

Hinzufügen möchte ich noch, dass bestimmte Chargen in verschiedenen Sprachen unterschiedliche Wirkungen haben können.

Was auf Englisch vielleicht cool und passend klingt, könnte sich auf Deutsch unfreiwillig komisch anhören.

Lammers


Beiträge: 4.155

22.12.2015 21:32
#10 RE: Warum *funktionieren* Chargen und Mehrfachbesetzungen auf Deutsch nicht? Zitat · antworten

Zitat von Koboldsky im Beitrag #9
Ich grabe mal diesen alten Thread aus...

Hinzufügen möchte ich noch, dass bestimmte Chargen in verschiedenen Sprachen unterschiedliche Wirkungen haben können.

Was auf Englisch vielleicht cool und passend klingt, könnte sich auf Deutsch unfreiwillig komisch anhören.


Könnte nicht nur, es klingt auch so. Guck dir beispielsweise mal die deutsche Synchro von "Foxy Brown" an. Da wird chargiert, dass es wehtut. Erstens wird Pam Grier dort unpassenderweise von Manuela Renard synchronisiert, die leider auch total zum chargieren neigt. Schlimmer ist eigentlich, soweit ich es noch weiß, die Stimme von Antonio Fargas. Wer auch immer es war, chargiert dort nämlich mit einem grausamen Singsang ("Ich bin zu häßlich für 'nen Discotänzer und zu schmächtig für 'nen Footballstar", oder so), was echt wehtut.

Champ



Beiträge: 303

23.12.2015 00:52
#11 RE: Warum *funktionieren* Chargen und Mehrfachbesetzungen auf Deutsch nicht? Zitat · antworten

Ich finde, dass Mehrfachbesetzungen eines Sprechers nicht pauschal verdammt gehören. Es kommt lediglich auf a) das Szenario und b) die Wandlungsfähigkeit des betreffenden Sprechers an. In eher trashigen, cartoonigen oder fantastischen Universen kann das auch auf Deutsch funktionieren, wenn es die Sprecher denn draufhaben. Ein paar Sprecher, zum Beispiel der verstorbene Karlheinz Tafel, oder auch Gregor Höppner und Hans Bayer, konnten bzw. können das sehr gut und es wirkt nicht albern oder gezwungen. Leider sind die deutschen Sprecher, die das können, eine Minderheit.

Es mag ein wenig mit der neueren deutschen Schauspieltradition zu tun haben, die für meinen Geschmack viel zu technokratisch und glattgebügelt daherkommt. Das ist jetzt meine Meinung als Laie, ich bin weder Schauspieler noch Sprecher. Teil des Problems mag es auch sein, dass die Synchronsprecher in Deutschland bis vor einigen Jahren noch zu 99% Schauspieler waren, die deshalb eine andere Grundhaltung mitbringen. Das zumindest scheint sich wohl in den letzten Jahren etwas geändert zu haben, und es kämen jetzt nach und nach Leute ins Synchrongewerbe, die nie auf einer Bühne oder vor der Kamera standen sondern direkt für den Einsatz am Mikro ausgebildet worden sind, oder so sagte man mir zumindest. Ich könnte mich vorstellen, dass sich durch diese Generation in dem Punkt auch noch was tun wird.

Ludo


Beiträge: 1.301

13.11.2021 13:04
#12 RE: Warum *funktionieren* Chargen und Mehrfachbesetzungen auf Deutsch nicht? Zitat · antworten

Ich krame diesen Thread mal nach oben. Ich denke an der Tatsache dass es früher zu 99% Schauspieler waren, heutzutage aber vorrangig Sprecher tätig sind liegt es glaub ich nicht. Wir haben ja gesehen wie Elisabeth Günthers Margaret Thatcher in „The Crown“ funktioniert hat – nämlich überhaupt nicht und das lag schlichtweg an der Rolle selbst. Was Gillian Anderson im Original gemacht hat, hat Günther versucht zu übertragen und es hat leider nicht funktioniert, klang viel zu gemacht, zu verkrampft-künstlich, zu gewollt am O-Ton abgenommen, völlig unecht. (Ich hätte gerne Pigullas Herangehensweise gehört, nur leider war sie da ja schon nicht mehr unter uns) Ich weiß leider auch nicht woran es liegt… es ist mir auch ein Rätsel warum künstliches Rumgedrücke bei den Amis oder Engländern super funktioniert (oder tuntige Sprechweise, Genuschel, Charge oder herber Dialekt (bspw: Robin Hood)) bei uns in der Synchro aber alles immer affig oder überzogen wirkt. Vielleicht weil - speziell die Amerikaner - generell immer recht überzogen und aufgesetzt quasi künstlich sprechen und das dann in der Masse nicht so auffällt?

In dem vor ein paar Jahren gezeigten Interview mit Robert Hoffmann, Axel Malzacher und Udo Schenk im Zuge der Arbeit an "Die dunkelste Stunde", kam dieses Thema ja auch zur Sprache. Malzacher beschreib die Arbeit an zwei Filmen mit Ryan Gosling, der in einem Film sprach wie ein kettenrauchender Alkoholiker und dementsprechend mit einer tieferen Stimme - David Nathan - besetzt wurde; in einem anderen Film jedoch viel höher gesprochen hat und demzufolge wieder umbesetzt werden musste. Man hätte das in der Synchro nicht mit dem selben Sprecher (also Nathan) machen können, da es zu "komisch"/"künstlich" gewirkt hätte.


Nochmal zum nachsehen: https://youtu.be/UWNbwfPxJlg (Min: 20.00)

Edit: es war Ryan Gosling, nicht Reynolds

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