Als Nicht-SIMPSONS-Fan ist es natürlich trotzdem schwer an "seinen" Homer nicht vorbei zu kommen. War schon eine tolle Interpretation. Mehr dazu nicht.
Vielmehr mochte da schon seine anderen Rollen. Gerne hätte ich Gastell öfter für Dabney Coleman gehört. Passte super in THE GUARDIAN und machte den Serienvater von Simon Baker nur noch 'ne Ecke sympathischer. Auch Philip Bosco als 'Hollis Nye' in DAMAGES hatte was. Und selbst die viel gescholtene Spätsynchro des Italo Westerns "Der Gehetzte der Sierra Madre" hatte durch die Präsenz von Gastell (für Walter Barnes) was für sich. Bye, Bye!
THE GUARDIAN - Hendrik erwähnte die Serie an anderer Stelle übrigens auch die Tage - war ja eine ganz spezielle Sache, die ich mir fast noch fusseliger zu synchronisieren vorstelle als SIMPSONS. Wie da Marcus Off und Norbert Gastell immer so herrlich kommunikationsgestört aneinander vorbeigestammelt haben und das ganze doch im Rahmen ihrer dysfunktionalen Kommunikationsstruktur funktioniert hat, war sagenhaft.
Eine Rolle, die mich wirklich berührt hat, war die eines senil-dementen Richters, gespielt von Ned Beatty, in einer Folge LAW & ORDER. Der Mann kann mental gar nicht mehr den Verhandlungen folgen und wird nur noch von seiner mitleidsvollen Rechtspflegerin durch die Prozesse bis zu - ihrem - Urteil geführt. Eigentlich also völlig untragbar mehr für das Amt, aber er lässt nicht mit sich reden, da er nach dem Tod seiner Frau nur noch seine Arbeit hat, und seine Kollegen halten alle zusammen, als dass man eine Amtsenthebung anstreben könnte. So bleibt dem Staatsanwalt, so schwer es ihm auch fällt, am Ende nichts anders übrig, als ihn öffentlich bloßzustellen und damit zu demütigen. Er muss aufhören und stammelt verzweifelt, was er denn jetzt nur noch mit sich anfangen soll ... Ich fand früher Norbert Gastell für Ned Beatty eher einfallslos, aber das hier war schauspielerisch wirklich allererste Güte.
Ach ja. Kurioserweise habe ich in den Wochen vor seinem Tod einige Hörspiele mit ihm gehört und dabei kam schon ein paar Mal der Gedanke, was wird, wenn er mal nicht mehr ist. Er hatte eine sehr angenehme Stimme; und wenn ich mal das Gefühl hatte, das Hörspiel zieht sich gerade ein wenig, so war seine Stimme in dem Moment doch wieder eine angemessene Entschädigung. Das dachte ich zum Beispiel bei "Die Propeller-Insel". Das werde ich aber demnächst wohl noch mal anhören; ich wüsste nämlich keine Produktion, in denen Gastell und Sandra Schwittau mal ein Liebespaar spielen durften. Wirklich traurig und leider eine weitere sehr große Lücke, die wohl niemand füllen können wird.
Dass Homer Simpson in einem Nachruf-Thread zu Norbert Gastell die wichtigste Rolle spielen würde war klar. Allerdings wurden hier auch einige weitere Rollen genannt, jedoch nicht zwei, auf die ich hinweisen möchte, gerade weil sie einen deutlichen Kontrast zu seiner bekanntesten darstellen: In der "Gummibärenbande" durfte er als König Gregor weise und milde, aber auch (wenn es die Situation erforderte) durchaus autoritär und streng sein, alles jedoch ohne einen Hauch seiner späteren Paraderolle. Vor vielen Jahren wurde für eine DVD ein Gruppeninterview mit der Stammbesetzung von "Saber Rider und die Star Sheriffs" gemacht. Ekkehardt Belle sagte, sie hätten Norbert Gastell "bedauert", weil er durch seine Rolle bedingt immer ernst bleiben musste, während die anderen nach Herzenslust Sprüche einbauen durften "und dafür auch noch bezahlt wurden". Die Rolle des Commander Eagle ist wirklich eher undankbar, aber er füllte sie mit der erforderlichen Würde und Besonnenheit einerseits, väterlichen Wärme andererseits voll aus.
Sehr mächtig, autoritär und imposant konnte man ihn in den ersten drei Staffeln von "Game of Thrones" auf James Cosmo erleben, als Jeor Mormont, Kommandant der Nachtwache.
Es ist eine subjektive, nicht belastbare Empfindung, dennoch möchte ich ihr Ausdruck verleihen: Gerade als Mormont, als Homer und als Doc Kettle hatte ich oftmals das Gefühl, eine Wärme und Güte bei Norbert Gastell wahrzunehmen, die quasi hinter der Stimme lebte. Die echt war und so tief fußte, dass kein Schauspiel sie hätte vorgaukeln können. Dieser wahre, und in der Wirklichkeit seltene Kern machte ihn besonders.
Es gibt Synchronsprecher, heutzutage immer mehr, die perfektes Synchronesisch sprechen. Jede Betonung sitzt, die Performance ist rund, und sie könnten glatter nicht sein. Als sei längst eine Künstliche Intelligenz am Werk. Ein synchrongeschalteter Chor feinjustierter Automaten, die keimfrei ihre Aufträge erfüllen. Perfektion für die heutige Generation. Ohne Nachhall für die Ewigkeit.
Die alten Stimmen sterben aus. Dieser "echte" Odem erlischt immer mehr, und gerade in dieser Hinsicht stellt der Fortgang von Norbert Gastell einen herben Verlust dar.
Am 14. Oktober wäre Norbert Gastell 90 Jahre alt geworden.
Es gibt bei ihm etwas bemerkenswertes, das - wenn ich mich richtig erinnere - auf keinen seiner Kollegen zutrifft: Norbert Gastell hat es als einziger Synchronsprecher geschafft, mir vor Lachen und vor Rührung das Wasser in die Augen zu treiben. Über seinen Homer Simpson muss ich keine großen Worte verlieren, deshalb weise ich auf den Film hin, in dem letzteres der Fall war: "Das Rückgrat des Teufels". Er leiht hier Federico Luppi die Stimme, der den Waisenhausleiter Dr. Casares spielt. Gastell verpasst ihm ein gerütteltes Maß an Wärme und Weisheit. Man ertappt sich laufend bei dem Gedanken, dass er vielleicht doch einen guten Gandalf oder Dumbledore abgegeben hätte. Will nicht spoilern, aber ein zentrales Thema des Films ist die Frage nach Vergänglichkeit und danach, was von unseren verstorbenen Mitmenschen fortdauert. Als ich "Das Rückgrat des Teufels" erstmals sah, weilte Norbert Gastell schon nicht mehr unter uns. Es war traurig und schön zugleich, ihn in diesem Zusammenhang zu hören, und unheimlich tröstlich. Was auch geschieht, so ganz gehen wir nie.
Übrigens darüber hinaus ein sehenswerter Film und im besten Sinne klassisches Schauermärchen. Wer neben dem üblichen Einerlei noch einen ungewöhnlicheren Titel für seinen Halloween-Filmmarathon sucht, trifft hier eine gute Wahl.