Ein Thema, das meines Erachtens einen etwas genaueren Blick verdient. Denn es gibt offenbar kaum einen Fassbinder-Film, in dem nicht einer oder mehrere Schauspieler synchronisiert wurden. Er hatte sehr konkrete Vorstellungen vom Gesicht einer Rolle bzw. deren Stimme und nutzte die Synchronisation insofern auch als kreatives Stilelement. In einigen Fällen ließ er sogar langjährige Stammdarsteller wie Kurt Raab oder Irm Hermann von den eigenen Kollegen fremdsynchronisieren. Abgesehen von den Leuten seines "Clans", nahm er fast nur Münchner Synchronschauspieler. Neben seiner Bewunderung für die Stimme von Arnold Marquis, hatte er offenbar ein besonderes Faible für Wolfgang Hess. Er ist nicht nur auffallend oft in seinen Filmen zu hören, sondern u.a. auch als Bauleiter in "Ich will doch nur, dass ihr mich liebt" zu sehen.
Hier ein paar prominente Beispiele, welche Darsteller Fassbinder in seinen Filmen synchronisieren ließ. Für weitere Ergänzungen oder Samples bin ich natürlich dankbar!
Götter der Pest (1970) Jan George (Hannes Gromball)
Der amerikanische Soldat (1970) Jan George (Hannes Gromball) Margarethe von Trotta (Heidi Treutler)
Warnung vor einer heiligen Nutte (1971) Magdalena Montezuma (Irm Hermann) Lou Castel (Volker Lechtenbrink) Herb Andress (Manfred Seipold)
Händler der vier Jahreszeiten (1971) Kurt Raab (Peter Gauhe)
Whity (1971) Ron Randell (Herbert Weicker)
Wildwechsel (1972) Jörg von Liebenfels (Walter Sedlmayr)
Fontane Effi Briest (1972-1974) Ulli Lommel (Wolfgang Hess) Hark Bohm (Kurt Raab) Ursula Strätz (Renate Küster) Herbert Steinmetz (Arnold Marquis) Liselotte Eder (Rosemarie Fendel) Irm Hermann (Margit Carstensen) Andrea Schober (Eva Mattes)
Welt am Draht (1973) El Hedi Ben Salem / Eddie Constantine (Wolfgang Hess) Ivan Desny (Arnold Marquis)
Angst essen Seele auf (1973/1974) El Hedi Ben Salem (Wolfgang Hess)
Faustrecht der Freiheit (1974/1975) Ulla Jacobsson (Helga Trümper) El Hedi Ben Salem (Wolfgang Hess)
Mutter Küsters Fahrt zum Himmel (1975) Armin Meier (Wolfgang Hess) in kleineren Rollen: Leon Rainer, Ivar Combrinck, Eberhard Mondry, Jürgen Clausen, Rainer Werner Fassbinder (Pfarrer)
Satansbraten (1976) Marquard Bohm, der jüngere Bruder von Hark Bohm (Wolfgang Hess) Y Sa Lo (Elke Aberle)
Chinesisches Roulette (1976) Alexander Allerson (Erik Schumann)
Despair - Eine Reise ins Licht (1977/1978) Dirk Bogarde (Fred Maire) Hark Bohm (Horst Sachtleben) Ingrid Caven (Kerstin De Ahna) Roger Fritz (Berno von Cramm)
In einem Jahr mit 13 Monden (1978) Walter Bockmayer (Rainer Werner Fassbinder) Bob Dorsay (Wolfgang Hess)
Die dritte Generation (1978/1979) Eddie Constantine (Heinz Petruo) Bulle Ogier (Almut Eggert)
Lili Marleen (1981)(Dialogregie: Werner Uschkurat) Giancarlo Giannini (Fred Maire) Mel Ferrer (Helmo Kindermann) Roger Fritz (Christian Wolff) Daniel Schmid (Wolfgang Hess)
In "Wildwechsel", was ich mir gerade anschaue/-höre spricht sie sich wohl selbst ( weil sie sich an den lebhafteren Stellen, tatsächlich anhört, wie"Pippi Langstrumpf" mit bayerischem Dialekt). Ruth Drexel als ihre Filmmutter spricht mit ihrer eigene Stimme, aber der Vater (Jörg von Liebenfels) - laut Wikipedia "Liebenfelß") hat walter Sedlmayr. Die anderen schauspielerInnen sagen mir bisher nichts, beziehungsweise wer sonst evtl. fremdsynchronisiert worden sein könnte. HIER zu sehen:
Sorry, Brett vorm Kopf... Ich weiß schon dass manche Videos in D, Ö,CH usw. unter Umständen aus rechtlichen Gründen nicht verfügbar sein können; aber über diesen Hinweis auf "SME" und "GEMA" bin ich meiner Erinnerung nach in Österreich noch nie gestolpert - war mir neu. Edit: gestern bin ich zwei gesperte Musikvideos mit so einem Vermerk gestoßen, auf der Homepage eines ESC-Bloggers als ichmir gerade die von den Songs für die deutsche Vorentscheidung ansehen und v.a. -hören wollte[/quote]
Gestern habe ich gleich die ersten Minuten von "Angst essen Seele auf" gesehen (Youtube hat sich als eine Fungrube für Fassbinder-Filme herausgestellt). Mira hat Mira:) Auch die männliche Hauptrolle "Ali" hätte ich lieber vom Darsteller selbst einsprechen lassen (notfalls phonetisch), oder von einem arabischen Native, wenn sein Deutsch nicht ausgereicht hätte. Dieses Filmdrama hätte imho. authentischer gewirkt, als mit Wolfgang Hess, obwohl der seine Sache durchaus recht gut gemacht hat.
Zitat von Ohne Wiederkehr im Beitrag #13 "Film ist 25 mal Lüge pro Sekunde".
Der Satz ist super. Nur warum 25? Hat der Mann damals nur TV-Filme gemacht?
Ansonsten spielt Fassbinder ja offensichtlich in einem Großteil seiner Werke mit den Stimmen seiner Stammbesetzung, so dass es schon beinah verwundert, dass dies hier im Forum noch nie Thema war. Der Mann erkannte augenscheinlich die künstlerische Tragweite einer Synchronisation und nutzte sie - anders als sonst üblich - als Stilmittel und nicht zur Lokalisation ausländischer Werke. In einem Stück (war's das mit der heiligen Hure?) besetzte er nicht nur die Stimmen wechselseitig um, sondern auch die Rollen gleich mit. Film als experimentelles Reißbrett, wie es selbst im Theater nicht intensiver möglich gewesen wäre. Nicht immer überzeugend, aber stets eindrucksvoll.
Seh ich ganz genu so. Ich kann absolut verstehen, wenn man zu seinen Filmen keinen Zugang finet, aber sehenswert waren sie allemal und ich finde sie darüber hinaus auch noch großartig. Ich stelle immer wieder fest, dass ich mich in seiner sehr umfangreichen Filmographie viel zu wenig auskenne.
Warum er 25 mal pro sekunde gesagt hat, weiß ich auch nicht, aber der Satz wird so zitiert.