Die deutsche Distributionsgeschichte des französischen Films "Alerte en Méditerranée" aus dem Jahr 1938 von Léo Joannon mit Pierre Fresnay und dem Österreicher Rolf Wanka in einer Hauptrolle gibt einige Rätsel auf. Der dichte und spannungsgeladene Film erzählt, wie ein französischer, britischer und deutscher Kapitän durch gemeinsamen beherzten Einsatz eine Katastrophe verhindern, die durch ein von Piraten gekaptertes Schiff, das Giftgas transportiert, hervorgerufen zu werden droht. In Frankreich errang der Film Platz fünf der kassenstärksten Filme des Jahres 1938 und für Deutschland war ein Kinostart zunächst für den 27.06.1939 unter dem Titel "Alarm am Mittelmeer" (auch "Alarm im Mittelmeer") vorgesehen, der dann jedoch verschoben wurde.
Die Zeitschrift "Die Bühne" berichtete aber noch in Heft 18 vom 25.08.1939:
Es heute ist unklar, ob diese Synchronbearbeitung lediglich disponiert war oder damals tatsächlich noch durchgeführt wurde. Fakt ist, dass der Film kurze Zeit später verboten wurde und im NS-Deutschland keine Aufführung mehr erlebte. Das für die Zeit ungewöhnliche völkerverständigende Element, dass ein Franzose, ein Brite und ein Deutscher alle persönlichen Ressentiments beiseite schieben um die Gefahrensituation gemeinsam zu meistern, passte nicht in die Stimmung zum Beginn des 2. Weltkriegs im September 1939.
So erlebte der Film erst mit 16 Jahren Verspätung, am 08.04.1955 unter dem Titel "Die grosse Entscheidung" seine deutsche Erstaufführung im Verleih der kleinen Lifa-Filmgesellschaft GmbH, München. Diese gab sehr bald ihre Geschäftstätigkeit auf und der Verleihbestand der Lifa wurde 1956 von der Herald Film Verleih- und Vertriebs GmbH, Düsseldorf übernommen. Dem Label Magic Picture ist es zu verdanken, dass der Film mittels einer der wenigen deutschen Kopien, die Zeit überdauert haben dürften, in ansprechender Qualität eine DVD-Veröffentlichung gefunden hat: https://www.jpc.de/jpcng/movie/detail/-/...ng/hnum/2935586
Die Identifizierung der deutschen Besetzung bereitet einiges Kopfzerbrechen. Beachtlich ist, dass Rolf Wanka sich in beiden Fassungen - so es sie denn gab - selbst synchronisiert hat und 1955 auch seinen persönlichen Bezug zum Film bei der deutschen Erstaufführung und Synchronisation mit einbrachte.
Man stolpert dann allerdings auch regelrecht über die Formulierung im Vorspann "Bearbeitung der deutschen Fassung". Das ließe sich durchaus auch so verstehen, als ob der Film 1939 doch bereits fertig synchronisiert worden wäre und man 1955 einer Kopie habhaft geworden wäre, die dann entsprechend den geänderten Erfordernissen der Zeit bearbeitet wurde. Völlig ausschließen, dass die vorhandene Fassung zumindest teilweise auch Material von 1939 enthält, kann und möchte ich nicht, auch wenn es eher unwahrscheinlich sein dürfte.
Hinsichtich der Laufzeit sind unterschiedliche Längen dokumentiert:
Deutsche Länge (28.06.1955) 2461 Meter = 89’57 (24 B/S) bzw 86’21 (25 B/S) Erhaltene 35mm Filmkopie 2397 Meter = 87’37 (24 B/S) bzw 84’06 (25 B/S) Franz. Länge (07.09.1938) 3000 Meter = 109’39 (24 B/S) bzw 105’16 (25 B/S) Franz. Länge (VHS 1991) 2408 Meter = 88’02 (24 B/S) bzw 84’28 (25 B/S)
Rätsel über Rätsel... Hat sich jemand schon einmal an der deutschen Besetzung des Films versucht?
Rein blind geurteilt würde ich sagen, dass Bearbeitung hier für Dialog und Regie gleichzeitig steht. Das im Vorspann genannte Graunke-Orchester wurde jedenfalls erst 1945 gegründet, kann also an der Ursynchro nicht beteiligt gewesen sein. (Da wäre es natürlich möglich, dass 1939 keine Musikbänder vorlagen und die Musik unter den Dialogen kurzerhand weggelassen wurden, dann aber 1955 zusätzlich neu eingespielt wurden, entweder nacharrangiert oder neu komponiert vom genannten tschechischen Komponisten, aber auch da glaube ich eher daran, das beides auf die 55er Fassung zutrifft.) Abgesehen von Rudolf Vogel, den mancher vielleicht noch im Ohr hat, halte ich es für unwahrscheinlich, dass in einer 55er Synchronisation aus München keinerlei vertraute Stimmen zu hören sind - das dürfte doch eigentlich einen recht klaren Hinweis geben, selbst wenn man die im Artikel genannten Schauspieler stimmlich nicht präsent hat.
Der Zufallsfund in der Filmzeitschrift hat mich veranlasst, mir den Film nun nochmals in voller Länge anzusehen - das hätte ich schon vor Verfassen des Beitrags tun sollen. Das ist eindeutig die Synchronfassung von 1939. Rudolf Vogel ist auf Raymond Aimos zu hören. Warum die ursprünglichen Urheber der deutschen Fassung 1955 verschwiegen wurden? Vielleicht hat es ganz profane Gründe wie ein findiger Kopf, der die alte Fassung dem Verleih als eigene Neuanfertigung teuer verkauft hat o.ä...
Die deutsche Fassung hat tatsächlich teilweise eine andere Musik als die französische Fassung; auch bei Szenen mit Dialog. Dass die Musik nachträglich eingefügt wurde, erscheint mir jedoch nicht stimmig. Kurt Graunkes Lebensstationen vor dem Krieg sind nicht sonderlich ausführlich dokumentiert. 1938 soll er in Berlin gewesen sein, völlig unmöglich wäre eine Mitwirkung an der Erstellung der deutschen Fassung 1939 bei der Bavaria in München zumindest nicht.
Offensichtlich ist, dass auch die französische Fassung nach dem Krieg manipuliert wurde. Die mir vorliegende französische Kopie trägt eine neu eingefügte Freigabe vom 14.03.1952 im Vorspann. Sie entspricht inhaltlich nicht zu 100% aber weitgehend der deutschen Kopie. Die französische Fassung war 1938 20 Minuten länger; dass dies auch für die deutsche Fassung von 1939 gilt, ist denkbar.
Clemens Brendels Beitrag zur überlieferten deutschen Fassung dürfte also in der Tat wortwörtlich zu nehmen sein als "Bearbeitung der deutschen Fassung" von 1939 in Form von Kürzungen bzw ggf. direkte Angleichung an die französische Nachkriegsfassung. Offensichtlich neu nachsynchronisierte Stellen sind mir nicht aufgefallen.