Mitte Juni starb Winfried Wagner im Alter von 80 Jahren. Obgleich immer wieder in Film und Fernsehen zu sehen, verbinde ich Wagner v.a. mit der Bühne: Er spielte in Meiningen, Weimar sowie an der Berliner Volksbühne, deren amtierender Intendant er zwischen 1990 und 1992 war. Als Synchronsprecher ist er mir vor allem durch Episodenrollen in Serien wie Perry Mason und Ally McBeal (u.a. für Ray Walston) bekannt geworden. Größere Rollen in Filmsynchronisationen habe ich leider nur wenige bisher bewusst gehört, etwa als "Dynamit-Harry" in Die Olsenbande läuft Amok oder als Prophet Natan (Umberto Orsini) in Die Bibel: Salomon. Die DEFA-Fassung von Nackte Gewalt meine ich zwar mal vor langer Zeit gesehen zu haben, kann mich aber an James Stewart nicht mehr erinnern. Andre große Rollen aus DEFA-Fassungen von Filmen, von denen auch eine West-Synchro existiert, kenne ich lediglich aus der Theorie - etwa für Ben Kingsley in Gandhi, Pierre Richard in Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh, Alain Delon in Der Leopard oder Anthony Hopkins in Jahreszeiten einer Ehe. Vielleicht lässt sich diese Bildungslücke ja dereinst schließen...
Ein leider stark unterschätzter Sprecher (ging mir lange Zeit ebenso), weil er die Nische des tragischen, intellektuellen Helden besetzte - perfekt für viele sowjetische Filme ("Krieg und Frieden", "Der Amphibienmensch" - lohnende Filme), aber furchtbar klischeehaft. Dass er ein überraschendes komisches Talent besaß, durfte er nur selten zeigen - neben der Olsenbande und dem großen Blonden auch als "Kapitän Tenkes". Und er war auch ein feinsinniger Jago im "Othello"-Hörspiel aus den frühen 70ern. Sehr schade, dass er nach der Wende fast nicht mehr zum Einsatz kam.
Toller Sprecher gewesen. Passte wie die Faust aufs Auge für Pierre Richard. Ganz toll fand ich ihn auch für Alberto Sordi in "Der Zeuge", wo er einen zu Unrecht beschuldigten sprach. Auch toll war seine Leistung für Denholm Elliott in "Das Puppenheim". In der Rolle des schmierigen Erpressers Krogstad wirkte er sehr heuchlerisch und manisch.
Auch mochte ich diverse Erzählparts in Märchenhörspielen wie "Das Windloch" oder "Das Turmverließ".
Ich habe ihn in einer Holmes-Verfilmung gehört. Ich glaube, es war "Der griechische Dolmetscher" aus der Reihe mit Jeremy Brett. Da klang Winfried Wagner fast wie Wilhelm Borchert. Er hat mir sehr imponiert. Leider ist er mir nicht öfter untergekommen.
Leider kenne ich ihn nur aus zwei Rollen (Pierre Richard als "Großer Blonder" und George Costigan in der Holmes-Folge), aber die könnten verschiedener nicht sein, und beide meisterte er mit Bravour. Ein völlig zu Unrecht eher unbekannt gebliebener Sprecher. Gibt es das Othello-Hörspiel zufällig auf CD? Als Jago ist er sicher auch phantastisch.
Absolute Klischeerolle, aber trotzdem hervorragend: Raskolnikow in der sowjetischen "Schuld und Sühne"-Adaption (auf DVD erschienen). Mit seiner brüchigen Stimme ideal für die brüchige Hauptfigur, die ja als Vorläufer des Noir-Typus gelten kann.