Hier ein Synchron-Kuriosum ohne jeden Vergleich. Weil der kleinen Produktionsfirma damals das Geld ausging, blieb der 1956 gedrehte deutsche Heimatfilm unvollendet. Auf Initiative der Bewohner des Dorfes Reken im Westmünsterland, wo der Film gedreht wurde, montierte man aus dem im Bundesarchiv überlieferten Rohmaterial 2013 eine Filmfassung, die mangels Ton unter Mitwirkung von Studenten der internationalen filmschule köln, und der Hochschule für Musik Freiburg mit Sprache und Musik versehen wurde. Da kein Drehbuch mehr aufzutreiben war, mussten die Dialoge soweit möglich mit Hilfe von Lippenleserinnen rekonstruiert werden. Der Film ist die einzige Regiearbeit des Schauspielers Hans Müller-Westernhagen. Sein damals 8-jähriger Sohn Marius ist in einer kleinen Kinderrolle zu sehen.
Aufgrund der Materiallage und angesichts dessen, dass man andernfalls sicher nie einen Meter von dem unvollendeten Film zu Gesicht bekommen hätte, wäre es nun doch reichlich unfair, mit der fertiggestellten Fassung allzu hart ins Gericht zu gehen. Leider funktioniert das Ergebnis nicht und scheitert an derselben Hürde, wie 1993 schon die Fertigstellung des unvollendeten Hans-Albers-Farbfilms "Siva und die Galgenblume" (1945, Regie: Hans Steinhoff) anhand von Rohmaterial ohne überlieferten Originalton aus dem Bundesarchiv.
Dabei hätte der Streifen weitaus bessere Vorrausetzungen für eine Synchronisation als "Shiva" gehabt, da man seinerzeit aus Kostengründen fast ausschließlich völlig unbekannte Nachwuchsschauspieler einsetzte, deren Originalstimmen man gar nicht kennt. Leider wurde bei dem Restaurationsprojekt nicht mit einem professionellen Synchronstudio zusammengearbeitet, sondern die Nachvertonung quasi als Schulprojekt wohl eher durch Laien vorgenommen. So wirkt das ganze allenfalls wie eine billige Direct-to-DVD-Synchro. Die Sprecher sagen mir allesamt gar nichts. Es fällt auf, dass in den Credits kein Dialogregisseur genannt wird.
Wirklich verheerend sind dann die Szenen, wo bekannte deutsche Schauspieler wie Hugo Lindinger https://www.youtube.com/watch?v=QC5PKIUZwGc&t=46m56s, Paul Henckels https://www.youtube.com/watch?v=QC5PKIUZwGc&t=8m22s und Albert Florath https://www.youtube.com/watch?v=QC5PKIUZwGc&t=92m2s ohne jedes Gespür für deren Spiel und Originalstimme total fehlbesetzt lieblos trashig synchronisiert wurden. Hier dürfen jetzt mal die Kenner der aktuellen Synchron- und Sprecher-Landschaft nach vorn: wäre es möglich gewesen, den Film mit einem professionellen Studio so zu synchronisieren, dass er als Film funktioniert und sich nicht anhört wie eine draufgeklatschte TV-Synchro eines alten US-Films oder eine billige Direct-to-DVD-Synchro?
Ein überraschend positives Beispiel für eine nicht-zeitgenössische Synchro eines alten Films war für mich kürzlich "Der Unverstandene" (1967, Regie: Luigi Comencini) für den arte 2016 eine Synchro hergestellt hat, die - obwohl sie anspruchsvolle Kinderrollen enthielt - funktionierte! Ich weiß nicht wie sie das gemacht haben und war selbst verblüfft, dass es geht. Ein ähnliches Kuststück gelang arte 2010 mit der Synchronisation der fehlenden Folgen von "Nummer 6", die sich stimmig in das Gesamtbild mit den alten ZDF-Folgen einfügten.
Fazit: Das lobenswerte Projekt ist leider am fehlenden Budget und der Konzeption als Schulprojekt gescheitert. Man hätte gut daran getan, sich Backing durch Kooperation mit einem Fernsehsender - naheliegenderweise dem WDR - zu holen, um mit einem professionellen Studio und einem vernünftigen Budget arbeiten zu können.
Stefan Sievering, Maler Fried Andreas Louis Friedemann Thiele Inge, Tochter Hasselmanns Kathy von Bülow Johanna Giraud Bürgermeister Hasselmann Hugo Lindinger Thomas Balou Martin Piepenbrink, Gemeindeschreiber Hans Müller-Westernhagen Torsten Peter Schnick Hans, Freund von Stefan Hans-Walter Clasen Raffaele Bonazza Tobias, Freund von Stefan Karl-Heinz Vosgerau Jean Paul Baeck Lydia, Tochter des Direktors Beatrice Mohammed Demet Fey Schnüffel, Detektiv Siegfried Siegert Thorsten Kai Botenbender Frau Hasselmann Trude Alex-Hoerle Kerstin Kallewegge Stine, Magd Hasselmanns Inge Rassaerts Fiona Metscher Kasimir Wiesel, Kutscher Edgar Walther Martin Bross Frau Hopfnagel, Wirtin von Stefan Birgid Füllenbach Gabriele Schulze Pfarrer Albert Florath Marek Zedek Direktor Hübner Hermann Holve Marek Zedek Kunsthändler Oligi Paul Henckels Rudolf Schlager Dachdecker Hans Esters Schaffner ?? Marek Zedek Wirt ?? Lars Walther Polizist ?? Bernd Blömer Kaufmann ?? Tobias Novo
weitere Synchronsprecher: Lars Walther, Demet Fey, Michael Wiedemann, Camilla Renschke
Produktion 1956
Regie Hans Müller-Westernhagen Idee August Hinrichs Regie-Assistenz Edgar Walther Kamera Bert Meister Kamera-Assistenz Franz Bruck Aufnahmeleitung Hermann Pöhling Produktionsleitung Heinz Schier Produktion / Verleih Herald-Filmverleih und Vertrieb GmbH, Düsseldorf
Produktion 2013
Casting Fiona Brands Recherche Anton Heilken Bildschnitt Nicole Schmeier Lippenleserinnen Judith Göller, Sonja Renken-Muehlbacher Dialoge Hans-Erich Viet, Claudia Enzmann Tongestaltung Jascha Viehl, Yana Gürkaynak, Vanessa Wagner, Felix Meyer, Holger Buff, Esther Geisen, Gesa Hille, Leonard Lokai (Studenten des ifs Studiengangs Editing Bild&Ton Jhg. B) Geräuscheaufnahmen Joo Fürst Synchronschnitt Hendrik Bleier Hauptmischung Jascha Viel Titelgestaltung Felix Meyer Produktionskoordination Su Nicholls-Gärtner, Fiona Brands, Susanne Kipp Produzenten Michael Wiedemann, André Bendocchi-Alves, Hans-Erich Viet
weitere mitwirkende Studenten: Fabian Wallenfels (ifs Studiengang BA Film Kreativ Produzieren), Zsazsa von Ammon (ifs Studiengang BA Film Drehbuch)
Bei Henckels hätte ich Schlimmeres erwartet - natürlich ist eine passende Stimme heute praktisch nicht mehr zu finden, Thomas Reiner wäre vielleicht eine Möglichkeit gewesen. Ob man es sehr viel besser hätte machen können - schwer zu sagen, nachsynchronisiert klingt's halt immer (siehe die DEFA-Filme "Das Kleid" - bei dem immerhin die Hälfte der Originalschauspieler noch zur Verfügung stand - und "Polizeiruf 110: Im Alter von ..." - mit diesen Fällen eher vergleichbar als mit "Shiva", da das Bildmaterial vollständig vorhanden war). Der typische Synchronduktus heutiger Tage ist selbst den erfahrenen Profis kaum auszutreiben und das zerstört die Illusion.
Da hast Du ja wieder eine Rarität ausgegraben! Ein Heimatfilm, gedreht in Reken (das liegt ca. 10 Kilometer von meinem Wohnort Coesfeld), das habe ich auch nicht gewusst (die Wiederaufführung 2013 bzw. Berichte darüber sind leider auch an mir vorbeigegangen...). NRW und speziell das Münsterland waren damals ja filmisches Diaspora.
Angesichts der Probleme muss man den Hut ziehen vor den Leuten die mit viel Enthusiasmus es geschafft haben, den Film einem Publikum zugänglich zu machen.
Wie aber schon erwähnt, lässt die Synchronisation leider zu wünschen übrig. Die Klangkulisse klingt leider so, als wäre sie im Wohnzimmer erstellt worden- ein Problem, was allerdings fast alle Synchros betrifft, die Jahrzehnte später erstellt worden sind. Wie ich gelesen habe, ist man sogar nach Reken gereist, um einige Geräusche aufzunehmen. Löblich, aber geklappt hat das nicht. Das die Dialoge größtenteils neu erstellt werden mussten, ist natürlich ein weiteres Riesenproblem. Hier hätte man bei der Neuerstellung versuchen müssen, den "Geist" der 50er Jahre zu übertragen. Auch die neu komponierte Musik ist leider überhaupt kein Meisterwerk. Man hätte sich dazu -bei Dialogen und Musik- eine ganze Reihe von Heimatfilmen der 50er Jahre ansehen und -hören sollen, um hier ein einiger maßen vernünftiges Ergebnis abzuliefern.
Die Synchronschauspieler wirken für mich auch meist unpassend- oft hören sie sich auch zu jung an für die Darsteller. Der Sprecher der Hauptrolle, Louis F. Thiele (Enkel von Hilde Krahl und W. Liebeneiner), macht, wie ich gelesen habe, viel Synchron. Passend finde ich sie für den (mir völlig unbekannten) Hauptdarsteller leider nicht. Einzig bei Hugo Lindinger finde ich die Stimme so einiger maßen passend. Henckels und Florath mit ihren markanten Stimmen sind für mich eh kaum zu synchronisieren. Den Österreicher Lindinger (mit seiner Originalstimme) kann ich mir als Bürgermeister im Münsterland stimmlich allerdings auch nicht so recht vorstellen.
Mit viel Geld hätte man vielleicht tontechnisch ein etwas besseres Ergebnis erzielt, aber eine wirklich perfekte Lösung- für mich nur schwer vorstellbar.
Ach ja, ein richtiger Synchronprofi wirkte bei den Darstellern ja auch mit: Hans W. Clasen, damals noch im Rheinland tätig, seit den frühen 60ern dann in Berlin oft im Synchronstudio tätig.
Immerhin, ein Name auf der Sprecherliste sagt mir was:
Fiona Metscher sah ich 2005 live auf der Bühne mit dem Stück "Zimmer frei!", ihr Partner damals war niemand geringerer als der große Friedrich Schoenfelder. Zumindest scheint man nicht ausschließlich auf Laien zurückgegriffen zu haben. Andererseits muß man wohl auch in Reken wohnen oder zumindest einen Bezug dazu haben, um sich für diesen Film zu erwärmen, denn Oscar-Material wäre das auch mit einer professionellen Synchronisation nicht.