Bereits vor Jahren angekündigt stelle ich hier nun ein österliches Essay über diesen Filmklassiker online. Um es vorab klar zu stellen: Ich liebe diese ganzen klassischen Agatha Christie Verfilmungen, sei es mit Margaret Rutherford als schrullige Miss Marple, Ustinov in der Rolle Hercule Poirots oder Charles Laughton als Sir Wilfrid Robarts in Zeugin der Anklage. Sie alle sprühen vor Witz, großartigen Schauspielern und kurzweiliger Unterhaltung. In diese Kerbe schlägt auch Eine Leiche zum Dessert, ein Film, der dieses Genre auf anregende Weise persifliert. Die Krönung hier ist der exzentrische Millionär Lionel Twain, hinter dem sich der berühmte Autor Truman Capote verbarg. Ich bin überzeugt davon, dass er diese Rolle freudestrahlend übernahm, um auf diesem Wege der gesamten Industrie von Groschen-Kriminal-Schund, angeführt von Frau Christie, eine monumentale Schelle zu erteilen. Denn so toll all die erwähnten Filme auch sind - die Grundlage dafür ist wahrlich keine gehobene Literatur. Hier nun möchte ich es Capote, ihm zu Ehren, gleich tun.
Wir alle kennen das. In der ersten Sichtung eines Films lässt man sich von der Handlung und den Akteuren treiben und einlullen, der Unterhaltung wegen. Schaut man sich das Werk jedoch ein zweites mal an (oder öfter), so fallen einem eventuell Logikfehler auf, zeitliche Differenzen oder Handlungspassagen, die bei näherer Betrachtung aufzeigen, dass der Drehhbuch-Autor und/oder Regisseur nicht ganz so tiefgreifend gedacht hat wie der gewitzte Zuschauer, bzw. dass die literarische Grundlage schon nicht lupenrein gewesen war. Es kann halt nicht immer Tolkien sein, der in einer Schublade wahrscheinlich sogar den Lebenslauf der Kellnerin im Tänzelnden Pony sicherheitshalber aufbewahrte. Also, um endlich mal auf's Thema zu kommen, nehme ich ein einfaches Beispiel aus der Christie Verfilmung Das Böse unter der Sonne. Hier kann der geplante Mord nur erfolgreich über die Bühne gehen, wenn Patrick Redfern, als er mit seinem Tretboot den Tatort anfährt, einen Zeugen mit an Bord hat. Schließlich wartet seine Frau bis zum Hals fake-gebräunt im Sand und darf sich nicht rühren. Myra Gardener ludt sich allerdings SELBST zu dieser Spazierfahrt ein ... aus Gründen, die ich nicht einmal zu vermuten wage. Es war also KEIN Teil des Plans, was die ganze Geschichte absolut ins Wanken bringt.
Im Falle vom Orient-Express häufen sich diese Kinken geradezu, so dass ich vorab alle warnen möchte, die auch in Zukunft diesen durchaus unterhaltsamen Film konsumieren wollen. Es könnte den Genuss leicht schmälern.
Kommen wir zunächst zum Grundgerüst.
Da sind Mrs. Hubbard, Gräfin Andrenyi nebst Ehemann Graf Andrenyi, Prinzessin Dragomiroff, Colonel Arbuthnot und seine Flamme Mary Debenham. Nennen wir diese Personen einmal Gruppe 1, da sie in einem verwandschaftlichen oder engen familiären Verhältnis zueinander stehen. Gruppe 2 bestreiten Sekretär McQueen, Schaffner Pierre, Butler Beddows, Chauffeur Foscarelli, der Ex-Verliebte Hardman, Köchin Hildegard und das Kindermädchen Greta Olsson. Einmal kurz durchzählen und es macht 13, nicht 12 (nur mal so nebenbei). Das Ehepaar Andrenyi tätigt wohl gemerkt einen gemeinsamen Stich am Corpus! Ich fantasiere, dass Mrs. Hubbard nicht zu den 12 "Geschworenen" gehört, sondern als 13te die Rolle des Scharfrichters übernommen hat. Sollte es aber der Plan gewesen sein, dem Opfer exakt 12 Messerstiche zu erteilen, dann ist hier aber gehörig was falsch gelaufen.
Wie muss man sich den Plan jetzt eigentlich vorstellen? Harriet Hubbard beschließt also in einer zunächst kleinen Runde (also maximal Gruppe 1) den Rache-Mord an Cassetti. Sie wird wohl kaum kurz nach Verkündigung dieser Idee Chauffeur, Kindermädchen und Köchin in die Stube zitieren. Sekretär McQueen, psychisch labil und vor Liebe/Rachsucht blind und der trauernden & zu allem entschlossenen Vater Pierre, ok, das ist u.U. noch nachzuvollziehen. Auch beim treuen Butler mit Militär-Vorbelastung kann ich mir noch eine Einbindung vorstellen. Diese drei Personen haben schließlich auch den Löwenanteil an langwieriger Vorbereitung dazu treffen müssen, dazu gleich mehr. Aber die Köksch und das zur religiösen Vergeistigten verkommene Kindermädchen? Ein der Familie fremder Liebhaber? Macht sich gut, um das Dutzend + 1 voll zu kriegen, aber wenn ich einen Mord plante, ließe ich solche Risikofaktoren außen vor. Speziell bei Greta Olsson muss man sich dann aber fragen: ist ihre ganze fragile Gottesfurcht nur für Herrn Poirot gespielt? Selbst wenn man sie in so einen Komplott mitmachen ließe - würde sie überhaupt mitmachen, wenn ihre Gottesfurcht ernst ist? "Gottes Gebot ist gebrochen worden, Du sollst nicht töten!" sinniert sie bei der offiziellen Bekanntgabe des Mordes, die Bibel in der Hand - Mr. Bianchi steht hinter ihr. Das kann nur eine dieser nicht abgesprochenen Finten sein, die zur Verwirrung beitragen sollen. Wer hier verwirrt ist, bin ich. In Wahrheit würde Greta doch wohl eher die ganze Zeit den Mund halten und hoffen, dass bald alles zu Ende sei. Bergmann hat für die Rolle verdient den Oscar gewonnen. Die Figur selbst ist im Gegensatz dazu jedoch die unglaubwürdigste der ganzen Story.
In selbiger Groß-Szene bringt Prinzessin Dragomiroff eine schnippische Phrase auf Mrs. Hubbards Frage, ob der Schaffner nicht durch IHR ABTEIL musste, um den Mord durchzuführen. Zitat: "Ich kann mir keinen anderen Grund vorstellen, Madame." - eine böse Bemerkung, bedeutet sie doch im Klartext: "Als ob ein Mann DIR noch nachstellen würde!" Nun ist die Prinzessin aber eine glühende Bewunderin der großartigsten Schauspielerin aller Zeiten: Linda Arden (Mrs. Hubbard) und aufgrund dieser Bewunderung überhaupt nur in engerer Beziehung zu eben jener gekommen, ja bis zur Patentante hat es gereicht. Eine so derbe Floskel ihrem Idol entgegen zu klatschen, auch wenn es hier (offensichtlich) wieder der Verwirrung dienen soll, halte ich für untragbar. Auch hier hätte die Dame in Wahrheit wohl eher still geschwiegen.
Und damit komme ich zu Hariet Hubbard selbst, alias Linda Arden alias Miss Grün... äähm Greeeenw-w-woood. Von Lauren Bacall ebenso Oscarverdächtig inszeniert, verkörpert sie eine Schauspielerin, deren Talent wohl als makellos betrachtet werden darf. Als "Mutter" des ganzen Adelsgeschlecht ist sie mit Sicherheit wohlerzogen und mit der Etiquette der illusteren Gesellschaft vertraut. Doch statt die feine Dame zu mimen, gibt sie sich übermäßig vulgär und aufdringlich. Warum? Offensichtlich um ihre Herkunft und wahre Identität zu verschleiern. Dass Poirot die Maskerade schon frühzeitig erkennt, lässt er sowohl bei ihrer Befragung als auch jener der Prinzessin Dragomiroff erkennen - was der Zuschauer allerdings beim ersten Mal gar nicht mit bekommt, da er die Hintergründe (noch) nicht kennt. Das Problem, das ich damit habe, ist hier Mr. Bianchi, der Ms. Hubbard offensichtlich schon länger kennt und stets recht schnell das Weite sucht, wenn sie erscheint. Schlussfolgerung: Sie gibt sich nicht erst während DIESER Zugfahrt als Unsympathin aus, sondern spielt diese Rolle schon bedeutend länger. Wow, das nenne ich mal einen wirklich ausgeklügelten Plan .....
Der 5-Jahres-Plan:
Zurück zu Pierre, Butler Beddows und McQueen. Dass letzterer FÜR den Mordplan überhaupt erst in die Dienste Cassettis treten musste, lass ich mal so stehen. McQueen selbst tituliert dies eher als Zufallsbegegnung, aber sei's drum, wie es wirklich gewesen sein mag: irgendwie hat er es halt hinbekommen und hat dabei seine jahrzehntelang erlernte Schüchternheit wohl über Bord geworfen. Butler Beddows über eine Stellenvermittlung einzuschleusen ist nicht viel glaubwürdiger. Leider wird nicht erzählt, wie lange er schon in Cassettis Diensten stand, aber es dürfte wesentlich früher gewesen sein als McQueens Verpflichtung, und DER war nun schon ein ganzes Jahr in Cassettis Diensten. Hat es so lange gedauert, bis sich endlich eine Gelegenheit bot, ihn in den Orient-Express zu bekommen? Der Fall Armstrong ist unweit länger her, nämlich 5 Jahre. Vorausgenommen, Pierre war bei der Mordplanung noch NICHT Schaffner, bedürfte das Ergattern dieses Jobs ebenfalls einer langwierigen Vorarbeit. Zu einem "Concierge" der gehobenen Eisenbahnklasse muss man sich ja erst einmal hoch arbeiten. Aber hier könnte es natürlich ebenso gut sein, dass Pierre unlängst Schaffner gewesen ist und damit sogar ein Eckpfeiler des Plans, wenn nicht gar der Auslöser. Weiß man alles nicht und kann man aufgrund dessen gerne durchgehen lassen. Aber wackelig ist das Ganze, bös wackelig. Alles in Allem ist dies jedenfalls die längste Vorbereitungszeit, die mir in einem Kriminalstück je untergejubelt wurde, immer mit dem Hintergedanken, dass insgesamt 13 Personen darin verwickelt sind, die jederzeit (besonders Miss Olsson) Gelegenheit genug hatten, aus dem Projekt wieder auszusteigen, wenn sie nicht bei H.Hubbard mit Blut unterschrieben hatten.
NICHT durchgehen lassen kann ich aber, dass McQueen, der gerade wegen seiner Psychosen nun wahrlich den dicksten Brocken in der Inszenierung zu tragen hatte, dann so offensichtlich und vollkommen grundlos die Hosen runterlässt. Er gibt zu Protokoll, dass Cassetti vor irgend etwas floh und packt dann die Drohbriefe aus. Als Krönung gibt er später selbst seine engere Beziehung zu der Adelsbagage zu. Dies bringt Poirot überhaupt erst auf den Gedanken, den Mord mit ALLEN Zuggästen in Verbindung zu bringen, wie er selbst später bei der Lösung bemerkt. Wenngleich Poirots Erscheinen alle Beteiligten durcheinander gebracht haben mag, so spukte doch im Kopf McQueen mindestens ein Jahr lang gedanklich die Möglichkeit herum, nach dem Mord als Zeuge befragt zu werden. Jegliche Beziehung zu Mrs. Armstrong hätte er auf jeden Fall verschwiegen, psychische Labilität hin oder her.
Die Drohbriefe, natürlich, noch so ein Ding. Ich male mir aus, wie Mrs. Hubbard im großen Salon ihres Hauses alle Mittäter anweist: "Ach, wir müssen noch ein paar Drohbriefe schreiben, jeder muss EINEN Buchstaben drauf kritzeln." (um Himmels Willen). I KILL KILLERS und PREPARE TO DIE. 12 Buchstaben - wir erinnern uns, dass es ja 13 Personen sind. Wer hat hier NICHT unterschrieben? Wohlmöglich der Butler, der sich bereits in den Diensten Cassettis befand, während man in England inzwischen auch Küchenmagd, Kindermädchen und Chauffeur für die gute Sache überzeugen konnte!??! Auf dem letzten Drohbrief stand übrigens DAISY ARMSTRONG, das sind 14 Buchstaben *g*. Warum aber zum Teufel schreiben überhaupt alle 12/13 Beteiligten in individueller Handschrift diese Zettel? Damit stößt man doch unweigerlich auch einem weniger talentierten Detektiv die Lösung des Falls direkt ins Auge. Aber darüber ist Poirot wahrscheinlich ebenfalls schon rechtzeitig gefallen, ohne dabei die Zuschauer davon in Kenntnis zu setzen.
Der exzentrische Belgier, der ohne größere AHA-Erlebnisse den Armstrong-Fall als Grundlage dieses Mordes mit einbindet, kommt nur einmal zu einem Gedankenblitz. Der Arzt äußert nach der Befragung McQueens die Umschreibung "Gute Fee", welche Poirot schließlich ein großes Puzzle-Teil in die Hände spielt. Durch die deutsche Übersetzung ging diese Schlussfolgerung jedoch verloren. "Fairy Godmother" bringt den Detektiv zu "Godmother", zu deutsch "Patentante". Poirot fällt es in dieser Szene wie Schuppen aus den gewachsten Haaren, dass Prinzessin Dragomiroff ja die Patin der Armstrong-Tochter gewesen ist. So kommt er später bei der Befragung eben derselben ohne Umschweife auf die ganze Personal-Aufzählung. Als der Colonel später die Bemerkung mit den 12 Geschworenen macht, ist Poirots Erkenntnis-Erhellung dagegen nicht zu erkennen. Das alles fällt unter den Punkt, dass Poirots Rolle für meinen Geschmack ZU smart angelegt wurde und er dem Zuschauer immer zu weit voraus ist - was ich stark am Film kritisiere. Natürlich wurden gewisse Passagen genau so gewollt inszeniert, um den Zuschauer auf falsche Fährten zu locken, aber diese Aal-Glattheit tut dem Film insgesamt nicht gut. Die falsche Auswahl des Schauspielers und obendrauf die gänzlich falsche Besetzung der deutschen Synchronstimme verschlimmern die Sachlage nur noch.
Was hätte ich getan? Ganz einfach, ich hätte von meiner Villa aus dem kustvernarrten Cassetti am Telefon vorgegaukelt, ganz wunderbare Stücke für seine Sammlung im Keller liegen zu haben und ob er mal rumkommen wolle. Nee die eigene Villa fällt ja aus, die kennt er ja. Also eine anmieten, ähm Mist dann hab ich eine Leiche im fremden Keller. Öööhm, verdammt, das ist ja doch nicht so einfach ...
Ich hoffe, ihr habt Euch ebenso von meinem Geschreibe einlullen lassen und lest dies KEIN zweites Mal. Wer es doch tut und etwas dazu beitragen möchte, mit dem lasse ich mich gerne auf eine Diskussion ein.
Danke für diesen schönen Essay! Zu verschiedenen Punkten hätte ich in ein paar Stunden etwas zu schreiben.
Vorab zwei Sachen: Würde der Text nicht auch in den Thread über den Film passen? Und zum "Bösen unter der Sonne: Sicher ist dieser Punkt eine Ungereimtheit. Allerdings gibt es in der Buchvorlage eine mindestens ebenso große. Dort hat Arlena auf ihren Liebhaber Patrick gewartet, ist beim Anblick von dessen Frau in die Grotte geflohen und hat sich dort so lange versteckt, dass Christine sich verkleidet an den Strand legen konnte, um dort als Leiche entdeckt werden zu können. Davon hat sie nichts mitbekommen und wurde erwürgt, sobald Boot und Ehefrau verschwunden waren. Dieses Verhalten erscheint schon an sich kaum glaubhaft, und dass die Redferns das einkalkuliert haben sollen, erst recht nicht.
Vorab eine Vermutung: Ich nehme an, die Romanvorlage ist dir nicht bekannt? Dort gibt es nämlich einen Monolog von Mrs. Hubbard, in dem sie am Ende haarklein auflistet, wie der Plan zustande kam. Das Buch habe ich griffbereit und könnte ihn bei Interesse abtippen. Nun aber zu den von dir genannten Punkten: Als "Schund" würde ich Agatha Christies Werke (bei aller Schablonenhaftigkeit, die Figuren und Handlung mitunter haben konnten) nicht bezeichnen. Auch die Schelte von Lionel Twain (die ähnlich auch Raymond Chandler in einem Gespräch formulierte) konnte ich eigentlich nie ernst nehmen. Gerade in den Poirot-Romanen kommt es am Ende immer wieder vor, dass Poirot einem Gesprächspartner (oft Hastings) gegenüber erklärt, welche Aussagen/Spuren dieser eigentlich hätte erkennen müssen oder dass Poirot durchaus Hinweise gegeben habe, die aber nicht verstanden worden seien.
Was nun die Motive der Täter betrifft: Im Buch wird noch deutlicher, dass der Haushalt der Armstrongs vor dem Verbrechen eine große Familie war; auch die Angehörigen des Personals liebten das Kind wie ihr eigenes und sahen das Ehepaar als eine Art Ersatz-Eltern, weshalb sie deren Schicksal wie das eigener Verwandten traf. Während im Film gesagt wird, der Mörder habe die Identität des Drahtziehers erst enthüllt, als dieser das Land bereits verlassen hatte, war es im Buch so, dass Cassetti tatsächlich vor Gericht stand, aber (durch Bestechung, Erpressung und einen guten Anwalt) einen Freispruch bewirkte, wodurch er nach angelsächsischem Recht nicht mehr angeklagt werden konnte, was die "Familie" zusätzlich traf. Was Pierre Michels Rolle als Schaffner betraf: Die hatte er schon länger, weshalb man sich für den Zug als Schauplatz entschied. Aber mehr dazu wird im Monolog gesagt. Was Greta Olssons Frömmigkeit betrifft: Die ist (nach meiner Erinnerung) eine Hinzudichtung des Drehbuchs, ebenso wie McQueens Labilität und sein Mutter-Komplex. Was den Satz der Prinzessin betrifft: Vielleicht wollte sie um jeden Preis in ihrer Rolle bleiben, solange das Risiko besteht, dass jemand in Hörweite sein könnte (Bianchi oder der Arzt). In "Sherlock Holmes: Die Kralle" tritt der Mörder in mehreren Verkleidungen auf, unter anderem als hinkender Seemann; in einer Szene zieht er sein Bein auch nach, obwohl niemand im Raum ist, der das sehen oder hören könnte. Was die Briefe angeht: Die Idee mit den 12 Buchstaben ist eine (originelle) Hinzudichtung des Drehbuchs. Im Roman zeigt McQueen einen Drohbrief mit nichtssagenden Phrasen (nach der Marke "Sie glaubten, Sie wären uns entkommen? Wir werden Sie kriegen!" etc.). Poirot vermutet am Ende, dass der wirkliche Brief viel präziser gewesen sei. Im Film wird es so nicht gesagt, aber es könnte ähnlich gewesen sein. Dass McQueen seinen Bezug zur Tat ohne Not zugibt, ist wirklich ein krasser Fehler, zumal sie (anders als bei der Prinzessin) ansonsten nicht so leicht entdeckt worden wäre. Dass er nur durch Zufall angestellt wurde, dürfte wohl tatsächlich eine Erfindung sein, da Cassetti zu diesem Zeitpunkt bereits tot ist und nichts mehr zu den Umständen sagen kann. Beim Butler gibt es eine Ungereimtheit, die mir erst jetzt einfällt: Vor der Tat dürfte der Haushalt doch sicher von den Verbrechern ausgekundschaftet worden sein. Müsste er da nicht Namen und Gesicht des Butlers gekannt haben? Und selbst wenn nicht: Beddows wird der Agentur und seinem Dienstherrn doch sicher Referenzen und einen Lebenslauf vorgelegt haben, in dem frühere Arbeitgeber erwähnt wurden. Entweder war die Agentur eingeweiht, oder er hat seine Unterlagen gefälscht. Was Bianchis Reaktion auf Mrs. Hubbard betrifft: Genau wird nicht gesagt, wie lange der Zug schon unterwegs ist. Aber selbst wenn es der erste Vormittag ist, hat er sicher schon genug von ihrer Lautstärke mitbekommen, um ihr auszuweichen.
Die gefiel mir auch, gerade weil sie das Schuldgefühl der Täter noch besser herausgearbeitet hat. So hatte ich das Gefühl, dass sie hier fast an ihrer Überführung mitgearbeitet haben, weil die Schuld, ein Leben genommen zu haben, auf ihnen lastet. Das gleicht gewisse Schwächen in der Herleitung, die relativ einfach anmutet, etwas aus. Es waren eben keine gedungenen Mörder, sondern mehr oder minder gebrochene Menschen, die ein großes Unrecht sühnen wollten. Sie wirken schon früh, als laste ein immenses Gewicht auf ihnen.
Connery und Co. halten da viel mehr eine Fassade aufrecht, um nicht erwischt zu werden.
Da finde ich Branaghs Adaption am treffendsten, da deutlich tragischer. Dass Martin Umbach ein brillanter Akzent gelingt, trägt zum Genuss dann natürlich noch bei. Interessanterweise habe ich den Film vorgestern Nacht nochmal geguckt, um zu entspannen. Gefiel mir beim zweiten Mal sogar noch besser.
"Das Böse unter der Sonne" muss man dennnoch nicht neu verfilmen, ich halte die Ustinov-Adaption für einen perfekten Film. Diana Rigg kann man in ihrer perfekten Weiblichkeit einfach nicht rekreieren. Ustinov auf dem Höhepunkt, von Zeus persönlich arrangierte Kulissen, besser geht es nicht. Aber man wird sehen.
Ich habe neulich deine Filmanalyse mit einigem Interesse gelesen!:) ich halte es allerdings mit Verlaub für maßlos übertrieben, wenn du wegen ein paar oder meinetwegen mehreren Logiklöchern von der "Zerhackstückelung eines Klassikers" schreibst. Letztlich und endlich ist diesem Klassiker erspart geblieben, durch (zahlreiche) Schnitte "verstümmelt" zu werden.