Zitat von fortinbras im Beitrag #1Wieso er die Rolle in diesem Film übernahm, wäre wirklich interessant. Glaubte er vielleicht (zumindest im Vorfeld), der Film bemühe sich, Vorurteile abzubauen und um Verständnis zu werben (was die FSK allen Ernstes monierte und daher verschiedene Schnitte, neue Szene und Nachsynchronisationen verlangte)?
Vermutlich, da Christian Wolff rückblickend Harlan verteidigte und den Eindruck vermittelte, Harlan habe einen progressiven Film drehen wollen. Da aber beide Fassungen auf DVD zugänglich sind, steht leider fest, dass im besten Falle ein missglückter Versuch das Endergebnis war.
danke für den Beitrag, der ausgesprochen interessant ist. Immerhin - das Ende, in dem Joloff sich dem Gesetz entziehen kann, war die erste Fassung und zumindest in Österreich lief sie so.
Irgendwie ist es natürlich grotesk, daß ausgerechnet ein Veit Harlan einen progressiven Film drehen wollte. Wie auch immer das Christian Wolf sieht, ganz nachvollziehen kann ich das nicht, denn letztendlich fügt sich der Film den moralischen Standpunkten jener Zeit. Paula Wessely hätte wohl auch niemals in einem progressiven Film mitgespielt. Mag sie auch als noch so bedeutende Künstlerin gelten, ihre persönlichen Einstellungen zu Politik, Gesellschaft und Minderheiten waren stets von einer sehr konservativen Haltung geprägt, wie man sie Künstlern ja kaum nachsagt.
Lg, Frank
Und nochmal einfach so gesprochen: ich finde es jammerschade, daß sich Joloff nahezu gänzlich aus dem Synchrongeschäft zurückzog in den 60er-Jahren. Da wären eine ganze Fülle an Rollen noch für ihn dagewesen.
Ein ambivalentes Bild: In den Produktionsnotizen schlug Harlan eine Schlussszene vor, in der Joloff von seinen ehemaligen "Jüngern" verprügelt wird. Mag sein, dass die Zensur noch mitgemischt hat, aber sein Standpunkt war auch recht dehnbar...
Zitat von Markus im Beitrag #33Ein ambivalentes Bild: In den Produktionsnotizen schlug Harlan eine Schlussszene vor, in der Joloff von seinen ehemaligen "Jüngern" verprügelt wird. Mag sein, dass die Zensur noch mitgemischt hat, aber sein Standpunkt war auch recht dehnbar...
In gewisser Hinsicht ist diese Ambivalenz ja ein Paradebeispiel vieler Regisseure, die zur NS-Zeit tendenziöse Filme drehten und später nicht wußten, in welche Richtung sie überhaupt gehen sollen. Von der visuellen Kraft und der dichten Regie seiner früheren Werke erkannte man bei Harlan später ohnehin nichts mehr, da war er ziemlich konventionell. Mich wundert nur, daß er überhaupt noch Aufträge bekam und wieviele Künstler sehr gerne mit ihm arbeiteten. Zu seinen größten Verteidigern zählten ja auch Hans Nielsen und in Österreich Paula Wessely. Die Einstellungen zu gesellschaftspolitischen Veränderungen und auch zur NS-Zeit von Paula Wessely ist noch immer nicht ausreichend in einem Buch behandelt worden. Aber das schweift vom Thema ab. Ich finde es nur nach wie vor interessant, daß ausgerechnet der homosexuelle Joloff, der ja auch Probleme deshalb hatte zur NS-Zeit, mit Harlan in so einem Film mitmachte...schade, daß man wohl nie die Hintergründe oder die Motivation erfahren wird.
Zitat von fortinbras im Beitrag #34schade, daß man wohl nie die Hintergründe oder die Motivation erfahren wird
Falls die Entstehungsgeschichte dieses Filmes irgendwann mal wissenschaftlich untersucht werden sollte, ließe sich eventuell anhand von Produktionsunterlagen klären, ob Joloff von vornherein erste Wahl für die Rolle des Dr. Winkler war, oder ob man hier zunächst eher an jemand anderen dachte. Und vielleicht sogar, ob es hier länger dauerte, bis er bereit war, diese Rolle zu übernehmen. Oder vielleicht hatte man ihn dafür gewonnen, indem man ihm im Vorfeld ein anders akzentuiertes Treatment oder Drehbuch vorlegte*, so dass er zunächst glaubte, der Film solle in eine andere Richtung gehen.
*Mir kam dieser Gedanke, weil bei "Spartacus" angeblich mehrere Darsteller geködert wurden, indem man ihnen Drehbücher schickte, in denen ihre jeweilige Rolle weit mehr Raum einnahm, als dies letztendlich im Film der Fall war.
@berti: Interessanter Gedanke! Hat es in diesem Zusammenhang etwas zu bedeuten, dass Joloff in Harlans nächstem Film, LIEBE KANN WIE GIFT SEIN, wieder auftaucht (incl. einer postkoitalen Bettszene mit der Protagonistin)?
Was die Wessely angeht - irre ich mich oder hatte sie in diesen Jahren nicht finanzielle Schwierigkeiten mit ihrer eigenen Produktionsfirma?
Zitat von vornoff im Beitrag #36Hat es in diesem Zusammenhang etwas zu bedeuten, dass Joloff in Harlans nächstem Film, LIEBE KANN WIE GIFT SEIN, wieder auftaucht (incl. einer postkoitalen Bettszene mit der Protagonistin)?
Paula Wesselys Filmproduktion war tatsächlich in Schwierigkeiten, aber sie war deshalb nicht pleite. Sie nahm auch nicht allein des Geldes wegen Rollen an - zu jener Zeit wurden ihre Auftritte immer rarer. Und alle ihre Kino- und Fernsehfilme nach 1945 waren entweder seicht oder eindeutig konservativ in ihrer Prägung. Sie hat auch die progressiven Ströme des Theaters kritisch begutachtet und sich davon sehr fern gehalten. Bekannt ist auch, daß sie Hilde Krahl etwa einen Brief schrieb, in dem sie sich von dieser gekränkt zeigte, weil sie in "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" spielte. Die Krahl hat diese Rolle noch 30 Jahre später bedauert, ganz im Gegenteil zu Hans Holt als George. Holt war ein Gegner des Regie-Theaters, liebte aber progressive Stücke (Albee, Williams, etc).
Bereits vor dem "Anschluß" 1938 machte die Wessely zusammen mit ihrem Mann Attila Hörbiger in Werbefilmen des Propagandaministeriums mit, die für eine Heimkehr Österreichs ins Reich plädierten. Ihr Mann ging bald auf Distanz zum Regime und bezog später mehrfach relativ klar Stellung-im Unterschied zu Frau Wessely.
Diese arbeitete bevorzugt mit Harlan und besonders Gustav Ucicky. In dessen Hetzfilm "Heimkehr" forderte sie im Dialog klar auf, nicht bei Juden zu kaufen. Auch nach dem Krieg schätzte sie diese Filmemacher und verteidigte sie.
Paula Wessely lebte abseits der Bühne sehr zurückgezogen und hatte aus der Künstlerszene nur wenige Freunde und diese waren eindeutig konservativer Prägung (Josef Meinrad etwa). Zahlreiche Künstler gingen zu ihr auf Distanz und im Unterschied zu regimefreundlichen Leuten wie Erik Frey, Rolf Wanka oder Werner Krauß bemühte sie sich nie um Versöhnung und blieb in der Szene eine Außenseiterin. Nach dem Krieg war sie auch die einzige Künstlerin, die nicht beim Wiederaufbau der zerbombten Theater half. Ebenso bekannt war ihre allgemeine Reserviertheit gegenüber bekannten homosexuellen Kolleginnen und Kollegen wie Raoul Aslan, Tonio Riedel, Eva Zilcher und Dorothea Neff.
Für ihren antijüdischen Satz hat sie sich gegenüber ihren kritischen und politisch engagierten Töchtern entschuldigt und das recht halbherzig auch öffentlich getan. Das war allerdings ihre einzige Stellungnahme über viele Jahrzehnte. Sie nahm auch kaum an Gedenkveranstaltungen des Burgtheaters bei, die unter Claus Peymann eingeführt wurden. Viele andere "Burgpensionisten" waren sehr wohl dort zu finden.
Detail noch zu Harlan, falls ich's nicht schon schrieb: seine Tochter ist die Schauspielerin und vielbeschäftigte Synchronsprecherin Maria Körber.
erstens Mal war es sicher so, daß er vergleichsweise unbekannt war und keineswegs um sein Image fürchten mußte. Für gutes Geld in einem A-Film neben großen Namen zu spielen, das ist schließlich etwas. Im Allgemeinen hat man damals ja auch ganz andere Einstellungen gehabt, man darf das nicht mir heutigen Augen betrachten. Harvey Fierstein sagte mal sinngemäß, daß negative Sichtbarkeit immer noch besser ist als gar nicht gesehen zu werden. Vielleicht dachte er sich so etwas oder fand es amüsant, mit einem Harlan zu arbeiten, der jetzt tatsächlich einen "progressiven" Film machen wollte. Wo er doch früher...
Natürlich spielt die Gage für Schauspieler eine Rolle, und persönliche Einstellungen zur jeweiligen Rollen oder zum Filmen sollte man nicht überbewerten. Aber in Joloffs Fall kommen eben gleich zwei Faktoren ins Spiel: Einmal seine Homosexualität, die er nicht kaschierte und die in seiner Biographie Spuren hinterlassen hatte. Aber trotzdem spielte er in diesem Film eine Rolle, die im Grunde als Verführer auftritt und teilweise dämonisiert wird. Hinzu kommt eben, dass er dies ausgerechnet unter der Regie eines Veit Harlan tat, der im Nachkriegsdeutschland scharf attackiert wurde, dessen Filme selbst bei völlig unpolitischen Themen für Proteste sorgten und mit dem offenbar auch manche Filmschaffende nichts zu tun haben wollten.
Zitat von John Connor im Beitrag #25In mein Hirn eingebrannt hatte sich damals auch sein erstaunt-enttäuschtes "Leonard!" zu Martin Landau in DER UNSICHTBARE DRITTE - ein einziger Ausruf nur, aber so überzeugend vorgetragen, dass man schon beinahe Mitleid hat mit dem bösen Mason.
Kurz vor diesem Ausruf gibt Leonard Phillip Vandamm gegenüber zu verstehen, dass er dessen Geliebte Eve Kendall verdächtigt, ein doppeltes Spiel zu treiben. Zusätzlich wird angedeutet, dass Leonards Gefühle für seinen Chef über bloße Loyalität hinausgehen. Vandamm quittiert das mit der halb überraschten und halb ironischen Bemerkung, Leonard sei anscheinend "eifersüchtig" auf seine (Vandamms) Geliebte. Dass Joloff der nur dezent angedeutete, aber doch relativ klare homoerotische Unterton dieser Szene bewusst gewesen sein dürfte, steht außer Frage. Natürlich soll man sowas nicht überbewerten. Aber ob er als bekennender Schwuler es als Ironie empfunden hat, eine solche (aus heterosexueller Perspektive kommende) Position einzunehmen?
Zitat von John Connor im Beitrag #25In mein Hirn eingebrannt hatte sich damals auch sein erstaunt-enttäuschtes "Leonard!" zu Martin Landau in DER UNSICHTBARE DRITTE - ein einziger Ausruf nur, aber so überzeugend vorgetragen, dass man schon beinahe Mitleid hat mit dem bösen Mason.
Kurz vor diesem Ausruf gibt Leonard Phillip Vandamm gegenüber zu verstehen, dass er dessen Geliebte Eve Kendall verdächtigt, ein doppeltes Spiel zu treiben. Zusätzlich wird angedeutet, dass Leonards Gefühle für seinen Chef über bloße Loyalität hinausgehen. Vandamm quittiert das mit der halb überraschten und halb ironischen Bemerkung, Leonard sei anscheinend "eifersüchtig" auf seine (Vandamms) Geliebte. Dass Joloff der nur dezent angedeutete, aber doch relativ klare homoerotische Unterton dieser Szene klar gewesen sein dürfte, steht außer Frage. Ob er als bekennender Schwuler es als Ironie empfunden hat, eine solche (aus heterosexueller Perspektive kommende) Position einzunehmen?
Sicher hat es für Cineasten einen gewissen Reiz, sich über potentielle, bei der Arbeit parallel mitlaufende (bewusste oder unbewusste) Gedankengänge von Künstlern Vermutungen anzustellen. Man darf dabei allerdings nicht vergessen, dass künstlerische Prozesse nach anderen spezifischen internen Regeln funktionieren als Therapie-Sitzungen auf der Couch eines Psychoanalytikers. Will sagen: wenn Künstler bei jedem ihrer Arbeitsschritte über ihre persönliche Betroffenheit Gedanken machen müssten, würden sie ihren Job nicht adäquat machen. Es gibt da eine alte erkenntnistheoretische Weisheit: Man kann beim Denken nicht immer sein Denken mitdenken. Dann käme man nämlich nicht mehr aus der Meta-Schleife heraus. Das ist meine Meinung.
Natürlich müssen solche Gedanken nicht immer im Spiel sein. Aber Friedrich Joloff verbrachte den größten Teil seines Lebens in Zeiten, in denen er aufgrund seiner Homosexualität Gefahr lief, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten bzw. tatsächliche Schwierigkeiten damit bekam. In diesem Fall müssen es natürlich ekine teifgreifenden Gedanken gewesen sein, sondern vielleicht "nur" schlichte Amüsiertheit über den Zufall, der sich aus seiner Besetzung ergab.