Zitat von kinofilmfan im Beitrag #9Das Harry Gieses Tätigkeit bei der DEFA doch recht umfangreich war, überrascht mich nicht wirklich. Auch der Arbeiter- und Bauernstaat bediente sich, genau wie die Bundesrepublik (und auch Österreich,) immer wieder gern der Kompetenz der "alten Kämpfer". Und gegen die meisten dieser Herrschaften war das Nicht-Parteimitglied Giese doch ein kleiner Fisch.
Mich hingegen hat es schon gewundert. Bisher dachte ich, dass Gieses Verschwinden von der "akustischen Bildfläche" genau damit etwas zu tun gehabt haben könnte. Er mag ein verhältnismäßiger "kleiner Fisch" gewesen sein, aber immerhin einer, der sich - durch die Durchhalteparolen über die siegreiche Wehrmacht - vielleicht besonders eingeprägt hat. Zudem konnte er nicht hinter verschiedenen Masken und Kostümen agieren wie viele Kollegen aus dem Filmgeschäft, sondern war ja fast nur als Stimme präsent.
Deshalb dachte ich, dass eben genau sein Wiedererkennungswert am Ende der 1000 Jahre auch das Ende seiner Karriere eingeläutet haben mag. Dabei fiel mir ein Zeitschrifteninterview mit Horst Naumann vor geschätzen 20 Jahren ein, in denen Naumen sinngemäß zitiert wurde, dass er nach seiner Flucht aus der DDR Probleme gehabt habe, Filmrollen zu bekommen, weil (hier das sinngemäße Zitat eines mir namentlich nicht mehr bekannten Produzenten) ein Film mit ihm dann nicht mehr in die DDR hätte verkauft werden können, weil man ihn da nicht mehr sehen wollte... Ob das so stimmt, weiß ich nicht - nur eben, dass es in der Zeitschrift so stand (den Artikel hatte bis vor 3-4 Jahren noch).
Das gleiche hätte ich mir bei Giese wegen seiner starken Assoziation mit der Wochenschau (akustisch war er damals sicher bei großen Teilen der Bevölkerung bekannt) gut vorstellen können. Doch eure Beispiele widerlegen das aber nun...
Zuallererst waren auch das meine Gedanken, aber dann habe ich festgestellt, daß sie nicht ganz halten. Einerseits weil sie eine eigenartige Ausnahme der Regel gewesen wäre, andererseits weil ich glaube, daß Harry Gieses Stimme im Rahmen der Synchronarbeit kaum aufgefallen wäre. Hier geht es schließlich um die Wiedergabe eines Charakters, ein Unterordnen der fremden Darstellung und nicht um Propaganda. Vermutlich werden bis auf ein paar einzelne Leute auch während des "tausendjährigen" Reiches die Wochenschau-Stimme kaum mit dem Synchronsprecher in Verbindung gebracht haben. Der Stil, wie man früher Wochenschauen oder Dokumentarfilme sprach, war ja doch im Verhältnis zur normalen Synchronisation etwas ganz anderes.
Wenn er mit seinen Orchideen sogar ins Fernsehen kam, wie Christoph aufgelistet hat, liegt vielleicht darin des Rätsels Lösung: die Orchideenzucht nahm ihn einfach so in Beschlag, daß ihn anderes nur mehr am Rande interessierte.
Zitat die Orchideenzucht nahm ihn einfach so in Beschlag, daß ihn anderes nur mehr am Rande interessierte.
Na ja, er war zwar von 1950 bis 1962 Vorsitzender der Landesgruppe Berlin der DOG (Deutsche Orchideen Gesellschaft), aber so etwas ist man ja eigentlich im Ehrenamt. Damit wird er kaum etwas verdient haben. Übrigens gehörte Paul Hörbiger zeitweise auch zu den Orchideenfreunden in Berlin.
Zitat die Orchideenzucht nahm ihn einfach so in Beschlag, daß ihn anderes nur mehr am Rande interessierte.
Na ja, er war zwar von 1950 bis 1962 Vorsitzender der Landesgruppe Berlin der DOG (Deutsche Orchideen Gesellschaft), aber so etwas ist man ja eigentlich im Ehrenamt. Damit wird er kaum etwas verdient haben. Übrigens gehörte Paul Hörbiger zeitweise auch zu den Orchideenfreunden in Berlin.
Paul Hörbiger war zu jener Zeit ja schon ein sehr vermögender Mann und der Garten war immer seine Leidenschaft, der Ausgleich zum Beruf. Ich wollte damit nur sagen, daß Giese vielleicht versuchte, mit seinen Orchideen eine ganz neue und andere Karriere zu machen. Die Leidenschaft kann ja oft...viele Leiden schaffen, wenn man sich reinsteigert oder nicht die notwendigen Mittel hat.
War ja auch nur eine Theorie, warum sich sein berufliches Schaffen so schlagartig verändert hat. Ein Einzelfall wäre es ja nicht unbedingt.
Das zu verallgemeinern ist sicherlich falsch. Mir sind schon Personen bekannt, die in den 1950ern im wörtlichen Sinne geflohen sind - auch solche, die dann zurückgebracht wurden. Es kommt immer auf die Person selbst, ihre Möglichkeiten und ihre äußeren Umstände an.
Wenn ich 1952 (wie Erik Schumann in dem Film) einen Russen getötet habe, würde ich dann auch nicht einfach durchs Brandenburger Tor marschieren. Der dargestellte "kleine Grenzverkehr" an der Grenze Thüringen/Bayern war zu der Zeit bestimmt noch möglich. Die komplzierten privaten Verwicklungen in diesem Film (er war bestimmt der einzige in Ost und West, der die deutsche Teilung einigermaßen fair darstellte) taugen dennoch nicht für eine Verallgemeinerung, finde ich. Als "Normalo" war es zu der Zeit kein Problem, die Systeme zu wechseln. Ich habe das als Kind als ganz normalen Vorgang mitbekommen: Eine Nachbarwohnung wurde ausgeräumt ("Die sind in den Westen abgehau´n!"), und wir warteten nur darauf, aus dem Müllberg brauchbares Spielzeug u. ä. rauszufischen. Schwieriger war das bestimmt für Geheimnisträger u. ä. und eben für Leute, die was auf dem Kerbholz hatten. Horst Naumann dürfte das wohl kaum betreffen. viele Grüße, Rolf
Wer sich für die Materie interessiert, sollte vielleicht mal den wunderbaren und seinerzeit als Skandal empfundenen Fernsehfilm "Besuch aus der Zone" ansehen, in dem Siegfried Lowitz aus dem Osten auf Besuch kommt. Gibt´s auf Dvd und ist trotz oder gerade wegen seiner unspektakulären Geschichte ein wertvolles Zeitdokument.
Es gab sicher verschiedene Arten und Anlässe, um in den Westen zu gehen. In einem interessanten Buch über die Berliner "Charite" war mal detailliert zu lesen, wie es damals den West/Ost-Pendlern ging und welcher Druck auch auf sie ausgeübt wurde, hier zu bleiben (sofern sie im Westen Berlins lebten). Aber das Hin und Her-Reisen war recht einfach, wenn auch immer mehr Drangsalieren auch an den Grenzen der Fall war. Auf Künstler traf das auch zu, von denen ja nicht wenige auch auf beiden Seiten arbeiteten. Ganz so dramatisch wird Naumanns Flucht nicht gewesen sein, wie es auf sicher viele zutraf. Aber es macht sich immer gut für einen absolut unpolitischen westdeutschen Künstler, in seiner Biografie eine "Flucht aus der DDR" zu haben. Ich will Herrn Naumann natürlich nicht unterstellen, das absichtlich so zu verzerren, es gibt ja auch die subjektive Wahrnehmung.
Einen hab ich noch gefunden: DEM MORGEN ENTGEGEN (CSR 1951/DE 1952) Übrigens taucht auch Karlheinz Brunnemann in den Synchro-Besetzungen dieser Jahre bei der DEFA auf.
In diesem Werbespot aus dem Jahr 1958 für den "Opel Kapitän" knüpft Giese nahtlos an seine Wochenschau-Karriere an - nur die Begleitmusik ist heiterer geworden: