Steht ein Oscar Gewinner über dem Gesetz? Er hat vor 30 Jahren eine dreizehnjährige mit Alkohol und Drogen gefügig gemacht und sie dann sexuell missbraucht. Seit dem ist er in Europa auf der Flucht und wurde nun in der Schweiz festgenommen. Die Filmbranche ist empört und fordert seine sofortige Freilassung.
Dieses Unterforum besteht zwar bislang wirklich fast ausschließlich aus Synchron-bezogenen Themen, aber unter "Allgemeines" sollte man meiner Meinung nach auch tatsächlich sämtliche anderen Dinge ansprechen können, zu denen es einem in den Fingern juckt. Also kein Grund zur Kritik!
Die Empörung liegt offenbar darin begründet, dass die Verhaftung und infolgedessen die eingeleitete Auslieferung erst nach so vielen Jahren scheinbar plötzlich stattfindet.
Ich bin kein Justizexperte, trotzdem einige allgemeine Gedanken dazu: Anders als in vielen anderen Ländern verjährt Kindesmissbrauch in den USA nicht, und in der Schweiz scheint eine ähnliche Gesetzesänderung geplant zu sein. Nachdem vor dem Gesetz alle gleich sind, scheint das Vorgehen der Justiz berechtigt und die Empörung nicht.
Nun wollen wir uns aber von dem Buchstabenlaut lösen, da bekanntlich Gesetz nicht unbedingt gleich Recht ist. Wenn wir uns fragen, ob eine Bestrafung nach so vielen Jahren noch gerecht ist, wollen wir betrachten, was denn allgemein der Sinn einer Bestrafung ist, ob diese Punkte hier noch erfüllt sind und somit noch ein gesellschaftliches Interesse besteht:
1. Strafe im eigentlichen Sinne als Quasi-Ersatz für die überkommene persönliche Rache ("Aug' um Aug', Zahn um Zahn"): Der Delinquent muss für sein Vergehen büßen. Das Relevanz liegt vordergründig im individuellen Bereich (aber im Weiteren natürlich gesellschaftlich daran, dass Selbstjustiz generell ausbleibt.)
2. Strafe als Möglichkeit der Rehabilitation: Der Delinquent erhält die auferzwungene Möglichkeit über sein Vergehen nachzudenken, sein Fehlverhalten zu erkennen und sich zu bessern. Und somit wieder ein vollwertiges "brauchbares" Mitglied der Gesellschaft werden zu können. Davon profitieren Individuum und Gesellschaft gleichermaßen.
3. Strafe als Abschreckung: An dem Delinquenten wird ein Exempel statuiert, damit er selber, aber v.a. auch die übrige Gesellschaft davon abgehalten wird, künftig (jeweils vergleichbare) Verbrechen zu begehen. Die Relevanz ist ausschließlich gesellschaftlich.
zu 1) Das damalige Opfer hat Polanski längst verziehen. Man darf jedoch allgemein nicht außer acht lassen, dass Opfer ihr Opfer-Sein gar nicht als solches vollständig erkennen, was manchmal vielleicht sogar noch schlimmer ist. Trotzdem sieht es hier mehr danach aus, dass der Punkt nicht mehr geltend gemacht werden kann.
zu 2) Ich kenne Herrn Polanskis Privatleben nicht und weiß nicht, ob er vielleicht noch weitere, unbekannt gebliebene derartige Straftaten begangen. Da "Im Zweifel für den Angeklagten" gilt: Eine Flucht damals vor der Verurteilung scheint alles andere als für eine Einsicht zu sprechen, aber seitdem sind auch 32 Jahre vergangen und er SCHEINT nicht noch einmal einen solche Verfehlung begangen zu haben. Auch dieser Punkt scheint daher nicht mehr relevant zu sein.
zu 3) Eine Verurteilung eines solchen Prominenten hätte ohne Zweifel eine hohe Wirkmächtigkeit, und gerade in den USA wird dem Punkt der gesellschaftlichen Abschreckung ein hoher Stellenwert zugesprochen. Die Frage ist nur, ob der gewünschte Effekt auch in Relation zum vorliegenden Fall steht. So scheint es, dass der eigentliche Hintergedanke und damit der Sinn der Strafe ein etwas anderer ist, nennen ihn wir mal
3a Strafe als Demonstration der staatlich-juristischen Allgewalt, der kein Entkommen möglich ist und die in dem Zuge als unfehlbar postuliert wird. Eine Selbstpreisung, wie man sie sonst von Diktaturen oder totalitären Staaten erwarten würde.
Die Sache ist nur, dass die Punkte 1-3 nicht Roman Polanski zur Bewertung obliegen und auch nicht der Filmbranche. Man sollte also vielleicht festhalten, dass die *Verfolgung* von Kindesmissbrauch durchaus mit einem gewissen Sinn nicht verjährt, dann aber sehr gut darüber nachgedacht werden sollte, ob man nicht auf eine Bestrafung nach so langer Zeit verzichtet. In der Tat soll ein US-Richter unlängst das Angebot gemacht haben, den Fall ad acta zu legen. Man darf also nicht behaupten, in den USA sei man generell zur Überdenkung & Neuabwegung (und damit zu theoretisch echter Gerechtigkeit) nicht bereit und der Schweiz einen Vorwurf machen, sie habe dies blind und allzu hörig nicht sehen wollen. Erst wenn dann nach Abwägung der Lage eine auch international wirklich überzogen erscheinende Strafe verhängt wird, die mehr dem Punkt 3a als alles anderem zu dienen scheint, darf die Frage erlaubt sein, ob man dann bei den USA noch von einem freien Rechtsstaat reden darf, aber eben auch wirklich erst dann. Die Schweizer Justiz hat diese Reihenfolge beachtet.
Ich freue mich schon auf die Verarbeitung zu einer LAW & ORDER - Folge. (Obgleich eine Verteidigungsrede von BOSTON LEGALs Alan Shore sicherlich auch interessant gewesen wäre...)
Erstens liegt ein Haftbefehl vor, er wurde damals rechtmäßig verurteilt und hat die Tat auch gestanden. Danach Er ist aus den Staaten geflohen, und zwar aus der Psychiatrie. Zweitens Haftbefehle verjähren auch bei uns nicht. Stellt sich nun die Frage, wieso er sich 32 jahre lang in Europa frei bewegen und arbeiten konnte. Da gibt es doch Auslieferungsabkommen mit den USA. Er wurde also in Europa von Anfang an gedeckt, und seine Tat als Kavaliersdelikt abgetan. Wie beschämend ist das für alle anderen Opfer, ob nun von einem Promi vergewaltigt oder nicht.Ich kann auch nicht in einem schwachen Moment jemanden umbringen und dann aufschreien, wenn ich dafür zur Verantwortung gezogen werde. Und ob ihm sein Opfer nun vor kurzem, mit 45 Jahren, verziehen hat, tut hier überhaupt nichts zur Sache.
Richtig, was mich vor allem an der Berichterstattung stört: Die aktuellen Ereignisse werden als weiterer "Schicksalsschlag" nach dem Tod seiner Mutter im Konzentrationslager und einiger ähnlicher einschneidender Ereignisse bezeichnet, gerade so, als trüge Roman Polanski keinerlei Verantwortung an dem Vorgefallenen, sondern sei selbst umgekehrt das Opfer. *Das* wiederum ist eine groteske Verdrehung von Recht und Umständen und sollte eine weitaus größere Empörung nach sich ziehen.
Es mag durchaus stimmen, dass jemand schon Probleme genug hat(te), für die er einem leid tun kann. Und dann erscheint er einem natürlich umso bemitleidenswerter, wenn solch ein juristischer Paukenschlag so überraschend zu kommen scheint, vielleicht in zeitlicher und kausaler Folge einer verhältnismäßig geringen aktuellen Verfehlung - das ändert aber nichts an seiner Gerechtfertigkeit (gilt übrigens in einer diesem Forum weitaus näherstehenden Branche ganz genauso...)
Nach meiner Ansicht ist es ganz richtig, daß Straftaten - egal welche! - nach einer gewissen Zeit verjähren. Das ist in Deutschland so, alles außer Mord verjährt spätestens nach 30 Jahren, 'kleinere' Straftaten sogar wesentlich früher.
Denn es macht keinen Sinn, uralte Leute wegen ewig zurückliegender 'Verbrechen' noch auf die Anklagebank zu zerren. Auf die Gefahr hin, ins Fettnäpfchen zu treten: ich habe nie verstanden, warum man die mittlerweile weit über 80jährigen NS-Verbrecher heute noch in den entlegendsten Teilen der Welt sucht. Das ist doch eine rein abtrakte Sache, da hat niemand mehr was davon. Ein sinnloser Aufwand, der ins Leere geht, irgendwann muß einfach Schluß sein.
Prominenten-Bonus gibt's allerdings nicht - hätte man ihn damals verurteilt, wäre er genauso in den Knast gegangen wie jeder Andere! Aber jetzt nach 32 Jahren? Lächerlich!
Zitat von kogenta Auf die Gefahr hin, ins Fettnäpfchen zu treten: ich habe nie verstanden, warum man die mittlerweile weit über 80jährigen NS-Verbrecher heute noch in den entlegendsten Teilen der Welt sucht. Das ist doch eine rein abtrakte Sache, da hat niemand mehr was davon. Ein sinnloser Aufwand, der ins Leere geht, irgendwann muß einfach Schluß sein.
Fettnäpfchen? Euphemismus.
Polanski: Du fickst ein Kind, du wirst bestraft. Bußgelder fürs Falschparken verjähren zurecht. Wahre Schuld aber verjährt nie. Ab in den Knast mit ihm. Endlich wird ein widerlicher Missstand aus der Welt geschafft.
In Antwort auf:Bußgelder fürs Falschparken verjähren zurecht. Wahre Schuld aber verjährt nie. Ab in den Knast mit ihm. Endlich wird ein widerlicher Missstand aus der Welt geschafft.
Mit solch einer agressiven Antwort habe ich leider gerechnet!
DubberDuckDuck, ich bin absolut nicht der Ansicht, daß ich hier etwas verharmlose. Natürlich muß jeder für seine Taten gerade stehen, der kleine Parksünder genauso wie der blutrünstige Mörder. Aber nach 32 Jahren (oder bei meinem anderen Beispiel nach 65 Jahren) ist der Betreffende nicht mehr derselbe Mensch, denn er unterliegt ja einer Entwicklung, bei der ganz gewiß auch seine Taten aus der Vergangenheit eine große Rolle spielen (Dostojewski läßt grüßen!).
Mit gutem Recht kann man sich also fragen, ob eine Bestrafung nach so langer Zeit überhaupt noch zu vertreten ist und wem sie nützt. Eine Bestrafung nur aus 'Rache' oder 'Gerechtigkeit' zeugt doch nur von einer mittelalterlichen Geisteshaltung, die es zu überwinden gilt. Ich sehe auch nicht, wie dadurch ein Mißstand aus der Welt geschafft wird, denn die Tat bleibt ja bestehen.
Selbst ein lebenslänglich verurteilter Mörder kann nach 15 Jahren auf Bewährung wieder freikommen - und das ist auch völlig richtig, denn auch der ist inzwischen ein anderer Mensch.
Ein Gericht könnte Polanski anheim stellen, selbst zu entscheiden, ob und wie er diese Schandtat sühnen möchte. Ansonsten: Freiheit für Roman Polanski !! (Ich bin da ganz optimistisch, die Justiz ist nämlich nicht im Mittelalter stehen geblieben!)
Wie so oft liegt der tatsächliche Fall etwas komplizierter; Polanskis Schuldeingeständnis kam unter der Voraussetzung zustande, dass die von ihm abgesessene Untersuchungshaft als in toto-Abgeltung der "Tat" gerechnet werden sollte, evtl. um weiteres Aufsehen zu vermeiden und den Fall still und heimlich durch Zahlung eines Geldbetrags an die Kläger zu bereinigen. Diese Absprache wurde seitens des Richters, während Polanski in U-Haft war, für ungültig erklärt; die nächste Gelegenheit nutzte Polanski, jetzt einen für ihn gefährlichen Schauprozess als geständiger Kinderschänder fürchtend und auch auf Anraten seiner Freunde und seines juristischen Beistands zur Flucht nach Good Old Europe;
Zu klären bleibt, ob Polanskis Schuldeingeständnis purem Opportunismus geschuldet war (d. h. ohne die o g. Garantie evtl. nie in der Form erfolgt wäre).
Ansonsten ist das Ganze unappetitlich genug, dass ich Polanski zumindest eine saftige Bewährungsstrafe gönne - dass dabei jedoch die juristisch fragwürdige Handlungsweise der US-amerikanischen Justiz so gut wie unerwähnt bleibt, hinterläßt mehr als einen schalen Nachgeschmack.
Zitat von DubberDuckDuck Polanski: Du fickst ein Kind, du wirst bestraft. Bußgelder fürs Falschparken verjähren zurecht. Wahre Schuld aber verjährt nie. Ab in den Knast mit ihm. Endlich wird ein widerlicher Missstand aus der Welt geschafft.
Ob und was da nun geschieht wird ein Prozess klären (sollte es dazu kommen). Rein rechtlich gesehen stehen die Chancen für eine Bestrafung Polanskis nicht sehr gut (zumindest nach deutschem Recht). Jeder Anwalt wird ihm raten, sein damaliges Geständnis zu widerrufen und dann wird die Beweisführung nach so vielen Jahren sehr, sehr schwierig. Im Sinne des Opfers wäre es deswegen sicher angebracht auf einen Prozess verzichten, aber für Opfer interessiert man sich an Stammtischen in der Regel ja nicht.