Ich hab den Film in der O-Version gesehen und kann diese wärmstens empfehlen, wenn auch mit Untertiteln. Der irische - ich nenns einfach mal - Dialekt hat für mich extrem zum Filmerlebnis beigetragen ("Aye, that's some fecking shite from me donkey"). Bin gespannt, wie die deutsche Fassung wird, denke aber, dass die meisten Dialoge glattgebügelt sind.
Mit der O-Version erspart man sich auch das Doering-"Fiasko" :P
Meiner Meinung nach ja. Hab jetzt auch nicht alle Filme mit Farrell gesehen (u.a. fehlen da Highlights wie "Killing of a Sacred Deer"), aber was das In-die-Rolle-Schlüpfen, Gesichtsmimik und Situationskomik anbelangt, fällt mir grad nichts besseres ein. Der Film folgt auch gefühlt zu 2/3 eher Farrells Figur und nur zu 1/3 derjenigen von Gleeson. Man könnte argumentieren, dass Gleeson - gerade, weil seine Auftritte weniger häufig sind - ein bisschen zum Showstealer wird. Ist halt einfach ein toller Schauspieler. Wobei nein, die Show gestohlen hat für mich vor allem Kerry Condon, die im Film Farrells Schwester spielt.
Finde jedenfalls beide Protagonisten in diesem Film weitestgehend hervorragend geschrieben und passend besetzt.
SPOILER (Entschuldigt eventuelle Fehler, hab' diesen Beitrag in Eile geschrieben, um Zeit zu sparen)
Colm: „Ich glaube, ich versuche mich nur abzulenken, um das Unvermeidbare zu stoppen.“
Colm: „Is’ eben so, dass die Nettigkeit nichts ist, was überdauert.“
Die obengenannte Ablenkung besteht teilweise darin, dass Colm indirekt Padraic beschuldigt, dass er der Grund sei, dass er letztendlich nichts im Leben erreicht habe und deswegen die Freundschaft aufkündigt. Colm ist aus meiner Sicht nichts anderes als ein selbstzentrierter Wichtigtuer, der gelegentlich davon überzeugt ist, dass er kurz davor steht eine rekordbrechende Symphonie zu komponieren, die für ewig in den Köpfen der Menschen verweilen wird. Nachdem Colm eines Tages in der Bar mit seinem Halbwissen vor allen anderen in Inisherin prahlen und teilweise auch Padraic damit zurechtstutzen wollte, schritt überraschenderweise Padraics Schwester am Ende des Disputes ein und korrigierte Colm bezüglich des Geburtsjahres von Mozart - Colms Lieblingskomponisten.
Die Schwester identifiziert sich als eine langweilige Kreatur wie alle anderen auf Inisherin, doch ist sie es, die sich von allen anderen auf positiver Weise abhebt. Sie ist bodenständig und ist der Reflexion fähig. Am Ende des Filmes traut sie sich sogar die „Insel“ (Metapher für Ignoranz) zu verlassen und ihren Traum als Bibliothekarin zu leben, wohingegen Colm dies als angehender Musiker noch nie unternommen hatte, um seine Karriere voranzubringen. Selbst Dominic hat es geschafft auf eine sehr traurige Weise die Insel zu verlassen.
Nicht zur Akzeptanz kommen, dass Colm der Grund für sein eigenes Scheitern ist, und durch Selbstverstümmelung die Schuld in die Schuhe von Patrick schiebt, ist ein weiterer Schritt in Richtung Verleugnung und Narzisissmus seitens Colm.
Wenn man will ist der ganze Film eine Parabel. Während Colm gegen Ende des Film nicht nur seine einzelnen Finger verliert und damit auch seine Leidenschaft Geige zu spielen, sondern auf der anderen Seite auch seinen besten Freund, der ihn nun verabscheut, kommt Patrick endlich zur Einsicht. Er erkennt in ihm den Abschaum, der er geworden ist oder der er schon immer war. Er hat Colms Hund am Ende des Films nicht wegen Colm selbst gerettet, sondern weil er den Hund als Hund gesehen hat. Der verachtende Blick zu Colm ist die Bestätigung. Ein Rollentauch zwischen Colm und Patrick zum Schluss.
Meine Lieblingszene:
Nachdem Padraic alkoholisiert Collum in der Bar beschuldigt hat, dass er nicht mehr nett sei - gar womöglich sogar nie war - entschuldigt sich die Schwester bei Collum:
Die Schwester: (Gefühlvoll) Ich rede mit ihm, Colm. Du brauchst keine drastischen Maßnahmen zu ergreifen. Colm: Schade, er war noch nie so interessant, mein’ ich, schätze jetzt mag ich ihn wieder.
(Einige im Hintergrund lachen verhöhnend. Die Schwester stellt erschütterlicherweise fest, dass Collum Padraic nur am Finger herumführt. Collum sagt diesen obengenannten Satz mit solch einer apathischen Leichtigkeit, während Padraic wirklich seelisch an der Trennung zwischen ihm und Colm leidet.)
Die Schwester reagiert schlagfertig, indem sie Collums fälschliche Aussage über Mozarts Biografie vor allen anderen korrigiert und ihn damit bloßstellt.
Eine unscheinbar emotionalgeladene Szene! Weil man als Zuschauer sofort denken würde, dass Collum sich jetzt alle Finger abschneiden wird, weil er wahrhscheinlich sich durch Padraic wieder belästigt fühlt. Doch ist es anscheinend keine Belästigung, sondern vielmehr eine Belustigung für Colm. Man könnte sagen Padraic fungiert in dieser Szene als Hofnarr.
Die Anpielung auf den Irish Civil War möchte ich unter den Tisch kehren. Mit anderen Worten ist er zu vernachlässigen. Diese Anspielung dient aus meiner Sicht nicht um die Botschaft des Filmes zu tragen, sondern fungiert eher als kleines Detail für die Atmosphäre. Lückenfüller.
Was soll es denn sonst sein? Gut, gehen wir davon aus, dass es von Wichtigkeit zeugt: Der Polizist spiegelt die unbedachte Meinung der meisten irischen Katholiken der Mittelschicht wieder. Keine Vernunft. Jedem ist gleich worum es in diesem Krieg geht. Man will nur einmal aus dem langweiligen Alltag entkommen und kämpfen. Wer gegen wen kämpft ist unwichtig. An welcher Stelle des Filmes wird es ersichtlich?
Verkäuferin: Was gibt es neues, Peadar? (Peadar: Polizeibeamte in Inisherin, der seinen Sohn kontinuierlich misshandelt) Peadar: Drüben hat sich jemand umgebracht. Ein anderer Kerl, Protestant natürlich, hat seine Frau erstochen.
Andere Szene:
Peadar: Die Freistaatler richten ein paar Kerle der IRA hin. Oder war es andersrum vielleicht. Ich komme da gerade nicht hinterher. War es nicht viel einfacher als wir alle zusammen die Engländer kalt machen mussten. Colm: Und dir ist gleich wer wen hinrichtet? Peadar: Ja, für 6 Schilling. Ich würde das auch für umsonst machen. Ich würde sogar dich (Colm) kaltmachen. (Lacht)
Fazit: Wenn man die Geschichte als eine Art Lehrfilm für das Fachgebiet Psychoanalyse ansehen will, ist man vielleicht halbwegs auf dem richtigen Pfad. Die Anspielung auf den Irish-Civil-War ist nett aber nicht richtungsweisend für die Handlung. Witzige Momente gibt es, die jedoch eher für ein Schmunzeln sorgen als für einen Lacher. Das Hauptthema ist nicht wahrlich komplex und jeder besonnene Bürger hat sich mit den Fragen, die im Film gestellt werden, beschäftigt - sei es als Jungendlicher, Heranwachsender, junger Erwachsener etc.. Empfehlenswerter Film. Netter Zeitvertreib.
Leute, übrigens schreibe ich diesen Beitrag nicht, weil ich diesem Film so unglaublich vergöttere, sondern weil die Synchronisation einer der Besten ist, die ich letzter Zeit zu Gesicht bekommen habe. Alexander Doering auf Farrell ist das Beste was je passieren konnte. Ich gebe zu, es hat 20 Minuten gedauert bis ich nich daran gewöhnt habe, doch es war pures Schauspiel. Doering hat mich emotional mitgenommen. Es gibt wirklich viele Szenen, die einen das Herz rausreißen und die Synchronisation hat seinen Beitrag dazu geleistet!
EDIT: Der Film zieht sich natürlich in die Länge, denn wenn das nicht geschehen würde, würde der Film nicht funktionieren. Aus dem Fenster möchte ich mich lehnen und behaupte mal, dass Filmkritiker heutzutage einfach mit spannungsbeladenen Filmen reichlich desensibilisiert sind, sodass sie sich anderweitig umschauen. Schlichtgemachte bodenständige Filme mit einer Fülle an Monologen, die den durchschnittlichen Menschen romantisiert widergeben, der widerum in der wunderschönsten Pampa der Welt wohnt, wirken fesselnd für Kritiker in Metropolen. Dann ist es kein Wunder, dass solch Kritiken auftauchen:
Peter Bradshaw from The Guardian gave the film four out of five stars writing that "as a study of male loneliness and swallowed anger it is weirdly compelling and often very funny“.
Es ist viel mehr ein zu spät erschienener Coming-of-Age für Erwachsene.