Zitat von fortinbras im Beitrag #45Ähm...falls mein Urteil über Karaseks Buch etwas hart ist, ich halte generell sehr wenig von ihm
Macht nichts! Ich finde manche seiner Texte durchaus amüsant (allerdings bei weitem nicht alle, die er selbst für witzig oder geistreich hält), aber dem Eindruck häufiger Schleimerei würde ich nicht widersprechen, zumal er häufig auch zu Eitelkeit und Geschwätzigkeit neigt.
Da sowohl Preminger (bzw. Wilders Verhältnis zu diesem) als auch die "Legion of Decency" (und deren Verurteilung einiger Filme) in diesem Buch viel Raum einnehmen, muss man in diesem Fall aber nicht sonderlich "aufmerksam" sein.
Hallo Berti! Du beschreibst das wirklich sehr schön und treffend! Das Peter Bogdanovich-Buch würde ich fast als Pflichtlektüre bezeichnen, das ist wirklich ausgezeichnet! Ich weiss nicht, ob dich so etwas interessiert, da es primär phantastische Filme behandelt und auch nur in englischer Sprache erhältlich ist-"A new Heritage of Horror" von David Pirie. Das ist ein absolut hinreissendes Buch! Es erzählt die Geschichte des britischen Horror/SF/Fantasyfilmes, natürlich mit Fokus auf Hammer und Imitatoren. Es ist normalen Fanbüchern haushoch überlegen, weil es sehr wissenschaftlich ist (aber einfach zu lesen). Es durchleuchtet alle Aspekte im Zusammenhang mit dem Genre, zeigt auch den Einfluss auf andere Filmmeilensteine (Hammer ebnete den Weg etwa für die James Bond-Filme, wie man sie kennt) und vor allem bietet es eine faszinierende Geschichte zu Jahrzehnten britischer Filmzensur. Das ist teilweise hochgradig absurd und fantastischer, als jede Filmutopie es sein könnte. Beispielsweise weigerte sich eine Zensorin, das Drehbuch zu "XX-unbekannt" abzusegnen. Darin öffnen sich Spalten im Boden und ein mysteriöses zähflüssiges Wesen quillt hervor. Die Zensorin hielt das für versteckte, vulgäre Sexszenen. Denn ein Spalt mit dickflüssigem Etwas würde beim Kinogänger sofort die Assoziation zu weiblichen Geschlechtsorganen herstellen. Es bedurfte immenser Überzeugungsarbeit, das dem nicht so sei.
Zitat von berti im Beitrag #46Ich finde manche seiner Texte durchaus amüsant (allerdings bei weitem nicht alle, die er selbst für witzig oder geistreich hält), aber dem Eindruck häufiger Schleimerei würde ich nicht widersprechen, zumal er häufig auch zu Eitelkeit und Geschwätzigkeit neigt.
Da hat er mit Wilder ja dann ein kongeniales Objekt gefunden, der selbst ein selbstgefälliges A...loch war mit großem Hang zum Pennäler-Witz, aber zugegebenermaßen ein brillanter Filmemacher - nicht so sehr in formalästhetischer Hinsicht (da ist er seinen Exilkollegen Lang, Siodmak, Ulmer etc. doch sehr unterlegen), aber doch als Autor.
Die meisten Bücher über Wilder sind allerdings nicht empfehlenswert: Seidl macht sich in seiner Heyne-Monografie über Karassek lustig, liefert aber selbst nur oberflächliches Stückwerk; Camerons Interviewbuch versucht auf den Spuren von Truffaut-Hitchock zu wandeln, scheitert aber kläglich. Die von der Stiftung Deutsche Kinemathek anlässlich einer Wilder-Retrospektive herausgegebene und erweiterte deutsche Ausgabe von Neil Sinyard und Adrian Turner: BILLY WILDERS FILME ist aber ein Volltreffer, sehr schöne Analysen und gelungene Strukturierungen von Wilders Werk.
Danke für den Buchtip, ich bin bei Werken über Wilder immer sehr skeptisch und habe bisher noch keine objektiv-kritische Studie seiner Filme oder seines Lebens in der Hand gehabt. Deiner Einschätzung Billy Wilders wage ich kaum zu widersprechen. Ich habe mir oft vorgestellt, wie das so gewesen sein muß, diese Begegnung Wilder-Karasek. Kennst du zufällig ein gutes Buch über Fritz Lang? Den schätze ich teilweise sehr, aber zumindest im deutschsprachigen Bereich habe ich noch kein zufriedenstellendes Buch in Händen gehalten. Bitte nicht missverstehen, aber deutsche Autoren neigen dazu, aufgrund des NS-Regimes ausgewanderte Künstler besonders zu glorifizieren. Und machen sogar aus dem doch eher mittelmäßigen Mabuse-Comeback von 1960 ein Meisterwerk der Filmgeschichte. Siodmaks Schaffen indes, wurde meiner Meinung nach noch nicht ausreichend gewürdigt. Das war ein toller Regisseur, selbst wenn es häufig nur B-Movies waren, die er machte! Falls du von Robert sprichst, Curt war ja auch nicht ohne. Seine Beiträge zum Phantastik-Genre sind auch nicht ohne.
Hmm, der Threadstarter wird über deine Off-topic-Frage nicht erfreut sein, glaub ich.
Tja, irgendwas scheint mächtig schief zu laufen, was deutschsprachige Bücher über Fritz Lang betrifft: 2012 sollte endlich Lotte Eisners legendäre Monografie über Lang in einer vollständigen deutschen Ausgabe erscheinen (1976 nur fragmentarisch erschienen), aber das Buch ist immer noch nicht (bzw. nicht mehr?) verfügbar. Ich kenne nur die englischsprachige Ausgabe, und die ist trotz der offen zur Schau gestellten Bewunderung großen alten Dame ein Standardwerk. Und dann wurde für 2001 vom Schüren VErlag unter dem Titel (bzw. einer Kaskade von Titeln): "Im Zeitalter der Angst. Fritz Lang und seine Filme. Neubetrachtungen eines Gesamtwerks" ein Sammelband angekündigt - die Beteiligung von Thomas Koebner ließ das Allerbeste, von Norbert Grob das Allerschlimmste erwarten, aber: nada - das Buch erblickte, aus welchen Gründen auch immer, nie das Licht der publizistischen Welt. Dafür erschien im selben Verlag aber 2012 anlässlich der Viennale-Retrospektive ein anderer opulenter Sammelband mit langweiligem Selbst- und Fremdzeugnis- und okayem Filmografie-Teil. Maibohms zeilenschindende Heyne-Biografie kann man gleich in die Tonne kloppen. Neben Eisners Monografie finde ich eigentlich nur das Essay-Büchlein aus der blauen "Reihe Film" bei Hanser von 1976 ziemlich gelungen, mit Beiträgen der üblichen Verdächtigen der alten "Filmkritik"-Garde Patalas, Grafe & Co., deren elitäres Filmverständnis mächtigen Flurschaden in der deutschen Filmpublizistik angerichtet hat, hier aber ausnahmseweise zu einem guten Resultat geführt hat.
Robert Siodmak hat in Deutschland leider nie die Anerkennung bekommen, die z.B. Lang gezollt wurde (selbst zu Curtis Bernhardt Werk ist ein vorzügliches Buch erschienen). Hier existiert nur das vom ehemaligen Zeit-Kritiker Hans Christoph Blumenberg edierte Erinnerungsbuch "Zwischen Berlin und Hollywood", zu Siodmaks Werk selbst findet man nur in einschlägigen Genrebüchern zum film noir weiterführende Analysen.
Ich hab ein gutes Wort für uns beim Thread-Starter eingelegt-er gestattet großmütigst unser Abdriften.
Lotte H. Eisner darf begeistert sein, weil sie das hinreissend macht und von sehr kompetent ist! Mir liegen nur all jene Publikationen schwer im Magen, die über- oder pseudo-intellektuell sind und sich elitär geben, sich nur an eine kleine Gemeinde wenden und den Großteil von Filmfreunden ausschließen. Oder zumindest alle, die behaupten, daß ein Film auch eine Existenzberechtigung hat, wenn er nur unterhält. Ich kaufe und lese sehr viele Filmbücher und bin da recht offen, aber wenns um die sogenannten Großen geht, bekomme ich Skepsis. Da ist es sehr schwierig, brauchbare Literatur zu bekommen.
Robert Siodmak ist einer der visuell stärksten Regisseure seiner Zeit, wobei er die Grenze eigentlich nie überschreitet, an der es dann zuviel wird. Andererseits kann er aber auch ergreifend schlicht sein. "Die Wendeltreppe" habe ich mit etwa acht Jahren mal gesehen und konnte die ganze Nacht nicht richtig schlafen. Die Augen des Mörders verfolgten mich in meine Träume. Noch heute finde ich diese Aufnahmen und den visuell umgesetzten Wahnsinn des Mörders großartig und seiner Zeit weit voraus. Selbst mittelmäßige B-Horrorstreifen wie "Draculas Sohn" bekamen durch seine Inszenierung eine gewisse Magie und wirkten aufregender, als sie waren. Seine Arbeiten mit Burt Lancaster schätze ich auch sehr! Letzterer wird an "Der rote Korsar" sicher auch seinen Anteil an Ideen gehabt haben, aber der Film ist irre! Sogar meinem neunjährigen Neffen, der Blockbuster-verdorben ist, entlockte der die Aussage: "Das ist viel cooler als Fluch der Kaaribik!" "Nachts, wenn der Teufel kam" finde ich aber etwas überschätzt und vor allem von Mario Adorf peinlich schlecht gespielt (Geschmacksache, ich mag Adorf generell nicht sehr-eben weil er meistens übertreibt). "Die Ratten" indes fand ich sehr stark, ich finde aber auch "Mein Schulfreund" besser, als behauptet. Wenn mich hier auch Heinz Rühmann etwas stört, den ich auch nie so mochte.
In William Wylers "Infam" spielen Audrey Hepburn und Shirley MacLaine zwei junge Lehrerinnen, die durch Gerüchte und Verleumdungen in den Verdacht geraten, mehr als nur Freunde zu sein, wodurch sie sozial ausgegrenzt und (wegen Entfernung ihrer Schülerinnen aus der Schule durch "besorgte" Eltern) existenziell geschädigt werden. Gegen Ende gesteht die von Shirley MacLaine gespielte Martha ihrer Kollegin Karen (Audrey Hepburn), dass sie für diese insgeheim mehr als freundschaftliche Gefühle empfinde und nimmt sich das Leben. Dies entspricht den damaligen Hollywood-Konventionen, nach denen Lesben entweder sterben oder zur Heterosexualität "bekehrt" werden mussten. Das Wort "lesbisch" fällt zwar nie, aber es ist völlig klar, was in diesem Fall mit "unnatürlich" und "sündigem sexuellen Umgang" gemeint ist, obwohl Regisseur Wyler (laut Shirley MacLaines Memoiren) massive Kürzungen vornahm. Natürlich kam auch weibliche Homosexualität schon vorher in Filmen vor, aber wohl kaum in einem, der dieses Thema so stark in den Vordergrund stellte und die Intoleranz, Bigotterie und Verlogenheit einer massiv homophoben Gesellschaft anprangerte. Insofern könnten Marion Degler und Gertrud Kückelmann in ihren Rollen durchaus etwas Besonderes gesehen haben.
Zitat von John Connor im Beitrag #502012 sollte endlich Lotte Eisners legendäre Monografie über Lang in einer vollständigen deutschen Ausgabe erscheinen (1976 nur fragmentarisch erschienen), aber das Buch ist immer noch nicht (bzw. nicht mehr?) verfügbar. Ich kenne nur die englischsprachige Ausgabe, und die ist trotz der offen zur Schau gestellten Bewunderung großen alten Dame ein Standardwerk.
Auf dieses Buch warte ich schon lange, auch weil die englischsprachige Ausgabe der französischsprachigen unterlegen sein soll (bearbeitet/gekürzt und nicht optimal übersetzt) und mein Französisch meinem Englisch unterlegen ist. Laut Belleville, die seit einigen Jahren sogar eine Lotte-Eisner-Werkausgabe herausbringen wollen, ist die Rechtekonstellation schwierig, aber sie bleiben dran.
In Camerons Buch ist übrigens die Rede davon, dass ein deutsches Interviewbuch von Wilder nicht zur Übersetzung ins Englische freigegeben wurde, weil er damit nicht zufrieden war...
Zitat von berti im Beitrag #52In William Wylers "Infam" spielen Audrey Hepburn und Shirley MacLaine zwei junge Lehrerinnen, die durch Gerüchte und Verleumdungen in den Verdacht geraten, mehr als nur Freunde zu sein, wodurch sie sozial ausgegrenzt und (wegen Entfernung ihrer Schülerinnen aus der Schule durch "besorgte" Eltern) existenziell geschädigt werden. [...] Das Wort "lesbisch" fällt zwar nie, aber es ist völlig klar, was in diesem Fall mit "unnatürlich" und "sündigem sexuellen Umgang" gemeint ist, obwohl Regisseur Wyler (laut Shirley MacLaines Memoiren) massive Kürzungen vornahm.
Natürlich kam auch weibliche Homosexualität schon vorher in Filmen vor, aber wohl kaum in einem, der dieses Thema so stark in den Vordergrund stellte und die Intoleranz, Bigotterie und Verlogenheit einer massiv homophoben Gesellschaft anprangerte. Insofern könnten Marion Degler und Gertrud Kückelmann in ihren Rollen durchaus etwas Besonderes gesehen haben.
Mein lieber berti, du spuckst ja mal wieder reichlich bombastische Töne: Intoleranz, Bigotterie, Verlogenheit, homophobe Gesellschaft – darunter scheint es bei dir wohl nicht zu gehen! . Zum einen würde ich keiner einzigen Erinnerung Glauben schenken, die die verrückte alte Schachtel da aus einem ihrer früheren Leben wiedergibt.
Zum anderen ist es immer noch dieselbe „homophobe Gesellschaft“, in der die Filmvorlage von Lilian Hellman, das Theaterstück THE CHILDREN’S HOUR, geschrieben und aufgeführt wurde. Und es war die Autorin SELBST (!!!), die für die erste Verfilmung ihres Stückes das Thema modifizierte: nun bestand der Skandal darin, dass die eine Lehrerin ein Verhältnis mit dem Verlobten ihrer Kollegin hat. Dass die Autorin selbst diese Modifikation vorgenommen hat, sollte doch einen Hinweis darauf geben, dass die Auslassung oder Maskierung bestimmter Themen und Sujets in den Filmen der großen Hollywood-Studios nichts mit der Rückständigkeit der US-amerikanischen Gesellschaft zu tun, sondern hauptsächlich mit der freiwilligen Selbstkontrolle Hollywoods. Homosexualität, Seitensprung, Pädophilie, vorehelicher Sex etc. sind allesamt Themen, die amerikanische Exploitations-Filme jenseits von Hollywood seit den 1930ern in großer Anzahl produzierten, und zwar recht erfolgreich produzierten – weil sie sich nicht der Selbstzensur unterwarfen (bzw. daraus Kapital schlugen).
Und es ist dieselbe „homophobe Gesellschaft“, in der Richard Brooks einen Roman über einen MOrd in der amerikanischen Armee schreiben konnte, in dem das Mordopfer ein Homosexueller war. Und ob die Motivverlagerung in Dmytryks Verfilmung unter dem Titel CROSSFIRE verfilmt wurde, aus dem Mordopfer einen Juden zu machen, gegen den Film oder überhaupt gegen das Hollywood-Syndrom spricht, darüber ließe sich trefflich streiten (ich finde, das Gegenteil ist der Fall).
Wie dem auch sei: es ist nicht Aufgabe des Unterhaltungsfilms, die Gesellschaft aufzuklären oder zu belehren. Und wenn er skandalträchtige Themen, wenn er heiße Eisen wie Homosexualität anpackt, dann macht er das in erster Linie, weil er diese Themen für Unterhaltungszwecke ausschlachten kann, was völlig legitim ist. Ob ein Film nun ein bestimmtes Thema aufgreift oder ignoriert, macht ihn das deswegen weder zu einem guten noch zu einem schlechten Film.
Zunächst: Natürlich wären Shirley MacLaines Erinnerungen als alleinige Quelle nicht unbedingt über jeden Zweifel erhaben. Aber der Bildteil enthält ein Foto aus einer Szene, die in einem Gerichtsprozess spielt, also definitiv gedreht wurde. Im fertigen Film ist diese Szene nicht zu sehen, der Prozess wird "nur" erwähnt. Natürlich kann es sein, dass Wyler die Szene strich, weil er meinte, sie halte den Erzählfluss auf und eine spätere Wiedergabe des Inhalts im Dialog genüge völlig. Aber zur Not ließe sich sicher noch anhand irgendwelcher Unterlagen nachprüfen, ob die anderen erwähnten Szenen gedreht wurden oder nicht. Dass es eine frühere, thematisch abgeschwächte Version gab, ist mir bekannt. Allerdings weiß ich auch, dass um 1960 eine leichte Lockerung der Zensurvorgaben stattfand, die es ermöglichte, manche Themen zumindest ansatzweise anzusprechen, so dass eine Darstellung wie in diesem Film nur wenige Jahre zuvor wohl nicht möglich gewesen wäre (es sei denn, der Regisseur wäre Otto Preminger gewesen). Natürlich werden Filme produziert, weil man auf das Publikum abziehlt. Allerdings wurde in diesem Fall zumindest versucht, eine Haltung kritisch darzustellen, die zu dieser Zeit nicht nur in Amerika, sondern auch in vielen anderen Ländern noch als "normal" und "anständig" angesehen wurde. Und ein Hollywoodfilm dürfte zu dieser Zeit sicher auch mehr Chance auf eine Verbreitung im Ausland gehabt haben als einer der von dir angesprochenen "Exploitations Filme".
Zitat von John Connor im Beitrag #54Ob ein Film nun ein bestimmtes Thema aufgreift oder ignoriert, macht ihn das deswegen weder zu einem guten noch zu einem schlechten Film.
Diesen Satz möchte ich - ganz allgemein und unabhängig vom hier diskutierten Film INFAM - ganz dick unterstreichen!!
Zitat von John Connor im Beitrag #54Ob ein Film nun ein bestimmtes Thema aufgreift oder ignoriert, macht ihn das deswegen weder zu einem guten noch zu einem schlechten Film.
Diesen Satz möchte ich - ganz allgemein und unabhängig vom hier diskutierten Film INFAM - ganz dick unterstreichen!!
Ich würde ihm zumindest nicht widersprechen, verstehe aber nicht ganz, was er mit dem Thema dieses Threads zu tun hat. Auch wenn manche der hier genannten Filme Tabubrüche enthielten, müssen sie deswegen ja keine Meilensteine oder Höhepunkte der Filmgeschichte sein.
Zitat von berti im Beitrag #55 Dass es eine frühere, thematisch abgeschwächte Version gab, ist mir bekannt.
Es geht nicht darum, dass es eine frühere, abgeschwächte Version desselben Stoffes gab, sondern darum, dass in ein und derselben "Gesellschaft", die in deinem Beitrag als intolerant, bigott, verlogen und massiv homophob verunglimpft wird, Werke über lesbische Liebe (Hellman), Schwulenmord (Brooks), Transvestitismus, Pädophilie etc. (Exploitation) entstanden sind. Diese Werke sind ja nicht in einem luftleeren Raum entstanden, auch nicht in einer anderen Gesellschaft, sondern in derselben Gesellschaft, die du ...
Zitat von berti im Beitrag #57 Ich [...] verstehe aber nicht ganz, was er mit dem Thema dieses Threads zu tun hat.
Ob das etsas mit dem Thema dieses Threads zu tun hat, weiß ich zwar nicht, aber es war ja auch direkt auf DEINEN Beitrag gemünzt, in dem du nicht ästhetische Kriterien an ästhetische WErke anlegst, sondern sachfremde moralische Wertmaßstäbe. Intoleranz, Bigotterie, Verlogenheit, Homophobie an sich sind nun mal keine relevanten Kriterien, wenn es um Filme geht. Dass der alte Hase Wyler mit dem Film nicht für lesbische Liebe plädieren, das Publikum sensibilisieren, aufklären etc. wollte, wird deutlich, wenn man sich die Erzählstruktur von INFAM anschaut, die völlig unterhaltungsgerecht in zwei Pointen einmündet: die Verdächtigungen des Mädels führen dazu, dass MacLaines Figur zugibt, tatsächlich lesbische Gefühle für Hepburns Figur zu hegen und MacLaines Freitod zum Schluss. Ergo: es geht hier nicht um einen Tabubruch oder was, sondern um das ästehtische Ausschlachten des Themas lesbische Liebe; und nur das macht den Film - wenn überhaupt - interessant und sehenswert.
Entschuldigung, aber soweit ich es verstanden habe, geht es in diesem Thread doch um Filme, die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung Tabus brachen und um Synchronsprecher, die sich mit damals ungewohnten Themen konfrontiert sahen. Willst du bestreiten, dass um 1960 in vielen westlichen Ländern (von anderen ganz zu schweigen) Homosexualität ein "Delikt" darstellte, dass mit strafrechtlicher Verfolgung oder "zumindest" sozialer Ächtung "geahndet" wurde? Zur Existenz von Romanen, Theaterstücken oder Exploitation-Filmen kann ich nur Wiederholen, dass ein Hollywood-Film eine erheblich größere Öffentlichkeit erreichen dürfte. Und dass bloße Veröffentlichen von Romanen oder Stücken ohne Verbot muss nicht bedeuten, dass diese toleriert wurden. Widerstand dagegen können sich auch durch geringere Auflagen, Proteste gegen Aufführungen oder Weigerung, ein Stück in den Spielplan aufzunehmen, äußern. In diesem Thread soll es doch (soweit ich sehe) gar nicht darum gehen, "ästhetische Kriterien" anzulegen, sondern Filme in den politischen oder gesellschaftlichen Kontext ihrer Entstehung einzuordnen, vor dem gesehen sie als "mutig", "tabubrechend" etc. erscheinen können. Deswegen müssen sie nicht unbedingt "Meisterwerke" oder "zeitlos" sein ("Infam" würde ich auch als keines von beidem einstufen).
Zum inhaltlichen Aspekt dieses konkreten Films: Als "völlig unterhaltungsgerecht" könnte man es eher bezeichnen, wenn sich das Ende auf die Aufdeckung der Verleumdung beschränken würde, so dass die Protagonistinnen ihr früheres Leben wieder aufnehmen könnten. Marhas "Geständnis" am Ende habe ich eher als einen Versuch gesehen, die psychischen Folgen (Neurotisierung) einer jahrelangen krampfhaften Sellbstverleugnung aufzuzeigen. Eine anschließende "Bekehrung" zur Heterosexualität würde einen üblen Nachgeschmack hinterlassen und wäre sehr viel eher kritikwürdig.
Ich verfolge eure Diskussion mit großem Interesse! Ihr beide liefert jede Menge Argumente, die viel Pro und Kontra beinhalten. Ich will mich da nicht groß ins Schlachtfeld werfen-aber danke für solche anregenden Debatten!!!