Die Zukunft, oder anders: die sich verändernde Gegenwart, bringt nun mal Veränderung mit sich.
Ansonsten müssten Farbige noch hinten im Bus sitzen, Frauen ihren Mann fragen, ob (und was) sie arbeiten dürfen - und so weiter und so fort. Das Leben verändert sich und uns ständig - so soll es auch sein. Es kommen noch ganz andere Veränderungen auf den Menschen zu. Dies ist ein intellektuell durchaus interessanter erster Ausläufer eines nahenden Entfaltungs-Tsunamis.
Ist es nicht eigentlich recht schön, dass die Technik Grenzen des Möglichen neu definiert? Die Knospen einer neuen globalen Nähe erblühen?
Letztlich ist sogar der Standpunkt vertretbar, dass man fortan die Originalvision noch präziser eingefangen wird. Das Heranholen an die deutsche Sprachwirklichkeit geht ja nicht verloren, da die Texte aus deutscher Hand entstehen. Allerdings entfällt - so könnte man argumentieren - ein Qualitätsverlust durch die Interpretation eines deutschen Schauspielers.
Vielleicht kann die neue Hochpräzision diesen "Lost in Translation"-Faktor mindern. Natürlich kann man diesen Faktor allerdings auch als kulturellen Mehrwert sehen.
Ein bittersüßer Aspekt, gewiss. Das Zahnen macht auch Kindern keinen Spaß. Nur ist danach sowohl ihr Biss wie auch ihr Lächeln schöner ...
Ich bin mir nicht sicher, ob man nach drei, vier Jahren Anwendung des Digital Dubbing nicht im Rückblick über die Synchronisation so denken wird wie über die Langspielplatte oder die Videokassette oder die Draisine. Ein Trägermedium, das seine Zeit hatte.
Und ich liebe Synchronisation - das als Disclaimer. Ein Steckenpferd seit meiner frühen Jugend. Der Punkt ist vielleicht, dass es eben eine neue Art Synchronisation sein wird. Die sich nebenbei bemerkt mit dem Abtreten der "Altriege" fast überschneidet.
Sprache und Stimme sind in Kulturen verankert. Da zu mitteln wird es immer echter Menschen bedürfen. Ein Tom Cruise KANN nicht deutsch sprechen.
Ich setze da auf die Trägheit des Marktes (gerade des deutschen). Der ist zwar im Interesse an Kunst und Komplexität weit entfernt von den ätherischen Höhen unseres elitären Kreises oder der Gilde. Aber zum Glück auch unberechenbar für die in ihrer Weltwahrnehmung beschränkten CEOs und Entwicklungsheinis.
Mit Leuten, die solche Projekt vorantreiben, zu diskutieren, ist, als unterhielte man sich über Farbenlehre mit einem Farbenblinden - ach was sag ich: einem gänzlich von Geburt an Blinden.
Dass sie es natürlich trotzdem versuchen, steht völlig außer Frage. Bei einem Teil der Marktmasse wird das auch hinreichend durchgehen. Der ganz Rotz, aus dem überwiegend die Arbeit von LU und Co. besteht, kann dann z.B. wegfallen.
Im Übrigen denke ich allgemein: Wer Originalfassungen schaut, tut dies überwiegend nicht, weil er besonders an Authentizität interessiert wäre, sondern weil er die Exotik genießt. Das sind aber nur die wenigsten. Für die meisten anderen ist Synchronisation eher sogar der Schutz vor allzu viel Authentizität oder, um es mal ganz plakativ zu sagen, (kultureller) Überfremdung. (Aber gerade deswegen auch die bestmögliche kulturelle Brücke.)
Ich wage übrigens mal eine gegengerichtete Prognose: Wenn Synchronisieren nun ein Klacks wird, dass selbst Amis es beherrschen könnten, sehe ich es eher kommen, dass man auch drüben immer häufiger mal sagt:
"Hey, der Typ sieht zwar ganz nett aus... aber könnten wir ihm nicht vielleicht eine etwas coolere Stimme verpassen?"
Und dann ist es mit Authentizität sowieso Essig.
(Man muss sich eingestehen, dass Filmsynchronisation zeitlich ein Sandkorn in der Menschheitsgeschichte darstellt. Filme an sich allerdings auch, und zwar nur unwesentlich länger. Vielleicht, wenn die Ressourcen irgendwann erschöpft sind, wird es sie gar nicht mehr geben und die Zivilisation muss sich um ganz andere Dinge Gedanken machen. Aber Glück im Unglück: Solange es Filme noch gibt, wird es voraussichtlich zumindest ökologisch verträglicher sein, Menschen als Ressourcen einzusetzen, denn aufwendige Rechenoperationen durchführen zu lassen. Und mit noch etwas Glück erkennen Bereitsteller technischer Ressourcen irgendwann, welch Goldgrube sich für sie auftut, bis Entscheider zu dem Schluss kommen, dass es doch finanziell günstiger ist, uns Synchronleute auszubeuten. Und ist es nicht letztlich das, worum es immer schon ging?)
Was machen eigentlich die ganzen "Ich schaue nur-OV"-Selbstdarsteller, sobald ihr Schauspieler plötzlich mit seiner "eigenen" Stimme perfekt deutsch spricht? Wäre das nicht ein wenig entlarvend, wenn sie dann trotzdem noch OV schauten?
Wenn sie das „Original“ schauen wollen, spielt das doch keine Rolle, ob die Schauspieler auch in der deutschen Fassung vermeintlich perfekt mit ihrer eigene Stimme zu hören sind. OV reduziert sich ja nicht nur auf die Stimmen. Eine Übersetzung bringt immer eine Form von Veränderung mit sich, egal wie akkurat sie ist. Dass manche Menschen das ablehnen gilt es doch genau so zu respektieren, wie dass sich manche bewusst für Synchron entscheiden.
Zitat von N8falke im Beitrag #20Eine Übersetzung bringt immer eine Form von Veränderung mit sich, egal wie akkurat sie ist. Dass manche Menschen das ablehnen gilt es doch genau so zu respektieren, wie dass sich manche bewusst für Synchron entscheiden.
Gutes Stichwort: Theoretisch könnte man auch versuchen, Bücher in Zukunft durch KI übersetzen zu lassen, wodurch der Beruf des Übersetzers überflüssig würde. Bei naturwissenschaftlichen Texten mit einem klar definierten Wortschatz wäre das sicher möglich - aber bei Literatur oder gar Lyrik?
Zitat von Ozymandias im Beitrag #17Ich bin mir nicht sicher, ob man nach drei, vier Jahren Anwendung des Digital Dubbing nicht im Rückblick über die Synchronisation so denken wird wie über die Langspielplatte oder die Videokassette oder die Draisine. Ein Trägermedium, das seine Zeit hatte.
Andererseits gab es um 1990 auch Versuche, zahlreiche s/w-Klassiker in colorierter Fassung "moderner" zu gestalten (Ausschnitte oder sogar komplette Beisiele gab und gibt es imemr mal wieder auf Youtube zu sehen). Etablieren konnte sich das nicht, und mittlerweile dürfte es schwer sein, an manche dieser Fassungen heranzukommen.
Zitat von Ozymandias im Beitrag #13Die US-Studios arbeiten also mit großer Geschwindigkeit daran, ihre internationalen Dubbing-Sparten via KI-gesteuerter In-House-Produktion nicht mehr auszulagern.
Tom Cruise in allen Sprachen. Per KI mit angepassten Lippenbewegungen, oder eher: komplett angepasstem Gesichtsschauspiel inklusive Lippen. In Perfektion.
Will man damit zugleich die Veröffentlichung auf DVD/BD einstellen? Denn andernfalls müsste man ja jeden Film auch mit unterschiedlichen Mastern veröffentliche, wenn man ihn in verschiedenen Sprachen herausbringen will.
Physische Medien werden ja auch im Film- und Serienbereich immer mehr eine reine Liebhaber-Angelegenheit und somit Nische. Dass mit den unterschiedlichen Mastern ist aber ein guter Punkt. Das schließt ein Einheitliches, wo nur die Tonspuren hinzugefügt werden müssen, ja aus. Man stelle sich vor, dass jede Tonfassung ein separates Bild hat - für die langfristige Erhaltung auf Dekaden hinaus eine zusätzliche Herausforderung.
Daher bezweifle ich allerstärkstens, dass bei KI-Lokalisierungen die Lippenbewegungen an die jeweilige Sprache angepasst werden. Es wäre ein zusätzlicher Aufwand ohne echten zusätzlichen Nutzen.
Die Frage ist dann, ob man in Sprachräumen wie dem niederländischen, dänischen, schwedischen, norwegischen oder finnischen weiterhin vorwiegend auf Untertitel setzt oder einen Tom Cruise mittels KI niederländisch parlieren lässt.
Und wird aus der Einbahnstraße aus dem englischen Sprachraum nun eine mit Gegenverkehr, und deutsche Produktionen fluten künftig auch den englischen Sprachraum, selbst wenn es weder um das Dritte Reich noch um die deutsche Teilung geht?
Zitat von Norbert im Beitrag #25Und wird aus der Einbahnstraße aus dem englischen Sprachraum nun eine mit Gegenverkehr, und deutsche Produktionen fluten künftig auch den englischen Sprachraum, selbst wenn es weder um das Dritte Reich noch um die deutsche Teilung geht?
Wohl kaum, da andere Themen sicher schon durch Produkte aus dem eigenen Sprachraum abgedeckt sind, bei denen eine kost- und zeitaufwendige Umarbeitung gar nicht erst nötig wäre.
Zitat von N8falke im Beitrag #24Physische Medien werden ja auch im Film- und Serienbereich immer mehr eine reine Liebhaber-Angelegenheit und somit Nische.
Abwarten, ob dieser Trend sich ungebrochen fortsetzt. Einen Buchmarkt im Printbereich gibt es ja weiterhin, trotz der elektronischen Konkurrenz.
Ist doch prima, wenn demnächst alle Marvel-Verfilmungen & Co. mit KI automatisch vertont werden - dann wird die Kluft zwischen "richtigen" und "falschen" Filmen sehr schnell immer größer. Das wird den "richtigen" Filmen auf Dauer nur zugute kommen!
Was sind denn bitte "richtige" und "falsche" Filme? Filme, die nicht deinem Filmgeschmack entsprechen. Ach ja Geschmäcker gibt es da ja nicht. Hab ich vergessen.