Bei jemandem, der über die Jahrzehnte hinweg so viele Glanzrollen im Synchronbereich hatte, fällt eine Auswahl schwer! Deswegen komme ich erst jetzt dazu, einige persönliche Highlights zu nennen.
Im Synchronbereich hat er sich mir besonders für Kevin McCarthy als extrem unsympathischer Studioboss R. J. Fletcher in "UHF - Sender mit beschränkter Hoffnung" eingeprägt: cholerisch, despotisch, arrogant und teilweise mit sadistischen Zügen, dabei herrlich überzeichnet - eine dankbare Vorlage für einen echten Komödianten! Nebeneffekt war natürlich, dass sich so bei mir die Assoziation dieser Stimme mit unangenehmen Figuren noch verstärkte. Einen ähnlichen Fall (auch wenn es nur ein relativ kurzer Auftritt war) stellte John Normington als autoritärer und geradezu sadistischer Lehrer dar, der seine Schüler genüsslich quält und vorführt. Lange Zeit habe ich ihn stark mit Edward Fox verbunden, obwohl er ihn gar nicht so häufig synchronisierte, aber dafür eben bei einigen seiner bekanntesten Auftritte. Darunter waren drei sehr unterschiedliche Auftritte: Der sympathische und bei seinen Ermittlungen teilweise fast an Columbo erinnernde Inspektor Craddock in "Mord im Spiegel", der als arrogant und inkompetent dargestellte M in "Sag niemals nie" und General Dyer in Richard Attenboroughs "Gandhi", der trotz der Kürze seines Auftritts durch seine unmenschliche und empathielose Art im Gedächtnis bleibt. Bei Peter Sellers favorisiere ich zwar wie viele Georg Thomalla, fand Jürgen Thormann aber in zwei extrem gegensätzlichen Rollen sehr gelungen: einmal als radebrechender Sidney Wang in "Eine Leiche zum Dessert" und anrührend als unschuldige, naive und liebenswerte Titelfigur in "Willkommen, Mr. Chance" - interessanterweise beide Male unter der Regie von Rainer Brandt! Für Max von Sydow brillierte er auch öfter, nicht nur in comichaft überzeichneten Rollen wie Ming in "Flash Gordon", sondern auch z. B. als Auftragskiller Joubert in "Die drei Tage des Condor". Hier bleibt besonders der Dialog zwischen ihm und Turner (Robert Redford) gegen Ende im Gedächtnis, bei dem er überraschend menschliche und fast warmherzige Züge anschlägt. Überzeugend humanistisch zeigte er sich auch für Jeroen Krabbé in "Albert Schweitzer - Ein Leben für Afrika". Nachdem ich ihn so im Laufe der Zeit auch in positiven Rollen akzeptieren konnte, war er für mich sogar in Heldenrollen überzeugend, z. B. für Francis Matthews in "Blut für Dracula".
Mir fallen ergänzend noch Aldo Maccione ein, der mit seinem Dicke-Hose-Gestus bei gleichzeitiger Überforderung eine dankbare komödiantische Rolle war.
Und der Gastrokritiker Anton Ego in „Ratatouille“. Hier beginnt Thormann furchteinflössend-arrogant und endet mit einer wunderbar zärtlichen Ansprache, als er die Kritik formuliert.
Ebenfalls zu empfehlen: In einer Folge des „Bobcast“ erzählt Thormann humor- und stimmungsvoll von seinen Erfahrungen mit Heikedine Körting und den Europa-Hörspielen. Obwohl er hier etwas verschnupft und brüchig klingt: Das ist ein Mini-Hörbuch für sich!
Der Bobcast hat heute eine Sonderfolge zu Thormann veröffentlicht. Neben einer persönlichen Würdigung von Kai und Andreas gibt es weitere Passagen aus dem Interview, das für die oben genannte Folge geführt wurde:
Wirklich sehr bewegend, wie reflektiert er von seinen Erlebnissen als Flakhelfer während des Krieges erzählt! Insofern war es gut, dass auch diese Passagen aus dem Interview nun der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.
Es hat mich schon traurig gemacht, da mir immer wieder bewusst wird, dass fast alle der "alten Garde" nun verstorben sind Andererseits hat Jürgen Thormann mit 96 Jahren ein hohes Alter erreicht und hat ja offensichtlich bis zum Schluss noch gearbeitet.
Zitat von Markus im Beitrag #34Der Bobcast hat heute eine Sonderfolge zu Thormann veröffentlicht. Neben einer persönlichen Würdigung von Kai und Andreas gibt es weitere Passagen aus dem Interview, das für die oben genannte Folge geführt wurde:
Ich bin schon gespannt aufs Hören. Ist vorgemerkt. Mein Vorredner hat ja schon etwas anklingen lassen. Des weiteren würde ich mich sehr darüber freuen, wenn in Zukunft nochmal irgendein Krimihörspiel im Podcast "Kein Mucks!" gesendet würde (vielleicht liest ja jemand mit), in dem Thormann mitgewirkt hat. Und nach einem Blick Hörspieldatenbank der ARD kann ich sagen, dass es jede Menge davon gibt.
Ansonsten ist schon hier schon viel gesagt worden und ich habe auch lange überlegt, was ich zu Jürgen Thormanns Tod schreiben kann. Ich habe ihn zum ersten Mal in "Liebesgrüße aus Moskau" wahrgenommen, wo mir jemand auf Nachfrage seinen Namen verriet. So prägte sich mir dann seine Stimme relativ schnell ein. Und ja, Thormann hat (auch) viele Unsympathen gesprochen. In diesem Punkt ist mir eine von der Rolle her besonders hasserfüllte, sadistische Performance in Erinnerung geblieben. In dem Film "Der Schrecken der Medusa" (1978) gibt es einige Rückblenden. In einer davon wird die Hauptperson als Kind aufgrund eines ironisch-sarkastischen Kommentars von seinem Lehrer zu einer Aufgabe verdonnert und bekommt gleichzeitig auf eine sadistische Art Prügel angedroht, sollte er die Aufgabe nicht richtig machen. Thormann steht dem Originaldarsteller John Normington ins nichts nach und liefert eine erstklassige Performance ab.
Ansonsten habe ich Thormann in vielen verschiedenen Filmen und auf verschiedenen Schauspielern hören können, die ich hier nicht alle aufzählen kann. Für Michael Caine ist er mir selbstverständlich ein Begriff. Ein paar Filme, die mir spontan mit der Kombi Caine/Thormann einfallen sind z. B. "Hannah und ihre Schwestern" und "Gottes Werk und Teufels Beitrag". Ansonsten hörte ich Jürgen Thormann diverse Male auf Max von Sydow, wie z. B. in dem im Synchronforum schon hochgelobten Film "Die drei Tage des Condor" sowie in "Shutter Island". Und gerade heute habe ich mich gefragt, wer in dem Film "Jackie" mit Natalie Portman den Priester spielte, auf dem auch Jürgen Thormann zu hören war? Es war John Hurt, dem er ja auch in vielen Filmen die Stimme lieh. Im Serienbereich konnte er z. B. für Peter Wyngarde als Jason King in "Department S" auch jede Menge komisches Talent zeigen und konnte die ganzen Sprüche von Karlheinz Brunnemann (der war hier für Joel Fabiani zu hören) super abliefern. Ach ja, und als Michels Vater in "Michel aus Lönneberga" (Serienfassung) ist er hier ja auch schon erwähnt worden.
Was den Hörspielbereich angeht, so hat er ja, wie schon erwähnt, auch viel für EUROPA gemacht. In jüngerer Zeit war er auch ab und zu in der Reihe "Gruselkabinett" zu hören. Ich erinnere mich z. B. an den "Freischütz", wo er mir als Eremit sehr gefallen hat.
Zitat von Lammers im Beitrag #36 Ich bin schon gespannt aufs Hören. Ist vorgemerkt. Mein Vorredner hat ja schon etwas anklingen lassen. Des weiteren würde ich mich sehr darüber freuen, wenn in Zukunft nochmal irgendein Krimihörspiel im Podcast "Kein Mucks!" gesendet würde (vielleicht liest ja jemand mit), in dem Thormann mitgewirkt hat. Und nach einem Blick Hörspieldatenbank der ARD kann ich sagen, dass es jede Menge davon gibt.
Auf dem Youtube-Kanal Neupis Hörspiele, der immer wieder mal alte Radioproduktionen hochlädt, wurden in den letzten Tagen diverse Produktionen mit Thormann hochgeladen, vlt. ist da ja was für dich dabei.
Ansonsten wird Thormann Mitte nächsten Jarhes dann wohl in seiner letzten Hörspielrolle zu hören sein, und zwar als Buddha in der Holy-Klassiker-Adaption der "Reise nach Westen". Ein schöner und passender Abschluss seiner Sprecherkarriere, wie ich finde.
Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich sagen soll: die Begegnung mit Jürgen Thormann damals beim Überreichen der Silhouette war ein ganz besonderes Erlebnis. Schokohäubchen und ich haben noch lange von der Begegnung geschwärmt, von seinem Charme, seinem Witz und seiner Intelligenz.
Sowohl menschlich als auch künstlerisch ein ganz großer Verlust.
Angefügte Bilder:
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Zitat von E.v.G. im Beitrag #39Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich sagen soll: die Begegnung mit Jürgen Thormann damals beim Überreichen der Silhouette war ein ganz besonderes Erlebnis. Schokohäubchen und ich haben noch lange von der Begegnung geschwärmt, von seinem Charme, seinem Witz und seiner Intelligenz.
Das konnte man eurem Bericht seinerzeit anmerken, den ich seitdem öfter (und gerne) gelesen habe.
Zitat von E.v.G. im Beitrag #39Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich sagen soll: die Begegnung mit Jürgen Thormann damals beim Überreichen der Silhouette war ein ganz besonderes Erlebnis. Schokohäubchen und ich haben noch lange von der Begegnung geschwärmt, von seinem Charme, seinem Witz und seiner Intelligenz.
Das konnte man eurem Bericht seinerzeit anmerken, den ich seitdem öfter (und gerne) gelesen habe.
Den habe ich mir aufgrund des Posts heute auch nochmal angeguckt und das scheint in der Tat ein sehr schönes Zusammentreffen gewesen zu sein. Da er auch über sein Zusammentreffen mit Michael Caine sprach, ist mir auch noch eine Schalte vom RBB von einer Synchronpreisverleihung eingefallen, wo, neben anderen (z. B. Rolf Schult und Barbara Ratthey) auch Jürgen Thormann interviewt wurde und auf die Nachfrage, ob er schon mal jemanden von seinen Originalschauspielern getroffen habe, begeistert von jenem Zusammentreffen erzählte.
Wie konnte ich bei meiner Aufzählung der persönlichen Lieblingsrollen nur Michael Caine in der "Muppets Weihnachtsgeschichte" vergessen? Und das auch noch gerade in dieser Zeit! Gerade diese Rolle bot ideales Futter, um zu Beginn sein Talent zu kalten, arroganten und zynischen Tonfällen einzubauen - und sich dann gegen Ende warmherzig und gütig zu zeigen. Ein absolutes Highlight seiner Synchronkarriere! Daneben war er aus heutiger Sicht sehr ungewohnt für John Standing als schüchterner, verträumter Pianist in einer Episode aus "Der Foltergarten des Doktor Diabolo". Wer Jürgen Thormann in erster Linie ganz anders kennt, würde ihn hier eventuell kaum heraushören können.
Noch ne saisonale Ergänzung: In der Verfilmung von Dickens Weihnachtsgeschichte mit George C. Scott (1984) ist Thormann (für David Warner) als warmherziger Bob Cratchit zu hören.
Schön vielseitig ist auch sein Einsatz für Michael Caine als Dr. Larch in "Gottes Werk und Teufels Beitrag", der in seiner Position sowohl als Arzt als auch als Ersatzvater für seine Schützlinge im Waisenhaus auch für Homer (Tobey Maguire) ein Solcher ist. Larch tritt ihm zwar zuweilen mit Strenge, aber im Ganzen väterlich und wohlwollend gegenüber, was Thormann auch in den verschiedenen Facetten sehr gut rüberbringt. Genauso wie das verärgerte und enttäuschte Unverständnis, als Homer sich spontan entschließt, in die Ferne zu ziehen und was ganz anderes zu machen.