Hehe, du willst es einfach nicht kapieren, berti, oder? Dann also noch einmal zum Mitschreiben: du hast in deinem Beitrag NICHT das Hollywood-Studiosystem mit inquisitorischen Vokabeln wie Intoleranz, Bigotterie, Verlogenheit, Homophobie belegt (was schon schlimm genug wäre), sondern nichts weniger als die GESAMTE (amerikanische?) GESELLSCHAFT!!! Meine Gegenbeispiele sollten dir zeigen, dass die Gesellschaft, die du hier als Ganze grobschlächtig verunglimpfst, eben aus diesem Grund nicht bigott, verlogen etc. sein kann, weil eben auch sie Produkte dieser Gesellschaft sind.
Du hättest ja einfach feststellen können, was INFAM deiner Ansicht nach thematisch leistet und darauf verzichten, von einer Position, die die Moral gepachtet zu haben meint, eine ganze Gesellschaft zu diskreditieren bzw. Filme als Instrumente der Moral zu zweckentfremden. Wohlgemerkt: ich kritisiere nicht die Auswahl deines Filmbeispiels (im Gegenteil), wohl aber deine unsachlichen moralinsauren Schlussfolgerungen.
Das Aufgreifen von (vermeintlichen) Tabus in ästhetischen Werken hat natürlich immer und in erster Linie einen ästhetischen Wert (was denn sonst?) – sei es um ästhetische Grenzen auszuloten, sei es um zu überraschen/schockieren, sei es einfach um Tabus sensationalistisch auszuschlachten (persönlich mein liebstes Motiv). Da es in diesem Thread eben nicht um Tabubrüche in der Religion, in der Politik, in der Wissenschaft oder was weiß ich was geht, sondern eben in Filmen, kann es sicher nicht schaden, sich Gedanken darüber zu machen, was das Spezifische an Film sein könnte, was ihn von Religion, Politik, Wissenschaft etc. unterscheidet. Was Film auch sein mag (und worüber man streiten kann), eine moralische Ver-besserungsanstalt ist er ganz gewiss nicht.
„Zum inhaltlichen Aspekt dieses konkreten Films“ Hmm, lass mich überlegen, was mir als unterhaltungssuchendem, sensationsgeilen Zuschauer mehr bietet: wenn am Ende von INFAM gesagt wird: „Ach, es war alles bloß heiße Luft!“, oder wenn der Film eine Sensation an die nächste reiht und die Geschichte mit mehreren Paukenschlägen beendet: Huch, Shirley Maclaine ist ja doch lesbisch! Schock, die begeht auch noch Selbstmord! Wow, Audrey Hepburn kommt jetzt auch ins Grübeln und kehrt ihrem Verlobten James Garner den Rücken… Nee du, ich glaube, ich ziehe die existierende Variante doch deiner Klein-Moritz-Variante vor – nicht etwa, weil sie der intoleranten, bigotten Gesellschaft einen Spiegel vorhält, sondern weil sie so interessanter ist! (Unterhaltung bedeutet eben nicht immer, wie du suggerierst, positive Auflösung der Spannung bzw. Bestätigung des Bestehenden, sondern auch Schock, Irritation, Sensation – dies schon seit ihren Anfängen.)
Ich habe dich schon so verstanden, dass du dich auf mein Urteil zur Gesellschaft bezogen hast. Natürlich will ich nicht sagen, dass um 1960 100 Prozent der Amerikaner (oder auch Deutschen, Briten, Norweger, Kanadier) homophob oder bigott waren, obwohl es in diesen Staaten zu dieser Zeit entsprechende Gesetze gab. Aber dass Haltungen, die Homosexualität als "sündig", "krank", "unnatürlich" etc. werteten damals durchaus Konsens waren, kann man doch kaum bestreiten. Das es daneben auch (in dieser Hinsicht) liberaler denkende Menschen gab, widerspricht dem nicht.
Und wieso zeugt es von "unsachlichen moralinsauren Schlussfolgerungen" und einem "Pachten der Moral", wenn man dies feststellt und zu dem Urteil kommt, dass einer solchen Öffentlichkeit gegenüber ein derartiger Film durchaus eine Provokation (um nicht schon wieder vom Tabubruch zu sprechen) darstellte?
Natürlich können auch "dramatisch" endende Filme einen Unterhaltungswert haben, aber ein Happy End kann einen Film "leichter verdaulich" und somit auch massenkompatibler machen, selbst wenn es nicht recht zum vorher gezeigten und erzählten passen sollte.
Zitat von fortinbras im Beitrag #60Ich verfolge eure Diskussion mit großem Interesse! Ihr beide liefert jede Menge Argumente, die viel Pro und Kontra beinhalten. Ich will mich da nicht groß ins Schlachtfeld werfen-aber danke für solche anregenden Debatten!!!
Hier werden sicher noch andere Mitglieder mitlesen. Falls jemand Lust hat, sich zu beteiligen, darf er/sie das gerne tun. Zusätzliche Sichtweisen wären ja nicht schlecht.
@ John Connor: Das sind ja wohl keine produkte der allgemeinen Gesellschaft, sondern von einzelnen QUERDENKERN innerhalb der Gesellschaft, die Misstände in der Gesellschaft aufdecken.
Diplomatie ist mir in der Regel zu glatt und zu wenig kantig, weil ich die Dinge gern beim Namen nenne. Trotzdem kann ich jetzt nicht anders, als Objektivität hervorzuzerren: die Wahrheit liegt sicher irgendwo zwischen Bertis und John Connors Argumenten.
Und jetzt muß ich gleich meine Objektivität wegschieben... ...mir sind persönlich die halb-gelungenen oder zu gesellschaftskonformen Filme wie "Infam" immer noch lieber als alles, was in den letzten zwei Jahrzehnten unter dem Mäntelchen der "political correctness" für pseudo-tolerante Machwerke das Kino und Fernsehen heimsuchen. Ich finde diese alten, oft nur halbmutigen Filme auf schräge Art ehrlicher.
Groß produzierte Filme mit brisanter Thematik und mutigen Stars, die wirklich etwas bewegen wollen (was Filme natürlich nur in minimalem Rahmen können), die sind selten und meistens waren sie kommerzielle Mißerfolge (Gebrandmarkt/Nimm nichts von Fremden) oder bestenfalls Achtungserfolge (Teufelskreis). Verlogene, der Sensation geschuldete Filme gab und gibt es immer wieder, etwa finde ich es grotesk, dass der geniale, aber als schwulenfeindlich bekannte John Huston ausgerechnet schwule Thematik in "Spiegelbild im goldenen Auge" machte. Generell muß man sich wohl anschauen, WER hinter diesen Filmen steckte und welche Stars darin waren. Robert Aldrich war für aneckende Filme bekannt, aber bahnbrechender wäre "Das Doppelleben der Sister George" sicher gewesen, wenn nicht Beryl Reid die Hauptrolle gespielt hätte, sondern ein Star mit "sauberem Image". Bei "Infam", vom eindeutig konservativen William Wyler, musste sicher keiner etwas fürchten. Shirley Maclaine quasselt gerne und viel, sie sagte auch schon einigen Unsinn zu diesem Film. Dennoch finde ich solche Filme nicht übel, weil sie immerhin Sichtbarkeit bringen oder ein Thema einarbeiten (und sei es nur der Sensation halber). Das ist mir immer noch lieber als etwa eines der konservativsten Machwerke Hollywoods: "Philadelphia". Aussage: wir lassen dich schwul sein, wenn du ein von kirchlichem Gedankengut geprägtes Leben in Treue führst. Wenn du fremd gehst, kriegst du Aids. Und daran wirst du sterben!!! Natürlich kriegen gute Amerikaner Aids nur von einem Mexikaner-die ja bekanntlich in den USA noch weiter unten in der Rangliste stehen als Schwarze und Moslems. Auch "Brokeback Mountain" ist im Grunde nicht so bahnbrechend und tabulos wie oft bezeichnet und medial gepusht. Vielleicht sind noch drei Republikaner geschockt oder in Österreich die ÖVP. Die wollte "Brüno" zunächst verhindern, dann um 10 Minuten kürzen und mit Jugendverbot belegen. Weil die Jugendgefährdung so hoch wäre. Was sagt uns das: Jahrzehnte an Filmen haben nix verändert. Und doch können sie bei Menschen, die in einer persönlichen Lage sind, die in einem Film vorkommt, hilfreiche Gedanken hervorrufen oder ihr Selbstbewußtsein etwas trösten. Einzelne-niemals Massen. Underground- oder Independent-Filme sind und waren immer offener, direkter und häufig besser. Aber eben auch primär für ein gewisses Klientel gemacht. Trotzdem sehe ich Sichtbarkeit als etwas Positives, gerade in früheren Filmen, wo man mehr Mut brauchte und selbst ein Film wie "Infam" noch Ärger bekam, obwohl er inhaltlich ohnehin schon entschärft wurde. Die "besten schwulen Freunde", die liebenswürdigen Schwarzen, etc-die gehen mir in den letzten Jahren auf die Nerven. "Political Correctness" ist in meinen Augen oftmals kontraproduktiv und hat mit dem wirklichen Leben nix zu tun. Es gibt da den deutschen Film "Männer wie wir", der schwule Fußballer thematisiert. Ein braves Filmchen, in dem alle Schwulen super und verständnisvoll sind und am Ende gewinnen sie. Da ist der isländische "11 Men Out" härter, kompromissloser und lässt am Ende die schwulen Fußballer haushoch verlieren. Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung-das gibt es überall. Bei Schwulen, Heteros, Schwarzen, Weissen, Moslems, Juden und auch beim Film. Deshalb kann er natürlich immer nur Abriss der gesamten Gesellschaft sein. Aber es gibt die Querdenker oder die Mutigen, auch in der Unterhaltungsbranche. Was auch immer ihre Motive sind: gut gemacht, sofern es nicht zu verlogen ist!
PS: herrlich widersprüchlich finde ich auch oft, wie Schauspieler in Filmen auftreten und privat sind. Alain Delon hat viele sehr links geprägte Spitzenfilme gemacht, ist aber als rechtskonservativ bekannt. Es ist auch spannend, daß ausgerechnet Brigitte Bardot, die für weiß Gott welche Ideale stand, homophob ist, rassistische Anwandlungen zeigt und dauernd damit aneckt. Sie sind eben Schauspieler, das hat mit der Realität oft wenig zu tun. Es gibt genausoviele Künstler und Akademiker, die "rechts" sind. Nur geben es wenige zu. Wie auch immer ihre persönliche Meinung ist, so haben sie dennoch in Filmrollen ihr Bestes gegeben. So wird es auch Synchronsprechern ergehen und ergangen sein. Vielleicht macht es Benjamin Völz auch keinen Spaß, so oft schwule Rollen zu sprechen-auch wenn er keineswegs Probleme damit haben sollte. Das sind eben Rollen. Dennoch, um auf das Thema des Threads zurückzukommen, haben doch viele Synchronsprecher in Deutschland aneckende, brisante, ungewohnte oder mutige Rollen in der Dunkelkammer gespielt, ehe es im einheimischen Film auch solche Rollen gab. Abgesehen von "Mädchen in Uniform" und späteren Kurzauftritten von maskulinen Klischeelesben, haben doch jahrelang eher noch Synchronsprecherinnen das darstellen dürfen als Kollegen im Film. Und das finde ich persönlich eines der interessantesten Kapitel in der Synchronisation-daß man dank mehr oder weniger mutiger Filmemacher/Querdenker doch so zu Rollen kam, die herausfordernd waren und "anders"-von "Psycho" bis "Infam" oder auch nur einer lasziven Vampirin mit inzestuösen Absichten ("Dracula", 1958).
Die deutsch-jugoslawische Coproduktion "Zeugin aus der Hölle" ist ein Film, der zu seiner Zeit (1965 gedreht, 1967 in den deutschen Kinos gestartet) gleich in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich war. Natürlich hatte es auch zuvor Filme gegeben, die sich mit dem Nationalsozialismus und dessen Verbrechen auseinandersetzten; aber dieser stellte die Verbrechen und deren traumatisierende Folgen für die Überlebenden in den Vordergrund und sprach dabei Themen wie die sexuelle Ausbeutung weiblicher KZ-Häftlinge oder Menschenversuche in Konzentrationslagern drastisch und schonungslos (unterstrichen von nur wenige Sekunden umfassenden, aber trotzdem wirkungsvollen Rückblenden) an. Sicher gab es damals schon Literatur dazu, aber im bundesdeutschen Kino dürfte diese Drastik damals eine Ausnahme gewesen sein. Neben ihren Erinnerungen wird die im Film gezeigte Überlebende Lea Weiss-Clement (Irene Papas mit der Stimme von Eva Katharina Schultz) auch durch rechtsradikale und antisemitische Anrufe und anonyme Briefe traumatisiert. Als der Staatsanwalt Hoffmann (Heinz Drache) diese mit dem jugoslawischen Schriftsteller Boran Petrovic (Daniel Gelin, synchronisiert von Wolfgang Lukschy) durchgeht, verliert Petrovic kurz die Beherrschung und schreit, ob "die Deutschen" nichts aus der Vergangenheit gelernt hätten und immer noch "Nazi-Bestien" seien. Lukschy klang selten so emotional wie hier und wirkt ähnlich bewegt und bewegend wie Wilhelm Borchert in "Urteil von Nürnberg". Angesichts mehrerer antisemitischer Skandale, die nur wenige Jahre vor der Entstehung des Films für Aufsehen gesorgt hatten (etwa die Schmierwelle im Winter 1959/60 oder der Fall Ludwig Zind) wirken diese Vorwürfe äußerst schwerwiegend, zumal Staatsanwalt Hoffmann in dieser Szene lediglich gegen die "Verallgemeinerung" protestiert und dann zugibt, sich für diese "Schmierereien" zu "schämen". Eine wichtige Rollen in dem Film spielt der Rechtsanwalt von Walden (Werner Peters), der zunächst vorgibt, um das Wohl der KZ-Überlebenden besorgt zu sein und für eine Verjährung plädiert, da man sich nach Jahrzehnte nicht mehr genau genug erinnern könne und es außerdem den Opfern nicht zuzumuten sei, vor Gericht aufzutreten und sich erinnern zu müssen. Dadurch, dass er im Verlauf des Films als Anwalt des beschuldigten KZ-Arztes Berger und zugleich auch als Auftraggeber der anonymen Briefe und Anrufe entlarvt wird, erscheint seine frühere Erklärung absolut verlogen. Politisch hochbrisant erscheint dies durch den zeitgeschichtlichen Kontext: Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten endete nicht nur der Frankfurter Auschwitz-Prozess, sondern es gab auch eine juristische und politische Debatte darüber, ob angesichts der nationalsozialistischen Verbrechen die im deutschen Recht (anders als in vielen anderen westlichen Ländern) vorgesehene Verjährungsfrist für Mord noch aufrechterhalten werden könne. Anfang 1965 gab der damalige Bundesjustizminister Ewald Bucher dem "Spiegel" ein Interview, in dem er dezidiert für eine Beibahltung der Verjährung plädierte: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46169196.html An einer Stelle erklärte er: "Wie oft erleben wir, gerade in den KZ-Prozessen, daß die bedauernswerten Zeugen, die ihre Vergangenheit noch einmal aufrollen müssen, körperliche Zusammenbrüche erleben und dann eben doch nur sagen können: Ich war in Auschwitz, ich war in Treblinka, dort wurde geschossen und vergast und gefoltert. Aber wenn sie dann genauer Auskunft zu bestimmten Personen geben sollen, dann können sie nichts sagen - weil sie nichts erfinden und nicht lügen wollen. Weil sie sich einfach nicht mehr erinnern." Diese Argumente werden im Film praktisch in identischer Form von Walden in den Mund gelegt. Auch wenn Bucher zum Zeitpunkt der Dreharbeiten schon nicht mehr im Amt war, dürfte es sehr gewagt gewesen sein, in einem zumindest teilweise bundesdeutschen Film einer als heuchlerisch und negativ dargestellten Figur Positionen eines Mannes in den Mund zu legen, der vor nicht allzu langer Zeit noch Mitglied der Bundesregierung gewesen war. Auch dadurch, dass der Film mit dem Selbstmord der Protagonistin endet, bevor diese vor Gericht gegen den Arzt Dr. Berger aussagen konnte, wirkt er für seine Entstehungszeit ziemlich radikal. "Wir Wunderkinder" z. B. endet mit einer Bestrafung Bruno Tiches "durch das Schicksal" und "Rosen für den Staatsanwalt" suggeriert, Dr. Schramm hätte mit ernsthaften Konsequenzen zu rechnen, sobald seine Vergangenheit ans Licht komme. Die "Zeugin aus der Hölle" dagegen endet ohne solche Zugeständnisse, weshalb man davon ausgehen kann, dass Berger und von Walden ungestraft bleiben werden.
Ich kenne den Film und weiss sinngemäß, was Berti hier geschrieben hat unter den schwarzen Balken.
Diese "Zensur" von Spoilern find ich unangebracht und vor allem in Bezug auf die Aussagekraft des Beitrages störend: ein Teil der Brisanz wird dadurch genommen, auch leidet der Beitrag darunter, daß der Zusammenhang nicht ersichtlich ist. Es nimmt sicher keiner nen Schaden daran, wenn der Text voll da steht!
Vielleicht kann man ein Spoiler-Warnzeichen kreieren, die Balken sind echt nervig!
Wer den Film kennt oder sich nicht durch die Schwärzung abhalten lassen will, kann ja problemlos lesen, was darunter steht. Die Spoiler sollen ja nur den Interessierten, die den Film möglichst ohne zuviel Vorwissen kennenlernen wollen, nicht schon alles verraten.
Klar ist das auch 'ne Lösung, aber S.T.O.F.F.E.L. hat schon recht. Es gibt Foren in denen das schon besser gelöst wird als hier, wie z.B. durch aufklappbare Spoilerwarnungen, die dann auch dementsprechend markiert sind.
@VanToby: Bei der Gelegenheit: Wäre das hier nicht auch machbar ? Das wäre eine gute Lösung.
Dass Nabokovs Roman "Lolita" bei seinem Erscheinen in verschiedenen Ländern Empörung und Proteste hervorrief, dürfte bekannt sein, zumal es zur Geschichte dieses Werks mittlerweile ein eigenes Buch gibt (Dieter E. Zimmer: "Wirbelsturm Lolita – Auskünfte zu einem epochalen Roman"). Der Roman galt sowohl wegen seines Themas als auch wegen seiner Erzählstruktur als unverfilmbar und musste daher stark verändert und abgemildert werden. Besonders entscheidend war dabei, dass die im Roman erst zwölfjährige Titelfigur mehrere Jahre älter gemacht und mit einer betont "reif" wirkenden Schauspielerin besetzt, so dass Humbert Humbert hier weniger als "echter" Pädophiler sondern eher als jemand erscheint, der "nur" einem frühreifen Teenager verfällt. Trotz dieser Entschärfung waren sowohl die Rolle der Lolita als auch die ihres Liebhabers schwer zu besetzen. Ob es Zufall ist, dass James Mason hier erstmals von Friedrich Schoenfelder gesprochen wurde? Immerhin wurde er zu dieser Zeit von Wolfgang Lukschy, Wilhelm Borchert, Paul Klinger und Friedrich Joloff synchronisiert, die allesamt mehrere Einsätze hatten. Natürlich können Terminschwierigkeiten immer vorkommen (zumal sie alle auf der Leinwand und im Theater sehr aktiv waren) oder auch die Überzeugung der Synchronregie/des Verleihs, eine ungewöhnliche Rolle brauche eine "neue" Stimme. Aber könnte es vielleicht auch sein, dass zumindest einige Bedenken hatten? Laut Zimmer fiel die Empörung in der Bundesrepublik zwar weniger heftig als in den USA, Großbritannien oder Frankreich aus, trotzdem dürfte im Vorfeld der Premiere die Brisanz des Buchs und damit auch des Films vielen bewusst gewesen sein. Ob Herrn Schoenfelder die Synchronaufnahmen zu diesem Film besonders im Gedächtnis geblieben sind? Immerhin ist Humbert Humbert eine Rolle mit einem enormen Textumfang, außerdem kam es bei der Premiere zu einer (im Bildteil von "Ich war doch immer ich" dokumentierten) Begegnung mit James Mason.
"Sunday, Bloody Sunday" von John Schlesinger war seinerzeit ein durchaus aufsehenerregender Film. In diesem Film aus dem Jahre 1971 geht es um die Dreiecksbeziehung zwischen einem bisexuellen, jungen Künstler namens Bob (Murray Head), einer geschiedenen Frau namens Alex; schätzungsweise Mitte bis Ende 30 (Glenda Jackson) und dem älteren, schwulen Arzt Daniel (Peter Finch). Man begleitet sie etwas mehr als eine Woche, wobei sich ein tragisches Bild ergibt, da die Personen allesamt Probleme mit sich selber haben. Außerdem sind Beziehungen zueinander nicht von großer Dauer, da Bob sich länger in den USA aufhalten will und dies Letztendes auch tut.
Das Entscheidende in diesem Film war, dass hier zum Einen eine alternative Beziehungsform gezeigt wurde, die zudem zwischen zwei Männern und einer Frau stattfindet sowie dass hier das erste Mal offen Homosexualität gezeigt wurde. In diesem Film gibt es so ziemlich den ersten Leinwandkuss zwischen zwei Männern und auch ein paar Bettszenen zwischen den Beiden sind zu sehen. Diese hätten ihm durchaus Schwierigkeiten bereitet, gab Peter Finch später einmal zu, was für jemanden seiner Generation bei der Thematik durchaus nicht überraschend ist. Beim Dreh war Finch immerhin schon etwa 54, 55 Jahre alt. Dazu kommt noch, dass Peter Finch in seinem Leben dreimal verheiratet war. Was die erwähnte Kussszene angeht, soll er einmal auf die Frage eines Journalisten geantwortet haben: "Ich schloss die Augen und dachte an England".
In der deutschen Synchronfassung sind für Peter Finch Horst Niendorf, für Murray Head Elmar Wepper und für Glenda Jackson Eva Pflug zu hören. Leider ist nichts von den Synchronarbeiten überliefert. Es würde mich interessieren, wie es für die Beteiligten war, diesen Film zu synchronisieren. Ganz besonders frage ich mich, ob Horst Niendorf mit diesem Film seine Schwierigkeiten hatte. Er war ja Jahrgang 1926 und somit auch schon immerhin Mitte 40. Dazu kommt noch, dass man seinerzeit noch zu mehreren Personen aufnahm, was vielleicht theoretisch auch zu Befremdlichkeiten geführt haben könnte, wobei mir auch bewusst ist, dass zum Schauspielberuf auch Sachen gehören, die einen Überwindung kosten können. Von daher können beide Versionen stimmen.
Ok, 1991 ist verglichen mit den hier angeführten Filmen natürlich quasi "in der heutigen Zeit", aber ich stelle mir immer wieder vor, wie sich die Synchronverantwortlichen bei den Synchronarbeiten zu "Das Schweigen der Lämmer" gefühlt haben müssen. Bei der 1991 noch relativ neuen Thematik des Films, und auch bei der hier teilweise derben Wortwahl (vor allem aus dem Munde von Sprechern mit Jahrgängen 1920-30), kann ich mir schon vorstellen, dass das ganze nicht einfach so über die Bühne gegangen ist, bzw. einfach so dahergesagt wurde. Gerade Rolf Schult (Jg. 1927) soll wohl nicht sonderlich begeistert über seine Paraderolle Dr. Lecter gewesen sein (habe ich nur gehört, korrigiert mich, wenn ich daneben liege). Und ob Udo Schenk (gut ist was jünger) Takes wie "Ich würd mich durchficken" oder Andreas Mannkopfs Ausruf "Ich kann deine Fotze riechen" beiden auch einfach so über die Lippen gingen? Immerhin wurden Buch und Regie von Horst Balzer betreut, der ebenfalls wie Schult gebürtig noch aus der Vorkriegsgeneration stammte. Da war man ja uU noch nicht so ganz freimütig drauf, wie heutzutage.
Zitat von Ludo im Beitrag #74Immerhin wurden Buch und Regie von Horst Balzer betreut, der ebenfalls wie Schult gebürtig noch aus der Vorkriegsgeneration stammte. Da war man ja uU noch nicht so ganz freimütig drauf, wie heutzutage.
Laut der damaligen Supervisorin Claudia Leinert hatte Horst Balzer mit manchen obszönen Textstellen tatsächlich Probleme:Synchron-Literatur (2) Und laut Hansi Jochmann war ursprünglich ein anderer Synchronregisseur vorgesehen, der die Bearbeitung des Films allerdings verweigerte:Besondere Erlebnisse bei den Synchronaufnahmen