Einen "echten" Marlowe gibt's auch mit Marquis: "Der Bleistift". Da spricht sogar Marius Müller-Westernhagen mit (als Tankwart mit ganzen drei Sätzen). Ansonsten gibt es mit dem guten Philip nur noch "Gesteuertes Spiel" mit Hilmar Thate (der das Pech hat, Marquis als Vorgänger und Thormann als Gegenspieler zu haben).
Zitat von Lord Peter im Beitrag #30Und auch ansonsten ist der Gould-Marlowe ein grundpassiver Charakter, der den ganzen Film über nur reagiert, aber niemals agiert (vom Ende mal abgesehen, und da wirkt es dann komplett "out of character"). Mir ist schon klar, was Brackett und Altman da grundsätzlich vorschwebte - aber es ist absolut nicht meins.
Wer das (in anderer Hinsicht durchaus kritikwürdige) "Lexikon des Kriminalfilms" von Meinolf Zurhorst zur Hand hat, kann dort (erstaunlich ausführliche) Zitate von Brackett und Altman nachlesen, was sie sich bei dieser Uminterpretation der Figur gedacht haben (S. 300-303). Auch der Wikipedia-Artikel über den Film verweist genauer auf die Fachliteratur, in der diese Deutung genauer behandelt wurde. Interessanterweise scheint der Marlowe-Experte Alfred Marquart daran Gefallen gefunden zu haben. Die TV Spielfilm brachte die Sache ganz gut auf den Punkt, indem sie schrieb, dieser Marlowe sei im Unterschied zu Humphrey Bogarts Coolness "ein kettenrauchender Feigling, der in jede Falle tappt".
Nach der Lektüre von Marquarts Buch frage ich mich allerdings auch, wodurch dieser sich als Experte qualifizierte. Eine Pseudo-Rahmenhandlung, die Marlowe sterben läßt und eine stupide Aneinanderreihung von Zitaten mit persönlicher Interpretation des Autors, gekrönt von einer (unvollständigen) Aufzählung der Verfilmungen mit kurzer subjektiver Stellungnahme. Das Buch hat mich, ehrlich gesagt, mehr verärgert als bereichert.
BTW: Kennt hier jemand die 80er-Serie mit Powers Boothe? Soll dem allgemeinen Vernehmen nach recht gut sein, aber ist lediglich im O-Ton (ohne UT) und auch nur noch antiquarisch zu erwerben, und das zu horrenden Preisen.
Tja, vielleicht schlicht die Tatsache, dass er das erste Buch zum Thema in deutscher Sprache geschrieben hat? Zu einer Zeit, als fremdsprachige Literatur weniger leicht zur Verfügung stand und das Internet noch keine Option war, hatte das sicher noch eine höhere Bedeutung. Eine Pseudo-Rahmenhandlung mit dem Tod des Protagonisten und das Aneinanderreihen von Zitaten hatte William S. Baring-Gould bei seiner Biographie über Sherlock Holmes ja auch geboten.
"BTW: Kennt hier jemand die 80er-Serie mit Powers Boothe? Soll dem allgemeinen Vernehmen nach recht gut sein, aber ist lediglich im O-Ton (ohne UT) und auch nur noch antiquarisch zu erwerben, und das zu horrenden Preisen."
Episoden davon finden sich, auf englisch, bei youtube, weiß aber nicht, wieviele.
Zitat von Lord Peter im Beitrag #37Das Buch hat mich, ehrlich gesagt, mehr verärgert als bereichert.
Aber ich vermute mal, zumindest seine Erleichterung darüber, dass das Thema Chandler-Verfilmungen nach den beiden Filmen mit Mitchum abgehakt worden sei, fand deine volle Zustimmung?
Nicht unbedingt. Mit den richtigen Leuten vor und hinter der Kamera hätte man da durchaus noch mal was auf die Beine stellen können. Aber da seinerzeit ja eher die Cosy Crimes á la Christie in Mode kamen, war der Zug dann irgendwann abgefahren (wobei ich den 98er-Nachzügler "Poodle Springs" mit James Caan gar nicht mal sooo schlecht fand). Und den neuen Film von Neil Jordan werde ich zumindest mal antesten.
Mal schauen, was YT bzgl der Boothe-Serie ausspuckt (wobei mir eine synchronisierte Fassung natürlich lieber wäre, lief doch seinerzeit sogar noch auf VOX).
In einer Folge der 80er "Hitchcock"-Serie lief ein kurzer Ausschnitt aus der Serie (die ich nicht für nachsynchronisiert halte), da auch beides vom Fernsehen der DDR, wo neben Ernst Meincke auch Dieter Memel eine Rolle spricht (Klient, Auftraggeber... kein Plan). Mehr ist wohl vorerst nicht rauszukriegen.
Zitat von Stefan der DEFA-Fan im Beitrag #26Zyniker ist schon ein passendes Stichwort, denn ich vermute, dass dies vor allem Lord Peter stört - eigentlich ist Marlowe ja ein unerschütterlicher Idealist, trotz seiner schnoddrigen Kommentare (zumindest nach meiner Definition). Aber der Sprung vom Idealisten zum Zyniker ist nur ein kurzer, auch wenn der Gedanke nicht schön ist ...
Mein Problem mit Goulds Marlowe ist nicht nur das - der Typ ist ja nicht nur ein Zyniker, sondern ein Fatalist, der auch noch abgeklärt (wenn auch mit angewidertem Gesicht) daneben steht, wenn ein bekloppter Gangster mal eben seine Freundin mit einer kaputten Flasche entstellt, nur um ihm zu beweisen, wozu er fähig ist - geht's noch? Chandlers Marlowe hätte wenigstens (trotz der Übermacht) noch einen angemessenen Kommentar auf Lager gehabt. Und auch ansonsten ist der Gould-Marlowe ein grundpassiver Charakter, der den ganzen Film über nur reagiert, aber niemals agiert (vom Ende mal abgesehen, und da wirkt es dann komplett "out of character"). Mir ist schon klar, was Brackett und Altman da grundsätzlich vorschwebte - aber es ist absolut nicht meins. Aber Altmans größter Fan war ich sowieso nie...
Durch diese Diskussion angeregt habe ich mir den Film wieder angesehen, der mir zuletzt 2011 untergekommen war. Die Passivität der Hauptfigur ist wirklich extrem, passt aber leider genau zum Film, der absolut träge inszeniert ist, so dass weder Spannung noch wirkliches Interesse für oder Anteilnahme gegenüber irgendeiner Figur entsteht; selbst der Schriftsteller Wade und sein Schicksal sind einem egal, es interessiert auch kaum, wie die einzelnen Figuren miteinander verbunden sind. Sogar die Szene, in der Augustine einen seiner Schläger anweist, Marlowe mit einem Messer zu entmannen (!) - was durch einen glücklichen Zufall verhindert wird - erzeugt keine wirkliche Spannung oder auch nur einen Schock. Natürlich gehört der Pessimismus zum Genre, aber hier ist die Stimmung so extrem fatalistisch, dass völlig Gleichgültigkeit aufkommt, und dass ist für einen Krimi tödlich. Wie schon in einem Beitrag von 2011 fiel mir auch jetzt die Art auf, wie die einzelnen Figuren gefilmt wurden (oft im Dunkeln, unscharf oder aus Distanz); das trägt sicher auch dazu bei, dass einem Identifikation, Anteilnahme oder auch nur Interesse schwerfallen. Wenn man sich für neo-Noirs oder das Genrekino aus dieser Zeit interessiert, kann man sich den Film natürlich trotzdem ansehen oder auch, wenn man einen Marlowe sehen will, der das absolute Gegenstück zu Humphrey Bogarts Interpretation ist.
Man muss halt wie immer Buch und Film trennen. Der Film mag keine adäquate Adaption des Buches sein. Aber es ist ein Film, der den damaligen Zeitgeist unglaublich gut einfängt und dabei sehr witzig ist (was natürlich subjektiv ist). Es ist eine Interpretation des klassischen Noirs, eben ein Neo-Noir.
Aktuelleres Beispiel ist Jack Reacher von Tom Cruise dargestellt. Natürlich kann man die Abweichungen der Figur zum Buch schlecht finden, aber der (erste) Film ist dennoch ein kompetent gemachter, spannender und unterhaltsamer Film. Man muss immer jede Gattung für sich sehen.