Wenn es um westdeutsche Klischeebesetzungen geht, fallen mir sofort unzählige Namen ein samt entsprechendem Bezug zu einer Schublade.
Bei Ost-Synchronisationen bin ich generell "unterbelichtet" und bei so einem Thema erst recht.
Aufgefallen ist mir natürlich schon, daß man in Ostdeutschland teils gänzlich andere Besetzungsmuster hatte wie im Westen und viel mehr nach Rollen besetzte, als nach Schauspielern und Kontinuität - ist zumindest mein Eindruck.
Wie sieht's aber nun wirklich aus mit Klischeebesetzungen? Gibt es hier so Fälle, wo man gleich weiß, welche Stimme kommen wird?
Aufgefallen ist mir, daß Helmuth Schellhardt des Öfteren für monumentale Rollen besetzt wurde (ein wenig so nach dem Borchert-Prinzip). Klaus Mertens hörte ich sehr oft in betulichen Rollen und Ernst Meincke für noch jüngere Draufgänger. Mehr hat mein bescheidenes Ost-Repertoire nicht zu bieten, aber vermutlich gibt es hier auch gewisse Muster.
Silenzio erwähnte mal, daß man Hans-Joachim Hanisch gerne für Briten besetzte - aber war hier das Stimmenimage vergleichbar mit etwa jenem von Friedrich Schoenfelder?
Das typische Briten-Klischee ist für mich Wolfgang Lohse, der mindestens einmal auch die selbe Rolle sprach wie Lothar Blumhagen (und Thomas Reiner sprach den gleichen Schauspieler). Zu den typischen Helden wie Meincke zählte auch in manchmal phantasielosen Maße Michael Telloke und in Leipzig Walter Jäckel (dessen häufige Besetzung grenzte schon an Einfallslosigkeit), ebenso Peter Reinhardt. Der kauzige Alte war ab einem bestimmten Zeitpunkt fast immer Werner Kamenik. Und kaum ein Trickfilm ohne Karl-Heinz Oppel und Helga Sasse.
Gruß Stefan
fortinbras
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12.03.2015 11:27
#3 RE: Klischeebesetzungen in DDR-Synchronisationen
Danke für den ersten Einblick, leider habe ich wenig Bezug zu den Stimmen, auch wenn mir die Namen geläufig sind. Aber die Kette Lohse-Blumhagen-Reiner ist sehr aufschlußreich, da kann man sich gleich mehr darunter vorstellen.
Wenn das auch im Sinne von Klischeebesetzung ist: es gibt kaum einen französischen Star, der nicht irgendwann mal von Dieter Bellmann gesprochen wurde - z.B. Alain Delon, Robert Hossein, Jean-Louis Trintignant, Yves Montand, Jean-Pierre Cassel.
Ist in den meisten Fällen recht passend, wirkt aber unterm Strich trotz ein bisschen einfallslos. Ob's bei manchen passendere Alternativen gegeben hätte, sei mal dahingestellt. Wenn man länger überlegt, sicherlich.
Werden müssen haben gehabt ich Frage wer nicht nein. Ohje - ohne Übersetzungsprogramm geht's doch besser:
Ich möchte noch weitere Ausquetschungen vornehmen:
a) Gibt es Regisseure, bei denen von vornherein klar ist, wer den Helden, Antihelden, die Gute, die Böse, die Naiven spricht?
b) Die hier genannten Beispiele betreffen doch eher spätere Phasen der ostdeutschen Synchrongeschichte. Wie sah das in den 50er-60er-Jahren mit Kinofassungen aus? Habe ich das subjektive Empfinden durch einige Threads oder wurden z. Bsp. Norbert Christian und Hans Hardt-Hardtloff auch gerne für Franzosen besetzt?
Könnte man diesen Thread nicht mit dem bereits bestehenden "Klischee-Besetzungen"-Faden zusammenlegen? Außerdem kann man die einen oder anderen "RE-Spalten" ja flexibel wie oben zwischendurch umbenennen, was in anderen Threads ja schon gemacht wurde. Fortinbras, das wäre sicherlich in deinem Sinne ;).
fortinbras
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14.03.2015 00:09
#9 RE: Klischeebesetzungen in DDR-Synchronisationen
Grundsätzlich gebe ich dir recht, es gibt im Forum teils einen unübersichtlichen Wildwucher an Threads und ich habe auch schon vorgeschlagen, hier mal aufzuräumen. Also habe ich durchaus darüber nachgedacht, diesen Thread extra zu eröffnen.
Mir war/ist das Thema interessant und komplex genug, um es besonders hervorzuheben. Es gibt im Forum nur wenige, die wirklich kompetent sind bei Ost-Synchronisationen, die insgesamt immer noch stiefmütterlich behandelt werden. Es gibt hier meines Erachtens viel Aufholbedarf.
Das Interesse dafür ist sicher nicht sehr breit, es hat auch nicht immer jeder gerade Lust, etwas zu schreiben. Aber dieses Thema hat Potential und wenn es auch vielleicht dauert, bis wirklich Bewegung in den Thread kommt (er kann natürlich auch einschlafen), so sehe ich ihn als nicht vergeudet an.
Im Rahmen des Themenbereiches "Klischeebesetzungen" geht die Intention meines Threads rasch unter und der Komplex verschwindet. So, ohne mich jetzt irgendwie wichtig machen zu wollen, bleibt es ja irgendwo vielleicht hängen, daß es zu einem bestimmten Thema auch einen Thread gibt.
Und genau deshalb möchte ich ihn nicht an den anderen dranhängen - ich habe schon mehrere meiner Threads anstandslos bestehenden "untergeordnet", hier möchte ich das auf keinen Fall haben.
Zitat von fortinbras im Beitrag #7 a) Gibt es Regisseure, bei denen von vornherein klar ist, wer den Helden, Antihelden, die Gute, die Böse, die Naiven spricht?
Schwere Frage. Da fällt schon allein die Einteilung schwer, welcher Regisseur welche Sprecher/innen gerne besetzt hat (vielleicht mit Ausnahme von Dagmar Nawroth, wo man ihre Handschrift schon relativ sicher erkennt).
Ich denke, auf typische Heldensprecher wie Thomas Kästner, Ernst Meincke oder später Peter Reinhardt, Walter Jäckel griffen einige Regisseure zurück.
fortinbras
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15.03.2015 10:49
#11 RE: Klischeebesetzungen in DDR-Synchronisationen
GGH wurde ja auch nicht nur von Brunnemann für Agenten oder Helden besetzt, um ein Beispiel herauszunehmen. Das kann man natürlich nur in wenigen Fällen so ganz pauschal sagen, aber es gibt ja doch eine gewisse Zahl an Regisseuren, wo man in etwa weiß, wer welche Rolle sprechen wird.
Einige Heldensprecher, Briten und Franzosen hatten wir ja schon. Gab es auch die "schrullige Alte" (Ursula Krieg)? Den quängeligen Jungspund (Horst Gentzen)? Den Patriarchen (Paul Wagner)?
Insgesamt war das Besetzungsschema im Osten, denke ich, durchaus etwas anders gestaltet, aber Muster zu erkennen oder zu entdecken wäre ganz interessant.
Aber bitte keine Antworten aus Höflichkeit oder Gutmütigkeit.
Also, DER russische Held in den 60ern war zweifellos Eberhard Mellies. Die melancholische Variante desselben wurde häufig von Winfried Wagner gesprochen (als solcher tauchte er auch für Christopher Plummer in der sowjetisch-italienischen Co-Produktion "Waterloo" auf). Knorriger Patriarch war häufig Heinz Suhr (auch städteübergreifend), später Werner Dissel. Gerd Biewer wurde sehr häufig für zwielichtige Geschäftsmänner und überhaupt Kapitalisten eingesetzt. Fast nur für verschmitzte Rollen kam Rolf Ludwig zum Einsatz (jedenfalls nach meinem Eindruck). Eine sehr klischeehafte Heldenbesetzung in den 70ern neben Thomas Kästner war auch Jürgen Kluckert. Die schrullige Alte war am ehesten Trude Brentina, allerdings weniger nach Ursula-Krieg-Art, sondern eher Miss Marple, wie Agatha Christie sie sich vorstellte. Eine Zeitlang wurde gefühlt jede zweite schöne Heldin von Roswitha Hirsch gesprochen. Der häufig tattrige Alte war in den 60ern meist Fritz Links. Weniger rollentypisch an sich war Helmut Müller-Lankow wohl die "russischste" Stimme überhaupt, er war meinem Eindruck nach am häufigsten für handfeste russische Männer zu hören. Überdurchschnittlich oft hörte man Manfred Wagner als Erzähler. Absolute Trickfilmstimme in allen Lagen: Helga Sasse. Werner Ehrlicher war in den 60ern auf Schurken absolut abonniert, ab den 70ern differenzierte sich das deutlich. Joachim Siebenschuh hielt sich ungewöhnlich lang in jugendlichen Heldenrollen, wenn er auch nicht inflationär eingesetzt wurde - ähnlich der jung verstorbene Jörg Knocheé (aufgrund der enormen stimmlichen Ähnlichkeit der beiden auch ein Beispiel für Klischeebesetzung), Nummer 3 in diesem Bunde Michael Christian. Ob komisch oder ernst - Wolfgang Lohse wurde sehr häufig für blasierte Figuren wie auch für wahre Gentlemen eingesetzt. Und ein physisches Besetzungsmerkmal: Schauspieler mit Charakternasen hatten sehr häufig die Stimme von Willi Narloch - ein Bild von Narloch verrät auch, warum.
Aber bspw. für Horst Gentzen wüsste ich kein derart klischeehaft eingesetztes Pendant.
Gruß Stefan
fortinbras
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16.03.2015 11:28
#13 RE: Klischeebesetzungen in DDR-Synchronisationen
Danke für die detaillierten Ausführungen, das fand ich sehr interessant.
Dass es in der DDR kein Pendant zu Horst Gentzen gab, ist sicher zu verschmerzen.
Von Werner Dissel kenne ich kaum Synchronrollen, aber der war so ein Schauspieler, der mich total mitriss. In der Finalfolge von "Berühmte Ärzte der Berliner Charite" war er so eindringlich und menschlich, daß man ganz den propagandistischen Unterton der Sache vergaß. Ebenso in "Coming Out" beeindruckte er mich sehr, da blieb er mir sogar nachhaltiger in Erinnerung, als es bei den Hauptfiguren der Fall war.
Ich bin übrigens sehr froh, dass die "Miss Marple"-Reihe mit Joan Hickson eine Ost-Synchronisation hat. Gertraud Klawitter hat eine Stimme, die nicht nur zur Hauptdarstellerin perfekt passt, sondern die auch die Weisheit, die gelegentliche Wehmut, den Feinsinn und das immer noch vorhandene unschuldig-mädchenhafte der Miss Marple einfängt, die dennoch im Leben steht. Bei einer Westsynchronisation wären vermutlich Gudrun Genest oder Alice Franz eingesetzt worden...
Jeannot
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16.03.2015 13:44
#14 RE: Klischeebesetzungen in DDR-Synchronisationen
Wenn ich weiter in die 50er zurückgehe, dann ist es ganz klar Otto Mellies, der die Besetzung der positiven Helden beherrschte. Gesegnet mit einer sonoren Stimme und einer brillanten Aussprache faßte er auch fast die gesamten (wenigen) Weststars (Pascal, Mastroianni, Vallone, Meurisse, Pellegrin, Robert Mitchum) ab. Bei Jean Marais brachte er es auf eine bescheidene Kontinuität. Sein eifrigster Mitstreiter auf dem Gebiet der positiven Helden war schon eine Ausnahme – der Westberliner Kurt Ulrich, der vermutlich bis 61 nur für die DEFA arbeitete. Er wurde für die Sowjet-Publikumslieblinge Oleg Strishenow und Batalow eingesetzt. Eine bleibende Spitzenleistung gelang ihm für Bondartschuk (Ein Menschenschicksal) 1959. Er sprach auch für Gérard Philipe und Mastroianni. Als dritten der „großen Drei“ würde ich auch Eberhard Mellies bezeichnen. Weiterhin gehören in diese Sparte noch Horst Schön und die beeindruckende Stimme von Horst Drinda. Erstaunlich auch, wie viele Hauptrollen Heinz Palm sprach.
Interessant sind auch die Schurken-Stimmen, natürlich angeführt von Herwart Grosse, der auch in Kino und Fernsehen der Schurke vom Dienst war. Das gleiche gilt auch für Hannjo Hasse. Schufte von besonderer Qualität (auch solche mit komödiantischem Einschlag) sprach Fred Düren, der wohl mit seiner rauhen Stimme unter anderen Umständen im Western gut zu Hause gewesen wäre. Regelmäßig synchronisierte er den Tschechen Jiri Vrstala. Ein richtiger „hauptamtlicher“ Synchron-Schauspieler war Helmut Müller-Lankow. Für kraftvolle, tamperamentvoll bis heißblütige, oft bullige Typen (revolutionäre Matrosen u. ä.) war er die passende Besetzung. Er sprach auch für Mario Adorf und Ventura. Der leider früh verstorbene Norbert Christian war ein Glücksfall für jede Synchro. Vor allem im komischen Fach zu Hause sprach er mehrfach für die Komiker Memmo Carotenuto und Alberto Sordi.
Die „Alten“ waren oft mit Alfred Bohl (ein stimmlicher Doppelgänger von Hans Hessling) besetzt. Als schrulliger-Greis-Besetzung ist mir der 1960 ermordete Wolf von Beneckendorf in Erinnerung. Falls mit Gentzen „Jung-Männer-Stimmen“, nicht aber der krähende Jerry Lewis gemeint sind, fallen mir sofort Günter Haack (in den 60ern tödl. verunglückt), Dieter Perlwitz und die ganz jungen Ulrich Thein bzw. Kurt Kachlicki ein.
Die Macht der Regisseure bei der Besetzung schätze ich eher gering ein.
Einen schönen Querschnitt von DEFA-Klischee-Besetzungen bietet auf einen Schlag die sowjetische Komödie RETTE SICH WER KANN! (1961 synchr.).
fortinbras
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16.03.2015 14:12
#15 RE: Klischeebesetzungen in DDR-Synchronisationen
Das war ein schöner Streifzug durch die Geschichte der DDR-Synchronisation, danke.
In Westsynchronisationen durfte Heinz Palm ja nur selten größere Rollen sprechen, da fallen mir eigentlich nur Dermot Walsh in "Der Arzt und die Teufel" und Warren Oates in "Gauner, Kronen und Juwelen" ein.
Mit der Erwähnung von Horst Gentzen meinte ich nicht jüngere Männer generell, sonder mämmliche Quälgeister. Die von dir genannten Namen dürften wohl eher in die Kategorie Ost-Ausgabe von Dux, Stass und Draeger fallen.
Insgesamt gab es also schon deutlich klarere Überordnungen, als es auf den ersten Blick wirkt. Ich fand alle Beiträge hier sehr interessant und würde mich freuen, wenn das nicht schon der Schlußstrich war.