Nun ist es an der Zeit, auch mal einer ganz wunderbaren, wenn auch oft inflationär eingesetzten Synchronschauspielerin einen Thread zu widmen. Frauen gehen irgendwie immer ein wenig unter, wenn es um speziellere Beiträge geht.
TILLY LAUENSTEIN (28. Juli 1916 - 8. Mai 2002)
Geboren wurde sie als Mathilde Dorothea Lauenstein in Bad Homburg und lebte im Schoße einer normal gutbürgerlichen Familie. Ihrem Drang zur Schauspielerei kam sie früh nach, bereits mit 16 schrieb sie sich an der Schauspielschule ein. Ihr professionelles Debut hatte sie mit 18 am Staatstheater in Stuttgart, wo sie auch in späteren Jahren noch ab und zu auftreten sollte. Große Rollen spielte sie kaum und auch zwei kleine Ausflüge zum Film in den Jahren 1936 und 1938 blieben fruchtlos. Sie war nicht attraktiv genug für klassische Frauenrollen, zu jung für Mütter und doch zu gutaussehend für Mauerblümchen. So gab es eben für ihren ganz eigenen, in keine Schublade passenden Erscheinungstyp primär Nebenrollen. Während des Krieges durfte sie weiterspielen, mußte aber auch wie viele andere Frauen ihren Heimatdienst in Fabriken, etc, absolvieren. Nach dem Krieg wurde das Theater realistischer und gerade im Ost-Sektor interessanter. Lauenstein liebäugelte (laut Artur Maria Rabenalt) damals mit der linken Politik und war zunächst vor allem begeistert von den neuen kulturellen Erungenschaften. Am "Deutschen Theater" spielte sie mit der Marie in Büchners "Woyzeck" eine erste Hauptrolle und wurde dann von Rabenalt für den Film entdeckt. Einige ihrer DEFA-Filme wurden später als peinlich antikapitalistische Werke eingestuft, zu denen so ziemlich alle Beteiligten auf Distanz gingen. Lauenstein pendelte zwischen Ost und West, was ihren Beruf anbelangte, aber letztere Himmelsrichtung blieb ihr Zuhause. Das Theater bot nun mehr große Rollen, häufig in sozialkritischen Stücken, oft auch im guten Boulevard. Sie wurde wer, wenn auch nie der ganz große Star. Hauptsächlich spielte sie am "Schillertheater", wo sie vom legendären Boleslaw Barlog engagiert wurde. Im Lauf der Jahre spielte sie an verschiedensten Berliner Bühnen, gelegentlich auch ausserhalb. Wirklich "in" wurde sie aber erst, als sie schon älter wurde, im sogenannten Charakterfach des "alten Drachens" konnte sie brillieren. Dennoch ist ihr gesamtes Rollenspektrum interessant: von Dienerinnen zu Herzoginnen waren alle Gesellschaftsschichten vertreten, sie war alternde Prostituierte, Lehrerin, einfach nur Ehefrau oder forsche Großmutter. Im Film war sie von 1948 bis 2000 beschäftigt, ab den frühen 60ern kam das Fernsehen hinzu. Es waren hauptsächlich prägnante Gastrollen oder Nebenrollen, in denen sie zu sehen war. Trotz dem immensen Erfolg zweier Serien in den 60ern, war sie aber so richtig präsent erst ab den späten 70ern, wo sie als oft bissige oder resolute Großmutter, Matriarchin oder selbstbewußte alte Dame im Gedächtnis blieb. Sie war ein Gesicht, das fast jeder kannte. Ins Synchronstudio ging sie eher der Verdienstquelle wegen als aus Überzeugung, wie sie in einem Interview von 1986 sagte. Aber loslassen sollte sie dieser Zweig des Berufes nicht mehr. Hier startete sie sozusagen voll durch und sprach von Beginn an (1949) große Rollen und synchronisierte die weibliche Elite Hollywoods. Auch hier war sie bis etwa ins Jahr 2000 aktiv. Tilly Lauenstein war einmal verheiratet (später geschieden) und hatte einen Sohn. Trotz ihrem selbstbewußten Auftreten und ihrer Lust auf die Liebe des Publikums war sie doch auch immer ein wenig schüchtern und mied große Aufläufe. Der großen "Promi-Szene" wollte sie quer durch die Jahrzehnte nicht angehören. Zuletzt stand es um die Gesundheit der beliebten Künstlerin nicht mehr so gut, aber noch Ende 2001 hat sie geduldig und begeistert Fanpost beantwortet. Sie starb im 86. Lebensjahr in Potsdam.
1948 spielte sie unter der Regie von Artur Maria Rabenalt eine große Rolle in "Chemie und Liebe". Der Regisseur war sehr von ihrem unaustauschbaren Gesicht und ihrer "herben Schönheit" begeistert. Weitere DEFA-Filmen im Folgejahr waren "Christina" und "Anonyme Briefe". Den wirklichen Durchbruch zur Filmschauspielerin gelang ihr aber nicht.
Es folgten viele, meist kleinere Nebenrollen in mehr oder weniger bekannten Filmen der 50er/60er-Jahre: man sah sie in "Die Stärkere" (1953), im damals umjubelten "Stresemann" (1956) oder in den erfolgreichen Filmen "Liebling der Götter" und "Die letzte Zeugin" (1960). 1961 stand sie neben Lilli Palmer in "Julia, du bist zauberhaft" vor der Kamera. Im selben Jahr begann mit einer Folge "Stahlnetz" auch ihre umfangreiche Fernsehtätigkeit. 1962 schließlich wurde sie erstmals einer breiten Öffentlichkeit bekannt: neben dem wunderbaren Gustav Knuth als Tierarzt Dr. Hofer spielte sie seine von Familie und Praxis oft geplagte, zwischen Familiensinn und Selbstbehauptung pendelnde Ehefrau in "Alle meine Tiere" (gibt's auf Dvd, eine ausgesprochen liebenswerte Unterhaltung). Die Serie stammte von Heinz Oskar Wuttig, der seinen Schauspielern Rollen auf den Leib schreiben konnte wie kaum ein anderer. 1965 spielte Lauenstein in einer weiteren Erfolgsserie des Autors mit - in acht Folgen von "Der Forellenhof" (auch kaufbar!) spielte sie eine wichtige Nebenrolle als der gute Geist des Hauses. Die Obskuritäten des zeitgenössischen Filmes machten auch vor ihr nicht halt, so sah man sie durchaus Ende der 60er-Jahre in Filmen wie "Das älteste Gewerbe", "Das gelbe Haus am Pinnasberg", "Klassenkeile" oder "Marquise de Sade". 1967 war sie zudem als undurchsichtige Internatsleiterin zu sehen im Wallace-Krimi "Der Mönch mit der Peitsche".
1970 war sie in Wuttigs Serienhit "Salto Mortale" in einer Gastrolle zu sehen, 1972 spielte sie in der erfolgreichen, aber lange schon vergessenen Serie "Das Kurheim" eine Hauptrolle. Nach und nach kamen mehr Gastrollen in Frrnsehserien, so in "Der kleine Doktor" (1974), "Sonderdezernat K1" (1975) und im "Derrick" war sie ab '76 vier mal zu sehen bis '88. Groß startete sie in den 80ern durch, einerseits mit Gastrollen in "Tatort" (84), "Der Alte" (85) oder Berliner Weiße mit Schuß" (84), zwei Folgen "Der Landarzt" (89) andererseits spielte sie etwa die Oma in der damaligen Hitserie "Ravioli" (83/84). In "Otto-Der Film" war sie 1985 dabei, im selben Jahr sah man sie in "Bittere Ernte". 1986 trat sie im umjubelten Fernsehfilm "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" auf, 1989 kam "Der lange Sommer" und schließlich eine Dauerrolle in der idiotischen, aber erfolgreichen Serie "Rivalen der Rennbahn". 1991 bis '94 spielte sie in der Serie "Unsere Hagenbecks", sie war auch '91 in "Drei Damen vom Grill zu sehen", 1992 in "Felix und 2x Kuckuck". Zuletzt kamen der Horrorfilm "Sieben Monde" (1998), ein Ausflug ins "Großstadtrevier" (99). Sie wirkte noch in "Kalt ist der Abendhauch" mit und war im Jahr 2000 zu sehen in "Otto-Der Katastrofenfilm".
Tilly Lauenstein war eine der vielseitigsten Synchronsprecherinnen ihrer Generation. Von der alten Jungfer bis zur verruchten Lebedame, von der bissigen Vorzimmerdame bis zur Königin konnte sie alles spielen. Sie synchronisierte die damalige Elite von Hollywood, aber auch einige große europäische Schauspielerinnen.
Sie ist aus der jahrzehntelangen Synchrongeschichte nicht wegzudenken - und doch stellt sich die Frage, ähnlich wie bei GGH oder Arnold Marquis, ob es da und dort nicht originellere Besetzungen gegeben hätte. Manchesmal wurde sie sehr inflationär eingesetzt, andererseits sprach das aber auch für ihre Versatilität und Professionalität im Beruf. Sie lieferte immer eine großartige Leistung und war relativ selten einmal fehlbesetzt. Persönlich empfand ich sie eher ab den 80er-Jahren als überpräsent in einem bestimmten Rollenfach. Manchesmal schien es, als würde sie fast alle Frauen ab 60 sprechen. Dem war natürlich nicht so, aber fast alle forschen Großmütter (mal echte Drachen, mal scheinbare) kamen nicht ohne ihre Stimme aus. Bemerkenswert fand ich jedoch, daß sie durch den späten Ruhm von Jessica Tandy gegen Ende der 1980er-Jahre noch eine richtige Synchronbeziehung aufbauen konnte.
Wen Tilly Lauenstein nicht aller sprach:
Da waren einmal die wunderbare Simone Signoret (über die sie 1986 sagte, daß dies eine ganz besondere und herausfordernde Arbeit sei. Sie freue sich besonders, auf diese Schauspielerin angesprochen zu werden) - da gab es eine stattliche Anzahl herausragender Synchronrollen. Mehrfach sprach sie Ingrid Bergman, pendelte dabei auch quer durch alle Beete ("Der Besuch", "Berüchtigt" oder amüsant in "Der gelbe Rolls Royce") - aber etabliert hat sich auf der Schwedin nie wirklich eine Sprecherin. Öfters hörte man sie in den 50ern für Lauren Bacall, das paßte hervorragend. Lana Turner, Barbara Stanwyck, Susan Hayward, June Allyson, nicht zu vergessen Rita Hayworth. Alle sprach sie des öfteren, auch Greer Garson, Maureen o' Hara, Shelley Winters oder Olivia de Haviland waren mit ihrer Stimme zu hören. Nicht regelmäßig, aber doch immer wieder. Auch Katherine Hepburn kam ohne Lauensteins Stimme nicht aus, zwar zunächst zögerlich, aber in späteren Jahren sehr häufig (wobei hier sicher "Am goldenen See" und "Das Korn ist grün" zwei besonders schöne Arbeiten sind). Für Deborah Kerr hörte man sie zweimal (was mir weniger zusagte), Lucille Ball sprach sie mit viel Sinn für Alltagshumor im bezaubernden "Deine, Meine, Unsere". Anne Bancroft sprach sie zweimal, war aber ein wenig zu alt für sie. Eine klassische "Beisszangen-Rolle" war die für Tsilla Chelton im schwarzhumorigen Film "Tante Daniele". Apropos Beisszange: Tilly Lauenstein sprach auch häufig Bette Davis, zum Teil in sehr schönen Rollen ("Am Ende des Weges", "Die Giftspritze"). Kindern war sie natürlich auch bekannt als Fräulein Rottenmeier in der Zeichentrickserie "Heidi". Als Hexen-Schwiegermutter in "Verliebt in eine Hexe" (Agnes Moorehead) war sie ebenso überzeugend, auch Viveca Lindfors stand sie gut zu Gesicht als schrullige "Frankensteins Tante" in der gleichnamigen Kinderserie. Eine ihrer originellsten Rollen war sicher die der Königin Anne in "Dotterbart"-denn die wurde von Peter Bull gespielt! Joan Crawford, Anna Magnani, Jeanne Moreau, Marlene Dietrich und natürlich Giulietta Masina dürfen nicht fehlen. Eine der letzten und bekanntesten Synchronrollen von Tilly Lauenstein war die alte Rose in "Titanic" (Gloria Stuart) - die Rahmenhandlung stellt schauspielerisch und akustisch das aus meiner Sicht einzige Highlight dieser filmischen Peinlichkeit dar.
Meine Lieblingsrollen von Tilly Lauenstein:
* Simone Signoret in allen von ihr synchronisierten Rollen, besonders mag ich "Anruf für einen Toten" und "Die Katze".
* Lauren Bacall in "Warum hab ich ja gesagt?" - das ist klassisch-pointierter, hervorragender Boulevard!
* Marlene Dietrich in "Zeugin der Anklage" - hier kann auch Tilly Lauenstein perfekt und eindrucksvoll drei vollkommen verschiedene Seiten ausleben.
* Claude Gensac in zwei "Balduin"-Filmen - eine tolle Frau, die von Lauenstein ideal frech, liebevoll, herrisch und leicht "crazy" gesprochen wird.
* Martita Hunt in "Geheimnisvolle Erbschaft" - einfach hinreissend tragisch und einsam!
* Vivien Leigh in "Das Narrenschiff" - perfekte Umsetzung einer in sich zerrissenen Persönlichkeit.
* Ava Gardner in "Die Nacht des Leguan" - sensibel, durchgeknallt, sexy-verrucht, wollüstig, einsam, das ist eine meiner Top 3-Rollen von Lauenstein!
* Melissa Stribling in "Dracula" - viktorianisch bieder, besorgt und versöhnlich, dann so mysteriös aufgebracht und "sexy".
* als Erzählerin in "Wer die Nachtigall stört" - das ist reine akustische Poesie, wie TL das macht. Kann man nicht oft genug anhören, den Anfang und Ende dieses Filmes. Das erzeugt eine unvergleichliche Stimmung!
Herrlich...eine meiner liebsten Sprecherinnen und in Zeugin der Anklage war sie in absoluter Hochform. Das Vergnügen die Dietrich und den grandiosen Laughton im Duell zu sehen war ebenso hoch wie Lauenstein und Wandrey zu hören. Am meisten werde ich mich aber an die "reifere" Stimme von Lauenstein erinnern die sie auch diversen Trickfiguren gab, sei es als garstige Mommy Fortuna in "Das letzte Einhorn" oder die liebenswerte Großmutter in "Mulan" !
Tilly Lauenstein hatte sicher das Glück, so lange aktiv sein zu können in wirklich prägnanten und sogar für die Publikumsgunst bedeutenden Rollen. So viele Vorbehalte ich gegen "Titanic" un alle Filme dieses größenwahnsinnigen Mr. Cameron habe-Tilly Lauensteins Synchronarbeit darin hat ihre Stimme einer ganz neuen Generation eingeprägt. Ihre Arbeiten an neueren, aber auch schon verehrten Animationsfilmen, trägt hier sicher zu einer größeren Bekanntheit bei. Ich glaube, daß sogar der Dauerbrenner "Heidi" (momentan zieht sich das die fünfjährige Tochter meiner Cousine mit ihren Freundinnen rein) für eine Art "Weiterleben" sorgt. Hört sich pathetisch an, oder? Ich denke, daß Tilly Lauenstein gerade durch die Arbeiten ihrer letzten 20 Jahre (und eben vieler "Klischeebesetzungen" als gütige Oma oder alter Drachen) länger "lebendig" sein wird in der breiten Masse. Viele namhafte Sprecherinnen (Marianne Kehlau, Gisela Trowe oder Ingeborg Grunewald) sind fast nur Kennern alter/älterer Filme bekannt. Tilly Lauenstein hat hier fast so ein generationenübergreifendes Paradebeispiel geschafft!
Und wie gern würde ich jetzt über eine meiner Lieblingsrollen reden und ihren Facettenreichtum darin - aber dann stehen ja nur schwarze Balken da...knurr! Dabei wissen doch eh 99% der Filmkenner wie da was läuft...
Zitat von fortinbras im Beitrag #5Und wie gern würde ich jetzt über eine meiner Lieblingsrollen reden und ihren Facettenreichtum darin - aber dann stehen ja nur schwarze Balken da...knurr! Dabei wissen doch eh 99% der Filmkenner wie da was läuft...
Handelt es sich zufälligerweise um die Rolle in einem Film, in dem sich auch Paul Klinger "facettenreich" zeigte?
über Zeugin der Anklage darf man doch auch ohne Sorge vor möglichen Spoilern sprechen - der Film hat mehr als 50 Jahre auf dem Buckel
Also fortinbras, leg mal los. Lauensteins Darbietung hier ist auch eine meiner Lieblingsrollen von ihr, wobei das Ganze dichtauf mit ihrer Leistung für Jessica Tandy in Miss Daisy und ihr Chauffeur liegt. Man, was hab ich bei Letzterem als Kind Tränen der Rührung verdrückt. Auch heute bin ich bei dem Film und Lauensteins Leistung immer noch hart am Wasser gebaut. Das Ende im Altenheim ...
Zitat von fortinbras im Beitrag #3 Sie ist aus der jahrzehntelangen Synchrongeschichte nicht wegzudenken - und doch stellt sich die Frage, ähnlich wie bei GGH oder Arnold Marquis, ob es da und dort nicht originellere Besetzungen gegeben hätte. Manchesmal wurde sie sehr inflationär eingesetzt, andererseits sprach das aber auch für ihre Versatilität und Professionalität im Beruf. Sie lieferte immer eine großartige Leistung und war relativ selten einmal fehlbesetzt. Persönlich empfand ich sie eher ab den 80er-Jahren als überpräsent in einem bestimmten Rollenfach.
Sehe ich im Grunde ähnlich, wobei ich sie eher vor allem in den 50ern etwas fehlbesetzt finde. So fand ich sie weder für Ingrid Bergman noch für Lana Turner und eigenen anderen wie Deborah Kerr und Rita Hayworth sonderlich passend. Da gab's genügend bessere Alternativen. Wesentlich besser fand ich sie für Claude Gensac, Jessica Tandy oder auch Marlene Dietrich. Recht witzig fand ich ihre kleine Rolle in "Goodfellas", wo sie die Mutter von Joe Pesci sprach. Keine besonders wichtige Rolle, aber eine derer, die geradezu nach Lauenstein verlangten. Sechs Jahre später in "Casino", wo die gleiche Darstellerin eine ähnlich gelagerte Rolle hatte, war's sie leider nicht mehr sondern Inge Wolffberg.
Lana Turner und Rita Hayworth konnte ich nie etwas abgewinnen, da störte mich Tilly Lauenstein nicht. Meine absolute Favoritin war sie definitiv bei Simone Signoret.
Sie war auch bei der Bergman nicht meine Favoritin (das sind Eva Vaitl und Marianne Kehlau), aber gefiel mir in "Berüchtigt" und "Der Besuch" sehr gut.
Mir scheint oft, als habe man sie in den 50ern irgendwie mal für jede einigermaßen bekannte Schauspielerin ausprobiert. Da kam sie mir schon ein wenig inflationär besetzt vor. Später besserte sich das dann.
Deborah Kerr zählt zu den wenigen, wo sie mir wirklich nicht gefiel. Für Doris Day galt dasselbe. Auch wenn sie mir in späten Jahren oft zu einseitig besetzt war, hatte das doch immer einen unnachahmlichen Reiz. Auch wenn es nur eine kleine Rolle war - da genügten wenige Szenen und man wußte sofort, warum ihre Söhne / Töchter so sind, wie sie sind (wenn sie etwa bissig besetzt war). Das habe ich bei vielen Schauspielern bewundert, in wenigen Worten Text eine ganze Lebensgeschichte hineinzuspielen.
Eine meiner absoluten Lieblings-Rollen von ihr war für Barbara Stanwyck in "Die Dornenvögel". Einerseits ist die Stanwyck natürlich fast magisch und ihre Präsenz (und Dominanz) bleibt trotz ihres Filmtodes bis zum Ende bestehen. In der deutschen Fassung liegt das aber auch sehr an Tilly Lauenstein, die diese Figur mit ebensoviel Leben erfüllt, wie die Stanwyck es selbst macht.
@ Jayden:
"Miss Daisy und ihr Chauffeur", das ist auch ganz wunderbar. Und wie eingangs erwähnt, ist es auch schön, daß hier noch so spät eine neue und erfüllende Synchronbeziehung entstand. Etwas frisches, irgendwie noch unverbrauchtes - kein mitgealterter "Altbestand". Eine Bühnenfassung des Filmes wurde hier in Wien recht erfolgreich mit Louise Martini gespielt. Sie war sehr gut. Sie war optisch perfekt. Aber irgendwie war/bin ich so vom Film geprägt gewesen, daß mir die einzig echte Stimme der Miss Daisy so fehlte...
Daß "Zeugin der Anklage" soviele Jährchen am Buckel hat, zählt nicht, wenns um die Verteilung schwarzer Balken geht. Die tauchen ja sogar bei noch älteren Filmen auf. Bisher hab ich's immer geschafft, mit Andeutungen und Rundherumreden den schwarzen Stellen zu entgehen, was mich dann und wann schon leicht frustriert.
Also dann...
Marlene Dietrichs erster Auftritt wirkt natürlich alleine schon durch ihre Präsenz. Dann, wenn sie redet, nimmt einen aber auch Tilly Lauensteins kühle, sehr bedachte und zwischendurch verächtliche Stimme in den Bann. Sie setzt sofort einen geheimnisvollen Ton fest, der irgendwie den Film prägt.
In der Rückblende, wo man sieht, wie sich die beiden im zerbombten Deutschland kennenlrnten, ist sie ganz anders. Bemerkenswert natürlich, daß nach dem englisch gesungenen Lied zwischen der Dietrichschen Gesangsstimme und Lauenstein kein Bruch entsteht. In den folgenden Dialogen kommt es mir fast vor, als würde sie eigene, nur allzu bekannte Erfahrungen der Nachkriegszeit einfliessen lassen. Sie ist einerseits hoffnungsvoll-optimistisch, aber doch auch absolut abgeklärt.
Vor Gericht wieder absolut kontrolliert, unterkühlt und mit einem Hauch Verachtung.
Später, in der Bahnhofshalle, das ist nicht ohne. Man denkt: ist sie das oder nicht? Wenn man die Dietrich sieht. Dasselbe ist auch stimmlich vorhanden. Sie hört sich tatsächlich an, wie eine alternde, verkommene Freudendame. Und vor allem ein Unterton gefällt mir hier, den man beim ersten Mal ansehen kaum registriert: die Begeisterung der Figur, jetzt ihre größte Rolle ausspielen zu können. Das fiel mir erst beim dritten, vierten Mal auf.
Der große Auftritt dann vor Gericht ist wieder ganz großartig. Diese Selbstsicherheit, die langsam in Unsicherheit und dann Verachtung übergeht. Vor allem das "Sie Teufel!" bleibt mir immer lange hängen...
Am Ende, wenn sie mit der Eiseskälte und Eleganz einer griechischen Tragödien-Figur, mit Anflügen von Selbstherrlichkeit und Größenwahn, dem zerknirschten Laughton alles offenbart, das ist einfach eine Synchronsternstunde. Und da kommt dann plötzlich diese eigentümliche Nuance von Emotionen für ihren Mann dazu, diese tiefe tragische Liebe. Der emotionale Ausbruch am Ende rundet das dann perfekt ab.
Ich habe diese tolle Synchronfassung von "Zeugin der Anklage" neulich mal wieder angesehen und da ist mir etwas aufgefallen. Als Una O'Connor, gesprochen von Agnes Windeck, in den Zeugenstand geht, muss sie den Eid schwören (ca. 01:02:00) Doch die Stimme klingt dort anders, ich denke nach Tilly Lauenstein! Hört ihr das auch so?
Der Satz liegt im Off, und es passiert gerade viel um Sir Wilfrieds Tabletten, deshalb habe ich das bei vielen Sichtungen nie gemerkt. Meine Vermutung: Der Take wurde vergessen und man kopierte Lauensteins Eid für Dietrich.
Das lässt sich anhand Deiner Timecode-Angabe ja schnell überprüfen – und ich bin ganz Deiner Meinung! Das ist eine leicht gepitchte Version des Eides, den Tilly Lauenstein bei ca. 1:12:00 spricht. Das Ganze ist noch dazu sehr stümperhaft gemacht: Bei der Amazon-Video-Fassung jedenfalls hört man deutlich, wie zugunsten der Lippensynchronität zwischendurch einfach Pausen eingefügt wurden, wo man sie gerade brauchte.
War denn das in früheren Fassungen auch schon so? Ich kann die DVD gerade nicht prüfen, aber aufgefallen ist es mir bei der ersten Sichtung nicht.
Kann es sein, dass dieses Stückchen durch Materialschaden verloren gegangen ist, also in der ursprünglichen Kinosynchro durchaus existierte? Wenn die Stelle direkt vor oder nach einem Umschnitt kommt, wäre das durchaus denkbar.
Man achtet da wirklich nicht drauf, Charles Laughton ist einfach zu "Raum einnehmend"!
Man muss dazu bedenken, dass im Vordergrund ja auch noch der Wecker bimmelt und das tut er auch noch wieder in die originale Fassung hinein. Ich denke man hat schon damals beim Schnitt gemerkt "Upps, da haben wir was vergessen!"
Dazu noch eine Frage. Ist bei den heutigen Ausstrahlungen eigentlich noch immer Heinz Petruo im Abspann zu hören?
Ich kann mir eigentlich beim besten Willen nicht vorstellen, dass man in dieser Zeit auf so eine Idee gekommen wäre – bzw. dass so etwas selbst bei einem kleineren Studio (hier war es immerhin die Ultra, und ja auch nicht irgendein Film) durch die Qualitätskontrolle gegangen wäre. Wenn der Fehler schon im Synchronstudio aufgefallen und Windeck nicht verfügbar gewesen wäre, hätte man doch auch einfach irgendeine andere Sprecherin nehmen können – wo man dieses Geschnipsel doch ebenfalls aus Aufnahmen einer anderen Stimme zusammengezimmert hat. Direkt auf einen Umschnitt folgt die Stelle auch nicht, da ist noch reichlich Vorlauf. Sehr merkwürdig.
Die einzige Idee, die ich im Moment noch habe: Könnte die Stelle irgendwann im Zuge des Austausches der deutschen Originaltonspur gegen den O-Ton bei reinen Geräusch- und Musikpassagen (ich habe nicht überprüft, wie bei diesem Film verfahren wurde, aber so etwas gibt es ja häufiger) durch einen Anfall von Übereifer verloren gegangen sein?