Dass ein Großteil von ausländischen, vor allem anglo-amerikanischen Filmen, die vor 1945 gedreht wurden, nie deutsch synchronisiert ins Kino kamen, ist ja historisch bedingt nicht so verwunderlich.
Es gibt aber auch eine ganz schöne Anzahl an teils erfolgversprechenden oder gar bedeutsamen Filmen, die es im deutschen Sprachraum nur ins Fernsehen schafften. Teilweise recht zeitnah zum internationalen Kinostart, manchesmal ein paar Jahre später oder gar erst nach Jahrzehnten.
Sicherlich gab es auch da und dort ein Überangebot und es kann nicht jeder Film ins Kino kommen, weswegen ich hier nicht endlos Titel auflisten will. Ich möchte mich hier gerne auf jene Filme konzentrieren, die geradezu prädestiniert gewesen wären für's deutsche Kino, aber nie ein solches erblickten.
Ein paar Beispiele:
"In den Wind gepfiffen / Woher der Wind weht" (1961) ist eine hervorragende Tragikomödie von Bran Forbes um eine Gruppe Kinder, die einen gesuchten Verbrecher versteckt in einem Stall finden und ihn für Jesus halten.
Der Film bot keine großen Kinostars, wenngleich Hayley Mills damals sehr bekannt war. Alan Bates hatte noch keinen Namen damals, auch wenn er die Hauptrolle spielte. Der Film war kein Riesenhit, aber hochangesehen und durchaus erfolgreich. Ins deutsche Kino kam der Film nicht - er wurde erst 1968 fürs Fernsehen synchronisiert.
Die Satire "Junger Mann aus gutem Hause" war 1959 ein enormer Kassenschlager in England und einigen Teilen Europas. Einige der Mitwirkenden waren damals auch in Deutschland bekannt: Peter Sellers, Terry-Thomas, Dennis Price, Richard Attenborough, Margaret Rutherford. Keine Stars, aber sehr bekannt mit erfolgreichen Filmen. Ins Kino kam der Film nicht, er wurde drei Jahre später für's Fernsehen synchronisiert.
1952 kam "Florence Nightingale" in die internationalen Kinos. Eine idealisierte Biografie der berühmten Krankenschwester, so richtig zugeschnitten auf das Hausfrauenpublikum der 50er-Jahre. Stoffe um Ärzte und Krankenschwestern kamen irgendwie immer an, aber auch dieser Film lief erst in den 60ern im Fernsehen synchronisiert.
Auch aus den frühen 50ern die Fimbiografie "Der wunderbare Flimmerkasten". Der unterhaltsame Film bot mit Robert Donat keinen Superstar für deutsche Verhältnisse, aber die Fülle an prominenten Gaststars wäre auch in good old Germany gut angekommen. Was mich aber besonders irritiert ist die Tatsache, dass Maria Schell eine große und bedeutende Rolle in dem Film spielt und die ja damals zu den Top-Stars des deutschen Filmes zählte. Dieser Film wurde tatsächlich erst in den späten 80ern synchronisiert.
"Das Schreckenscabinett des Dr. Phibes" war in den frühen 70ern ein überragender kommerzieller Erfolg, auch in Deutschland. Die nicht minder erfolgreiche Fortsetzung "Die Rückkehr des Dr. Phibes" ein Jahr später erblickte aber nie die deutschen Kinos, kam erst Ende der 80er auf Video raus und wurde im TV gezeigt.
"Die Einsamkeit des Langstreckenläufers" von 1962 ist auch so ein Film der "British New Wave", der seltsamerweise nicht in deutsche Kinos kam. Wenn das an der Brisanz des Stoffes lag, war das damalige Fernsehen offenbar mutiger, weil der Film sehr zeitnah für das Fernsehen synchronisiert wurde.
"Kindheit, Berufung und erste Erlebnisse des Venezianers Giacomo Casanova" (1968/69). Dieser wunderbare Film von Luigi Comencini ist auch erst 1977 für's deutsche Fernsehen synchronisiert worden, bald darauf gab es noch eine Fassung des DFF und in den 80ern noch eine weitere westdeutsche Synchronfassung. Der Film war an der Kinokasse sehr erfolgreich und wurde recht gut besprochen. Leonard Whiting stand damals noch immer Hoch im Kurs nach seinem "Romeo und Julia"-Kinohit. In einer größeren Gastrolle war Senta Berger zu sehen, die ja so ganz unbedeutend auch nicht war. Damals begann auch schon das Interesse an Sexfilmen. Der Film bietet durchaus "Verruchtes", ist aber viel eher ein ungewöhnlich realistisches Porträt des damaligen Lebens in Venedig. Aber da hätte man ja einiges herausschneiden können und den Sex-Effekt erhöhen, das kam ja nicht selten vor. Dieser leider recht unbekannte Film hätte meiner Meinung nach einen großen Kinostart definitiv verdient.
Das waren jetzt nur wenige Beispiele. Es gibt da sicher noch einige mehr...
Wobei für "Die Rückkehr des Dr. Phibes" gleich zwei Synchronfassungen für Video und TV erstellt wurden, die lt. Synchronkartei beide in 1986 entstanden sind. An einen solchen Fall (zwei fast zeitgleiche Synchros für denselben Film) kann ich mich ansonsten nicht erinnern.
Ganz oben auf der Liste steht für mich "Das Privatleben des Sherlock Holmes" - der einzige Billy-Wilder-Film der Nachkriegszeit überhaupt, der nicht in deutsche Kinos kam - und dabei doch einer seiner besten. Wenigstens erhielt er noch eine zeitnahe Synchro.
Gruß Stefan
fortinbras
(
gelöscht
)
Beiträge:
07.11.2015 00:59
#4 RE: Nachkriegs-Kinofilme, die seltsamerweise nur für's Fernsehen synchronisiert wurden
Dass "Privatleben" nie ins Kino kam, wunderte mich auch ständig. Wilder wurde ja gerade auch im deutschsprachigen Raum bereits damals sehr bejubelt und auch verklärt.
Dass der Film vorab im angloamerikanischen Raum kein Renner war, ist meiner Meinung nach nicht zwingend dafür notwendig, auf einen Kinostart zu verzichten. "Privatleben" war ein sehr europäischer Film. Man denke auch etwa an "Inferno und Ekstase", der in Europa enorm erfolgreich war, in den USA aber ein riesiger Flop. Immerhin kann man mit so einem Kinoeinsatz ja auch den Schaden minimieren.
Bei vielen solcher Beispiele ist es mir etwas schleierhaft, warum die nicht ins Kino kamen. Immer lässt sich das ja auch nicht mit der Brisanz eines Stoffes erklären.
Zitat von fortinbras im Beitrag #1 "Die Einsamkeit des Langstreckenläufers" von 1962 ist auch so ein Film der "British New Wave", der seltsamerweise nicht in deutsche Kinos kam. Wenn das an der Brisanz des Stoffes lag, war das damalige Fernsehen offenbar mutiger, weil der Film sehr zeitnah für das Fernsehen synchronisiert wurde.
In der BRD lief er nicht im Kino, ja, dafür aber einige Jahre später (1969) in der DDR mit eigener Synchro, u.a. Carl-Hermann Risse für Tom Courtenay.
fortinbras
(
gelöscht
)
Beiträge:
07.11.2015 01:21
#6 RE: Nachkriegs-Kinofilme, die seltsamerweise nur für's Fernsehen synchronisiert wurden
Dann hat man ganz offenbar das Potential und die Bedeutung des Filmes im Osten richtig eingeschätzt. Im West-Fernsehen wurde er ja auch etwas versteckt, die Reputation des Filmes kam wohl erst während der 70er mehr in den Vordergrund.
Dass nach dem großen Erfolg der ersten drei "Doktor"-Filme mit Dirk Bogarde und James Robertson Justice (der dritte lief sogar in den DDR-Kinos) die weiteren Teile nur im Fernsehen liefen (das auch noch so verspätet, dass mir lange Zeit nicht bewusst war, dass weitere Filme existieren und das sogar mit der originalen Star-Besetzung, zumindest was "Doktor in Nöten" betrifft), ist für mich ein Rätsel. Ob der mäßige Erfolg der "Carry On"-Filme an den westdeutschen Kinokassen daran schuld war?
Zitat von Gast im Beitrag #1Dass ein Großteil von ausländischen, vor allem anglo-amerikanischen Filmen, die vor 1945 gedreht wurden, nie deutsch synchronisiert ins Kino kamen, ist ja historisch bedingt nicht so verwunderlich.
Es gibt aber auch eine ganz schöne Anzahl an teils erfolgversprechenden oder gar bedeutsamen Filmen, die es im deutschen Sprachraum nur ins Fernsehen schafften. Teilweise recht zeitnah zum internationalen Kinostart, manchesmal ein paar Jahre später oder gar erst nach Jahrzehnten.
Sicherlich gab es auch da und dort ein Überangebot und es kann nicht jeder Film ins Kino kommen, weswegen ich hier nicht endlos Titel auflisten will. Ich möchte mich hier gerne auf jene Filme konzentrieren, die geradezu prädestiniert gewesen wären für's deutsche Kino, aber nie ein solches erblickten.
Ein typisches Beispiel, das komischerweise noch nicht erwähnt wurde, wäre "Die Braut des Teufels": Ansonsten wurden zu dieser Zeit (soweit mir bekannt ist) Hammerfilmen international vermarktet, auch in Deutschland liefen viele von ihnen sehr erfolgreich. Nach dem Erfolg von "Rosemarys Baby" wäre eine Vermarktung absolut logisch gewesen, verglichen mit manchen anderen Horrorfilmen aus dieser Zeit wirkt die "Braut" schon fast altmodisch und "zurückhaltend", Proteststürme kirchlicher Filmkritiker (wie "Filmdienst" und "Filmbeobachter"), mit denen noch wenige Jahre zuvor viele Horrorfilme überhäuft wurden, wären hier wohl nicht mehr zu erwarten gewesen und hatten einen Kinostart auch nicht verhindert. Dass dieser Film seine Deutschlandpremiere erst bei einer Fernsehausstrahlung 1990 erlebte, ist daher sehr überraschend.