@Dubber der Weiße: Beschwerst du dich auch, eine Figur sei schizophren, sollte sie den Pluralis Majestatis auf sich selbst anwenden? Und welche "Szene"? Die "Szene derer, die sich um eine sinngemäße Übersetzung bemühen"?
@ Chow Yun-Fat: Die Figur ist im Original eben nicht weiblich (siehe etwa: https://www.slashfilm.com/john-wick-3-non-binary-character/), wurde aber in der Synchro weiblich gemacht. Das war mein Anlass, nach dem Eingangsposting "John Wick 3" als Beispiel zu nehmen, wo sich die deutsche Fassung gar nicht bemüht hat, dem Original in dieser Angelegenheit gerecht zu werden.
Letztlich war der Plural auch nur ein Vorschlag von mir, weil ich den besser finde als die letztlich gewählte Option. Wie hättest du's denn gelöst, Chow Yun-Fat?
Zitat von Sir Donnerbold im Beitrag #19Wie hättest du's denn gelöst, Chow Yun-Fat?
Keine Ahnung. Ist echt knifflig.
Edit: Oder doch ganz einfach. Ich hätte einfach "Richter" daraus gemacht. Ein Richter kann ja grundsätzlich männlich oder weiblich sein, also kann er auch nichtbinär sein. Der Titel "Richter" sagt eigentlich nichts über das Geschlecht der Person aus, die den Titel trägt. Wobei Adjudicator ja eigentlich Schiedsrichter heißt.
Ich erkenne deine Absicht, würde allerdings dagegen halten, dass das generische Maskulin erstens nicht zeitgemäß ist, und dass ich zweitens vor meinem inneren Auge förmlich die Fragezeichen sehen kann, die sich über den Köpfen im Kinosaal gebildet hätten, hätte sich Luise Helm in der Synchro dauernd als "der Richter" bezeichnet. Wenn nicht Plural, dann käme ich wieder auf das Beibehalten des englischen Titels zurück, was ja durchaus zur "John Wick"-Welt pass: Laurence Fishburne wird dort ja auch im Englischen wie im Deutschen als "Bowery King" bezeichnet. Wenn man "Bowery" nicht übersetzt, kann auch "Adjudicator" unübersetzt bleiben.
Zitat von Sir Donnerbold im Beitrag #22die Fragezeichen sehen kann, die sich über den Köpfen im Kinosaal gebildet hätten, hätte sich Luise Helm in der Synchro dauernd als "der Richter" bezeichnet.
Meine Vermutung ist, dass die Mehrheit des Publikums nicht denken würde "Ah, die Figur ist nonbinär, und sie spricht von sich im generischen Maskulin!", sondern (angeregt durch Luise Helms Stimme): "Hä, Richter? Das ist doch eine Frau?"
Wer eine maskuline Berufsbezeichnung zusammen mit einer weiblichen Stimme als Widerspruch empfindet könnte aber auch gerade dadurch darauf aufmerksam werden, dass die Figur nichtbinär ist.
Möglich. Hätte ich bei JW3 entscheiden müssen, hätte ich den Weg aber nicht eingeschlagen. Ich hätte nicht das Vertrauen, dass das so rüberkommt wie von dir erhofft.
Dass sie non-binär sei, ist für das Durchschnittspublikum irrelevant und spezifisch in ebendieser Filmhandlung noch irrelevanter. Auch wenn das generische Maskulinum gern und vermehrt vermieden wird, auch im TV/Film nicht erst seit gestern, so hat ziemlich jeder das Vorwissen, dass dieses existiert und nicht per se falsch ist. Das Aussprachproblem wird so auch vermieden, aber kann natürlich auch selbstbewusst und hoffnungsvoll angegangen werden. Bei John Wick wird ohnehin mal ein wichtiger Begriff in den Filmuniversum übersetzt (Hohe Kammer), wiederum ein anderer nicht (Bowery King, Continental), wie in vielen Synchron-Produktionen heutzutage. Bei Adjudicator hätte ich nicht das Selbstbewusstsein, dass es bei allen klappen würde und dass das Publikum den Titel versteht (bei Bowery King ist es ja effektiv egal, sein Titel beschreibt nicht seine Mafia-Position).
Illi Anna Heger, Entwickler_in der xier/sier-Pronomina, hat auf xieser Seite auch eine umfangreiche Übersicht von Beispielen non-binärer Pronomina in Synchronisationen zusammengestellt.
In ALL RISE 1x07 "Hurrikan Roxy" (2019; DF 2021) gibt es in zentraler Gastrolle eine Person, die sich als non-binär definiert. Im O bevorzugt sie daher "they" als Pronomen. Ihre Anwältin Emily erklärt es der Richterin:
EMILY: "Your Honor, my client uses the singular they/them pronoun. I ask that all of us respect that." JUDGE PIPER: "He looks like a he." EMILY: "Because that's what you think a he looks like. Jax is Jax. Neither male nor female as you defind it." JUDGE PIPER: "But they, them - it's confusing." EMILY: "We do it all the time, Your Honor. I found someone's lost dog. I can't wait to call THEM. THEY will be so happy.' That someone is Jax."
Im Deutschen wurde daraus "sier"/"siem". Leider passt die Erklärung dazu nicht so recht:
{9:51} EMILY: "Euer Ehren, mein Mandant verwendet die sier/sihm-Pronomen. Ich bitte darum, das(s) zu das respektieren." * RICHTERIN PIPER: "Er sieht aus wie ein Er." EMILY: "Weil Ihrer Ansicht nach ein Er so aussieht. Jax ist Jax. Weder männlich noch weiblich, Ihrer Definition nach." RICHTERIN PIPER: "Aber sier, siem - das ist verwirrend." EMILY: "Wir bleiben sehr oft neutral, Euer Ehren. 'Ich hab' einen entlaufenen Hund gefunden. Ich ruf' gleich an und sag' DENEN bescheid. DIE werden sich bestimmt freuen.' Diese Person ist Jax."
Das Rekurieren auf sprachliche Neutralität dient zwar der Erläuterung, dass man sich bei Jax nicht festlegen kann bzw. sier es nicht will. Aber mal davon abgesehen, dass es nicht so schlagkräftig ist wie das singulare they im Original, ist damit bei dem Neologismus "sier" die 'Verwirrung' und Ungewohnheit sicherlich nicht abgetan.
(Deutsche Bearbeitung: Anatares Film GmbH. Übersetzung: Saskia Godhusen. Dialogbuch: Stefan Mittag)
* Ja, es klingt wirklich wie eine verhaspelte Mischung aus "dass wir das" und "das zu" ...
Zitat von VanToby im Beitrag Diskussion: All Rise - Die Richterin (USA, 2019-)Sowohl "sier" als auch "siem" werden teils einsilbig, teils zweisilbig ausgesprochen. Die Form "siem" wird dabei nicht nur für den Dativ verwendet, sondern auch für den Akkusativ, für den eigentlich "sien" vorgesehen ist:
{10:21} MARK: "Sehen Sie siem in diesem Gericht?" (statt: sien) [...] MARK: "Hatten Sie vorher schon mal was zu tun mit siem?" (OK)
Vermutlich meinte man, für alle Fälle, in denen man im Englischen "them" benutzt bzw. benutzen würde, dieselbe deutsche Form, also siem, nehmen zu müssen, damit es zu der Beschreibung als "sier/siem-Pronomen" passt:
MARK: "Do you see THEM in the courtroom?" [...] MARK: "Did you ever have any interaction with them?"
Hier das Gleiche:
{39:19} ROXY: "Sier wird niemals das Bußgeld aufbringen können. Es ist fast so, als ob ihr siem (statt: sien) so schnell es geht wieder haben möchtet.
ROXY: "It's almost like you want them back here as soon as possible."
Für das zugehörige Possessivpronomen wird "sier-" als Stamm verwendet. Vorgesehen wäre eigentlich "sies-":
{18:55} ROXY "Aber immer war da so ein Feuer in sieren Augen." (statt: siesen)
Ich muss aber sagen, dass ich in diesem Falle die Lösung der Synchronfassung deutlich intuitiver finde.
In ihrem Schlusspladöyer rutscht Roxy nur in der deutschen Fassung dann aber doch einmal ein mänliches Personalpronomen heraus:
{32:20} ROXY: "Die Staatsanwaltschaft muss ohne jeden begründeten Zweifel beweisen, dass mein Mandant das Feuer in böswilliger Absicht gelegt hat. Aber die Beweise zeigen das Gegenteil: Jax hat eindeutig versucht, das Wenige, was siem noch blieb, zu beschützen. Und so kann er nicht für eine schwere Straftat verurteilt werden." (satt: sier)
Interessant ist hier ferner (wie auch schon beim allerersten Zitat), dass sie für Jax die Bezeichnung "mein Mandant" wählt. Man kann sich nun darüber streiten, ob sie sien damit implizit auch als Mann bezeichnet oder ob es als generisches Maskulinum gemeint ist, sofern man sich darüber überhaupt Gedanken gemacht hat. Im Original heißt es ja nämlich "my client", was ohnehin genusneutral ist, wodurch sich das Problem dort nicht stellt. (Übrigens auch die jeweils zugrundeliegenden lateinischen Wörter mandans und cliens.)
Als non-binäre Endung schlägt IAH "-a" vor. Überdeutlich genderneutral hätte es damit also eigentlich sowas wie "meina Mandant:in" heißen müssen. Aber das wäre dann natürlich nochmal erklärungsbedürftig gewesen.