Vielleicht ist es auch besser, wenn man die Namen der Sprecher nicht kennt. Wenn auch die (bislang) letzte Fassung die beste ist, Lugosi hört sich in allen dreien so an wie ein Durchschnittskrimineller aus einem billigen "Trainspotting"-Plagiat.
Nachdem ich mich erneut eingehend mit "Dracula" beschäftigt habe, stellte ich wieder mal Überlegungen an, wie man die deutsche Fassung des Filmes deutlich besser hätte gestalten können. Trotz einiger Unebenheiten in der Besetzung ist natürlich Rolf Boysen für Bela Lugosi die Sache, mit der im Grunde alles steht oder fällt.
Der Film: aus heutiger Sicht sehr statisch, geschwätzig. Nach dem starken Anfang tümpelt er dahin und kommt nur mehr in Fahrt, wenn Bela Lugosi erscheint. Viele frühen Tonfilme hatten diese statische Wirkung, allerdings ist es erstaunlich, wieviel George Melford im gleichzeitig entstandenen spanischsprachigen "Dracula" aus dem selben Drehbuch und den selben Kulissen machte. "Dracula" von Tod Browning wurde bereits 1931 vielfach für die lahme Inszenierung kritisiert, war aber dennoch ein überragender Erfolg. Nicht vergessen darf man auch, dass (trotz Murnaus "Nosferatu", der erst später wiederentdeckt wurde) dieser Film das Genre des Vampirfilmes belebt hat und ein Novum war. Deshalb wird über vieles gesprochen, das später nicht mehr notwendig war, da das Kinopublikum die Regeln des (filmischen) Vampirdaseins bald beherrschte.
Bela Lugosi: ein Schauspieler von solcher Eigendynamik in Darstellung und Aussprache, dass er kaum adäquat synchronisierbar ist. Mit seiner Theatralik und Gestik war er ein wenig anachronistisch, andererseits machte genau das auch einen gewissen Charme aus. Dennoch konnte er auch anders - er bot zahlreiche naturalistische Darstellungen und 1930 machte er eben, was zu diesem Zeitpunkt notwendig und wirkungsvoll war.
Rolf Boysen für Bela Lugosi - dass ich ihn so oft indifferent kritisierte und eine Fehlbesetzung nannte, ist nicht ganz fair. An Rolf Boysen selbst ist im Grunde nicht so viel verkehrt, es ist eher die Art, wie er eingesetzt wurde und wie man die Dialoge schrieb und Regie führte.
Ein wesentliches Merkmal Lugosis war seine Akzentuierung gewisser Worte und er machte mitunter gerne kleine bedeutungsschwangere Pausen. Natürlich spielte der Akzent auch eine Rolle, diesen aber deutsch imitieren zu müssen, hätte vielleicht nur lächerlich gewirkt.
Sieht man "Dracula" deutsch, denkt man sich: Was war an dem Film so berauschend? Sieht man ihn im Original, dann ist es Bela Lugosi, der einen wach hält.
Rolf Boysen spricht Lugosi generell etwas bodenständig, was sich mit dessen Theatralik nicht so ganz verträgt. Boysen hört sich eher nach einem Mafiaboss an, denn nach verkörperter Bösartigkeit. Das dürfte nicht seine Schuld sein, denn die deutschen Dialoge waren teils zu geschwätzig und man kümmerte sich einen Dreck um Lugosis bedeutsame Akzentuierung, die wichtig ist für den Charme der Rolle.
Der legendäre Satz "I never drink - Wine!" wurde deutsch zu "Ich trinke keinen Tropfen - Wein!" - das ist das einzige Mal, dass man in der deutschen Fassung Rücksicht auf Lugosis Akzentuierung und Pausensetzung nimmt. Hier funktioniert dann auch Rolf Boysen. Und das ist es auch schon: die Rücksichtnahme auf die speziellen Pausen und Betonungen hätte die deutsche Fassung anders erstrahlen lassen können. Weitere Beispiele, alle aus dem ersten, bedeutenden Akt:
Bela Lugosi: "Listen. To. Them! Children of the night...what muuuusick THEY make!"
Rolf Boysen: "Hören Sie die Wölfe? Das sind die Kinder der Nacht! Welch wunderbare Musik sie machen!"
Das sind schon einmal deutsch 9 Silben mehr - Boysen musste hier recht schnell sprechen, weshalb alles auch sehr beiläufig klingt. Lugosis lange gedehntes "Muuuuusick" hilft hier sicher, nur fällt es deutlich auf, das Boysen zuviel spricht, während Lugosi nur die Lippen zum "uuuuuuuu" rundet. Ein glatter Antihöhepunkt, auch geht die eigenwillige Wirkung verloren, die durch die Betonung auf "THEY" entsteht. Meine Alternative: "Hören Sie? Die Kinder der Nacht! Welche Musik die WÖLFE machen?"
Wenn Renfield meint, er hoffe für den Zoll genug Formulare mit sich zu führen, sagt Lugosi "I take with me only three...boxes." Die gekonnte Pause vor "boxes", in der man förmlich merkt, wie Dracula nach einer Alternative zu "Särgen" sucht, verschwindet deutsch vollkommen. Hier erwähnt Dracula sehr beiläufig, nur drei Kisten mitzunehmen.
Dass Dracula im Original ein Schiff mietet, deutsch aber kauft, das ist nicht so schlimm. Boysen sagt, er habe eine Fregatte gekauft, die sie nach England bringen wird und teilt mit, dass man morgen abend nach Sonnenuntergang abreisen werde.
Das sind wieder viel zu viele Worte. Lugosis euphorische Art, diese Passage zu sprechen, wird deutsch vollkommen ignoriert - Dracula wirkt eher rein informativ. Wenn Lugosi zuletzt sagt "Tomorrow eeeeeeeeevenink!" ist das sehr gespenstisch, in diesen lang gedehnten sechs Silben muss Boysen sagen: "Wir reisen morgen abend nach Sonnenuntergang!" (von dem im Original keine Rede ist). Auch hier fällt geradezu penetrant auf, dass deutsch viel zu viel gesprochen wird. Auch das Fehlen jeglicher Betonungen macht die Sequenz und somit Dracula recht farblos.
Ich habe eine interessante Geschichte zu "The Black Cat" bzw. "Die schwarze Katze" von 1934 zu erzählen, die ich einfach mal an dieser Stelle einbringen möchte. Zum Verständnis muss ich etwas ausholen:
Ich lebe mit meiner Familie in einem Mehrgenerationenhaushalt. Als meine Großmutter Besuch von einer Bekannten erhielt, kam es zu einem interessanten Gespräch. Besagte Bekannte arbeitete in den 60er Jahren als Disponentin und gelegentliche Regieassistentin beim Studio Hamburg und war so in die Produktion von Filmsynchronisationen involviert. Es kam zu meinem Gespräch mit der über 90jährigen Dame, weil ich soeben einen Stapel DVDs von einem Bekannten in Empfang genommen hatte. Als sie sagte, dass sie sich noch an die Synchronisation des "obersten Films" erinnern könnte, fiel ich aus allen Wolken: Es war ausgerechnet "The Black Cat" von 1934. Ich kannte und kenne den Film nur im Originalton höchstens mit deutschen Untertiteln - und ich vermute, euch geht es genauso. Sie beharrte jedoch darauf, dass es eine deutsche Fassung gebe, machte aber sogleich eine Einschränkung. Im Rahmen dieser Arbeit sei es zu einem in ihrer Karriere einmaligen Ereignis gekommen: Aufgrund "rechtlicher Komplikationen", die sie nicht mehr genau auseinanderdividieren konnte, konnte die anstehende Ausstrahlung im dritten Programm nicht in der existierenden Synchronfassung, sondern nur in der Originalfassung vorgenommen werden.
An die Sprecher bzw. zugeordnete Rollen konnte sich die Dame klar, aber nurmehr assoziativ erinnern. Folgende Liste konnte ich aus ihren Aussagen herausfiltern: Boris Karloff - Hjalmar Poelzig - Erich Schellow Bela Lugosi - Vitus Verdegast - Rolf Boysen David Manners - Peter Alison - Claus Wilcke Julie Bishop- Joan Alison - Ursula Herwig o. I. Sommer Lucille Lund - Karen - Inken Sommer o. U. Herwig ? - ? - Günther Dockerill ? - ? - Rolf Mamero Regie - Werner Bruhns
Sie erzählte: Rolf Boysen sei recht unterkühlt gewesen und habe keine Erinnerungen über die gemeinsame Geburtsstadt Flensburg teilen wollen. Seine Stimme lag ihrer Ansicht nach nicht gut auf Lugosi, aber Werner Bruhns habe auf ihn bestanden. Erich Schellow hingegen sei äußerst sympathisch gewesen und extra aus Berlin angereist. Nach seinem letzten Einsatz in einem "jämmerlichen Schinken" habe er eigentlich keine Lust mehr auf Synchronisation gehabt, wie er zugab. Gefreut habe er sich dann aber über Ursula Herwig, die er aus Berlin kannte. Zunächst sei übrigens Horst Keitel für Boris Karloff vorgesehen. Inken Sommer hätte hier ihren ersten Synchroneinsatz überhaupt gehabt. Und Günther Dockerill sei "sicher dabei" gewesen, weil sie sich immer für ihn einsetzte, da sie ihn privat kannte, er oft krank war und das Geld brauchte.
Ich bin ob dieser "Entdeckung" elektrisiert. Gleichwohl weiß ich nicht, was ich davon halten soll. Die Dame ist meines Erachtens glaubwürdig. Ich meine auch: Warum sollte sie lügen? Aber könnte vielleicht eine Verwechslung vorliegen? Besonders die Besetzung Erich Schellows fällt ins Auge, aber gerade da blieb sie auf Nachfrage standfest. Nun ist die Frage, ob die Synchronfassung in irgendeinem Archiv schlummert oder aufgrund der ominösen Rechtsfragen vernichtet wurde. Ich würde mir wünschen, dass alles so stimmt und dass wir diesen Film eines Tages mit diesen Stimmen hören und sehen werden und vor allem: dass euch meine Nachricht interessiert hat.
Wirklich eine interessante Geschichte! Schellow für Karloff stelle ich mir etwas skurril vor, es wäre zumindest eine ausgefallene Wahl. Horst Keitel wäre insofern ironisch, da er Karloff bekanntlich in der "Maske des Fu Man Chu" tatsächlich gesprochen hat; allerdings dürfte diese Synchro viele Jahre oder sogar Jahrzehnte nach der entstanden sein, an die sich die Dame erinnerte.
Ein knappes Jahrzehnt muss mindestens zwischen den Synchros gelegen haben, da Bruhns 1977 verstarb. Ich denke, dass sie wirklich für die NDR-Erstausstrahlung 1967 produziert wurde, die Sprecherwahl klingt jedenfalls grob nach dieser Zeit (Boysens überlieferter Einsatz für Lugosi kam ja 1969). Oder 1970/71 in direkter Nachfolge zu "Dracula" - dann könnte der von Schellow erwähnte "Schinken" vielleicht sogar Fellinis "Satyricon" sein - Fellinis Spätwerk spaltet die Zuschauer ja in zwei Lager. Schellow in seiner unterkühlten Art kann ich mir wiederum als perfekt für das kantige Gesicht Karloffs vorstellen (analog zum knochigen Cushing). Wer weiß, ob diese seltsamen Rechtefragen nicht dazu führten, dass die Dritten Filmklassiker aus dieser Zeit in den 70ern fast nur OmU ausstrahlten, um solchen Querelen künftig aus dem Weg zu gehen. Die Synchro existiert bestimmt nicht mehr, da die ARD auch viel jüngere Sachen in Aktionen von Sparvandalismus ausgesondert hat (die Löschung der Serien von Kaarst van der Meulen!!!) und es bei einer TV-Synchro ja nur die eine Kopie gegeben hat, während verschollene Kinosynchros ja in mehreren Exemplaren vorlagen, von denen immer mal noch eins auf einem Dachboden oder dergleichen auftauchen kann.
Ich bin mal Schellows Arbeiten durchgegangen und frage mich, ob der "jämmerliche Schinken", den er erwähnte, nicht auch "Die Bibel" von 1966 gewesen sein könnte. Das würde jedenfalls für eine Synchro im Jahr 1967 sprechen, bei der er seine letzte Arbeit erwähnt. Vielleicht sehe ich das aber auch nur so, weil mir "Satyricon" gefällt...^^ Denn tatsächlich wirft auch Inken Sommers Mitwirkung Fragen auf. Ich dachte nämlich immer, sie wäre erst ab 1971 aktiv gewesen, und warum sollte sie (wenn es 1967 war) mutmaßlich vier Jahre auf ihren nächsten Einsatz warten - außer der erste war eine Katastrophe...
Zumal "Schinken" eher die Monumental-Filme bezeichnet wurden - das würde zur Bibel-Verfilmung passen. Satyricon ist da schon vom ganzen Ambiente her weiter weg, in sich fragmentarisch (wie die Vorlage) und Schellows Rolle ist auch dermaßen klein, dass er sicherlich nicht lange dafür gebraucht haben dürfte (also vielleicht den ganzen Film gar nicht konsumieren musste).
Gerade weil er nicht den ganzen Film konsumieren musste, könnte es zu so einer Einschätzung kommen - und ich kann mit dem späten Fellini gar nichts anfangen, aber das ist Geschmackssache. Tja, blöd, ich habe zweierlei Verdacht geäußert und für beide gäbe es Argumente - es ist durchaus nicht unmöglich, dass jemand nach dem ersten Synchroneinsatz erst mal nicht durchstartet, sondern ganz schön lange warten muss, bis man sich seiner erinnert. Hermann Ebeling ist so ein Fall, meiner Meinung nach auch Gerd Ehlers - und wir kennen bestimmt nicht alle Filme, die zwischen 1967 und 1971 in Berlin und Hamburg synchronisiert wurden.
Hochinteressante Geschichte! Diese Synchro hätte ich (trotz Boysen) wirklich gerne gehört. Echt ein Jammer, diese oft rational nicht nachvollziehbaren Rechteprobleme...
Ich spekuliere mal:
Herwig war Joan Alison, Sommer als Debütantin in der kleineren Rolle der Karen, Mamero der Diener von Lugosi und Dockerill der Busfahrer.
Zitat von dlh im Beitrag #60Kurze Info zu "White Zombie": Es gibt tatsächlich bereits drei(!) DVD-Synchros. Wobei die mit der Originalmusik die aktuellste ist. Die anderen beiden benutzten beide andere Musik. Sprecher kann ich keine nennen, doll sind sie jedoch auch alle nicht. Die (3.) mit der Originalmusik schneidet noch am besten ab.
Und jetzt gibt es auch noch eine vierte Synchronfassung (die auf den ersten Blick auch nicht doll erscheint; ab 1:16 gibt es einen Tonvergleich). Aber was hat der dlh von 2015 denn da eingenommen, frage ich mich gerade. Die 2014er-Fassung klingt im Direktvergleich am schauderhaftesten.