Im Laufe der Kinogeschichte gab es immer wieder Filme, die mit einem Tabu brachen, Neuland betraten oder festgefahrene Klischees hinterfragten. Alkoholiker, Homosexuelle, Sexualstraftäter, mordende Kinder, Prostituierte, Stricher, Transsexuelle, Transvestiten, usw-heute ist es vergleichsweise normal, wenn all diese Charaktere vorkommen. Auch wenn ich der Meinung bin, dass trotz Nacktheit und obszöner Sprache die heutige Kinowelt wesentlich konservativer ist als die 60er bis 80er-Jahre, so ist es dennoch grundsätzlich "salonfähig" oben genannte Personen auftreten zu lassen. Skandale gibt es kaum mehr, meistens sind sie gepuscht. Sicher ist man als Synchronsprecher bei weitem nicht der Angst, dem Druck und dem Skandal ausgesetzt, den so ein Tabubruch mit sich bringen kann-ein Vorteil im Dunkelkammergewerbe. Dennoch müssen solche Rollen eine Herausforderung gewesen sein auch für die Sprecher, denn mancher hatte in der Branche zum Zeitpunkt der betreffenden Arbeit eine Position, die ihm das "Nein"-Sagen leicht ermöglicht hätte. Darum scheint es mir irrelevant zu sagen, es war eben eine Rolle wie andere auch.
Nun eine kleine Auswahl meiner Favoriten:
* Gebrandmarkt (1961) ein wegen pädophiler Sexualdelikte verurteilter Mann wird rehabilitiert aus der Anstalt entlassen. Ihn spielt Stuart Whitman in einer seiner hervorragendsten Leistungen. Synchronisiert wird er von einem ungeahnt sensiblen und zurückhaltenden Arnold Marquis. War das für ihn eine willkommene Herausforderung?
* Das verlorene Wochenende(1945): Ray Milland hat sich mit diesem Portrait eines Alkoholikers in die oberste Liga gespielt. Paul Klinger hatte-wohl auch aus Kontinuitätsgründen-die Aufgabe, das deutsch zu machen. Und das zu einer schwierigeren Zeit, als später Harald Leipnitz bei der Neufassung. Genoss Klinger die Abwechslung, einen solchen Charakter zu sprechen? (Leider kenne ich diese Fassung nicht!)
* Der Teufelskreis (1961) Dirk Bogarde lebte seine Veranlagung wohl zwangsläufig im Stillen, aber auf der Leinwand war er in schwulen Rollen mutig. Er spielte in o. g. Film einen Mann mit Doppelleben und erstmals in der Kinogeschichte sagte ein Mann direkt, dass er Sex mit einem anderen Mann haben wollte. Der brisante Film war ein Skandal, sonst aber eher nur ein Achtungserfolg. Wusste Herbert Stass um die Bedeutung dieser Synchronrolle? Damals in den frühen 60ern gab es nichts vergleichbares!
* Sommer der Verfluchten (1962) Nocheinmal Dirk Bogarde mit Herbert Stass' Stimme in Roy Bakers im Westernstil inszeniertes Drama. Nicht ganz so brisant wie "Teufelskreis", aber die Zensur lief damals Amok. Bogarde als Banditenanführer in Mexiko-inszeniert als Inbegriff eines S/M-Schwulen. John Mills mit der Stimme von Richard Münch als Pfarrer, der Recht und Ordnung herstellen will. Zwischen beiden entsteht eine seltsame Begierde. Bogarde und Mills wussten genau was sie taten-aber was empfanden Stass und Münch dabei?
* Zwischen Madrid und Paris (1956) Wenn es auch nie mit diesem Wort ausgesprochen wird, aber Tyrone Power spielte einen Mann, der durch eine Kriegsverletzung kastriert wurde und dadurch traumatisiert ist. Curt Ackermann spricht ihn hervorragend-fast eindringlicher, als Power spielt. Damals ein heikles Thema, nicht zuletzt wegen der Kriegsfolgen.
* Asphalt Cowboy Jon Voight als Naivling, der in New York auf den Strich geht. Der Film war eine Sensation-war sich der Bedeutung der Rolle auch Uwe Friedrichsen bewusst?
* Psycho (1960) Man neigt heute dazu, sehr leicht zu vergessen, dass auch die Figur des Norman Bates einen ganz neuen Typus des geistig verstörten Mörders präsentierte. Eckart Dux hat deshalb aus meiner Sicht ebenso Pionierarbeit geleistet.
*Dracula (1958) Auch hier vergisst man allzuleicht, was dieser Film damals Neues und Skandalöses bot. Carol Marsh als vampirisierte Lucy war lasziv, sexuell agressiv und voll inzestuöser Begierde. Der gesamte Film war deutsch exzellent besetzt und doch verwundert es mich, dass die damals auf Taylor, Hepburn, Loren, Simmons und anderen weiblichen Stars stark etablierte Marion Degler in dieser kleinen, jedoch einen Tabubruch darstellenden Rolle zu hören war.
*Anatomie eines Mordes James Stewart darf -auch mit Hans Nielsens Stimme- sehr detailliert über intime Details einer nymphomanisch veranlagten Frau sprechen, die scheinbar vergewaltigt wurde. Die Frau wird von Lee Remick gespielt, synchronisiert von Margot Leonard.
-Wer hat noch andere Beispiele? -Wer hat Informationen oder Gedanken, was die Synchronprofis bei diesen Arbeiten empfanden?
Zitat von Gast im Beitrag #1Im *Anatomie eines Mordes James Stewart darf -auch mit Hans Nielsens Stimme- sehr detailliert über intime Details einer nymphomanisch veranlagten Frau sprechen, die scheinbar vergewaltigt wurde.
Und dabei auch noch Wörter wie "Spermien" oder "Orgasmus" aus- und Verhütungsmittel ansprechen! Ob ihn das Überwindung kostete?
In "Der Kandidat" geht es in einer Episode nicht nur um unterstellte Homosexualität, sondern das Wort "Homosexueller" wird in einer Szene sogar (von GGH für Cliff Robertson) offen ausgesprochen. Ob das erstmals in einer Synchro geschah?
Im Forum oder irgendwo anders gab es mal einen Ausschnitt, wo Wolfgang Hess eine Rolle synchronisierte, die krasse, antisemitische Äußerungen von sich gab. Ich hab zwar keine Ahnung aus welchem Film und welcher Schauspieler das war aber es besteht die Frage, ob Hess das Ganze Überwindung gekostet hat.
"Anatomie eines Mordes" --------------------------------------- Laut einer Dokumentation über Otto Preminger war es das erste Mal, dass von "Spermien" und "Orgasmus" die Rede war und das löste einen gewaltigen Skandal aus. James Stewart wurde von manchen Medien angeprangert, weil er sich nicht geweigert hatte, den Text zu sprechen. Diese Angst musste Nielsen sicher nicht haben, aber ich glaube, dass es mit Sicherheit eine Herausforderung war. Wenn man bedenkt, dass es auch im deutschen Sprachraum die erste wirkliche Thematisierung war. Mich würde brennend interessieren, was Hans Nielsen damals gedacht hat.
Zu "Der Kandidat":
Ähnliches gibt's ja auch in Premingers "Sturm über Washington", wo ein Senator mit homosexueller Vergangenheit erpresst wird und seinen alten Liebhaber aufsucht. Paul Edwin Roth sprach hier für Don Murray. Das kommt einem heute alles so banal vor.
Zitat von fortinbras im Beitrag #4Laut einer Dokumentation über Otto Preminger war es das erste Mal, dass von "Spermien" und "Orgasmus" die Rede war und das löste einen gewaltigen Skandal aus. James Stewart wurde von manchen Medien angeprangert, weil er sich nicht geweigert hatte, den Text zu sprechen.
Nicht nur von den Medien. Lt. der Biographie "James Stewart - Ein Leben für den Film" von Donald Dewey erhielt James Stewart von Fans viele böse Briefe. Einer schrieb zum Beispiel: "Ich sehe mir keine Filme mehr mit Ihnen an. Ich gehe mit meiner Familie in einen Jimmy-Stewart-Film, und da sind Sie, im Gerichtssaal, und sagen schmutzige Sachen und halten Damenhöschen hoch". Stewart fand jedoch, dass dieser Film keinen schlechten Geschmack hinterließe oder sogar beleidigend sei. Außerdem würde er jederzeit wieder in so einem Film mitspielen, da einem solche Rollen nicht jeden Tag angeboten würden.
Zitat von fortinbras im Beitrag #1* Das verlorene Wochenende(1945): Ray Milland hat sich mit diesem Portrait eines Alkoholikers in die oberste Liga gespielt. Paul Klinger hatte-wohl auch aus Kontinuitätsgründen-die Aufgabe, das deutsch zu machen. Und das zu einer schwierigeren Zeit, als später Harald Leipnitz bei der Neufassung. Genoss Klinger die Abwechslung, einen solchen Charakter zu sprechen?
Ähnlich revolutionär war Frank Sinatras Darstellung eines Drogensüchtigen (damals ein Tabuthema) in "Der Mann mit dem goldenen Arm" - eine Rolle, die Gerd Martienzen eine enorme Intensität abverlangte.
James Stewart-Reaktionen auf "Anatomie eines Mordes" --------------------------------------
Das ist heute kaum mehr vorstellbar. In der Preminger-Doku sieht man Stewart auch über drei Jahrzehnte später sein Erstaunen an, weil es ja absolut nicht ordinär oder obszön war. Das hätte er ja auch gar nicht gemacht. In dem deutschen Film "Alraune" von 1951 kommt das "Sperma"-Wort meines Wissens das erste Mal in einem deutschen Film vor. Das schien aber keinen zu stören. Erstens sagte das Erich von Stroheim, den man ja als "Abtrünnigen" sah, Zweitens war es in einer Art Horrorfilm und Drittens sagte es ein grössenwahnsinniger "Mad Scientist". Wären die Worte etwa aus dem Munde von Gustav Knuth oder Hans Holt gekommen, hätte man sicher Wirbel gemacht. Ich wüsste nur gerne, inwieweit Hans Nielsen sich der Brisanz des Dialoges bewusst war. Verkrampft hört er sich auf jeden Fall nicht an. ------------------------------------------
Antwort auf Beitrag #6 von Berti:
"Der Mann mit dem goldenen Arm"
Da hast du ein weiteres Paradebeispiel angeführt. Das war eine Meisterleistung, nicht nur von Sinatra, auch von Gerd Martienzen. In einer Preminger-Ausstellung im "Theatermuseum" war zu lesen, dass die Synchronisation zu diesem Film etwas schwierig war. Sinatra wäre nicht bekannt genug gewesen, um schon einen etablierten Standard-Sprecher zu haben. Zwei anvisierte Sprecher hätten die Rolle abgelehnt (Namen unbekannt), zwei weitere Kandidaten (Heinz Drache und Horst Niendorf) wurden als nicht zur Rolle passend eingestuft und man habe sich dann auf den meist nur in Kleinrollen zu hörenden Gerd Martienzen geeinigt. Dazu war zu lesen, dieser habe wenig später zweimal eine familientaugliche Sinatra-Rolle nicht zum Synchronisieren erhalten, weil man seine Stimme zu sehr mit dem "abartigen" Sinatra verbinden würde. Woher die Information stammt, weiss ich nicht, weil das nur auf den detaillierten Texttafeln in der Ausstellung nachzulesen war. Das Buch zur Ausstellung war mir zu teuer. Ich hoffe, dass ich das jetzt ganz korrekt zitiert habe.
Ein zwar skandalfreier, aber interessanter Film fällt mir noch ein: "Die Herren Einbrecher geben sich die Ehre" Darin spielt Kieron Moore einen wegen "widernatürlicher Unzucht" vorbestraften Gangster, der wegen seiner Vorliebe zum eigenen Geschlecht zunächst etwas verspottet wird. Allerdings erweist er sich als eiskalter, beinharter "Killer-Typ". Synchronisiert wird er von Heinz Petruo. Im selben Film hat Oliver Reed zusammen mit einem anderen jungen Schauspieler einen Auftritt als tuntiges Tänzer-Pärchen. Da die schwule Figur Kieron Moores ein Verbrecher war und ein negatives Image erfüllte, drückte man wohl sämtliche Augen zu.
Zum Schauspielberuf und für Synchron-Hörspieler gehört eben eine große Wandlungsfähigkeit dazu, dessen sind sie sich sicherlich bewusst. In ganz verschiedene, unterschiedliche Rollen schlüpfen zu können (und sei es "nur" stimmlich) ist für Darsteller/innen auf der Bühne, vor der Kamerera wie im Synchronstudio gewiss spannend, eine interessante Abwechslung und Herausforderung. Sie spielen nur eine Rolle, sagen sie. Ich befürchte, du überschätzt möglicherweise ihre Gefühlslage bei solchen Rollen etwas.
Ich bin mir über die Vielseitigkeit, die von einem Schauspieler verlanhgt wir, schon im Klaren. Es wäre dämlich anzunehmen, daß dauernd grosse Gefühlsduseleien oder so mit von der Partie sind. Vieles wird da oft überschätzt, mal ganz hart ausgedrückt. Schuld daran sind manche Schauspieler selbst und auch PR-Maschen, die das verzerren. Mir persönlich sagen meist jene Schauspieler zu, die ihren Beruf selbst ganz schlicht und einfach als ein Handwerk bezeichnen. Also überschätze ich keineswegs die Situation, allerdings habe ich meiner Meinung nach oben ganz klar herausgestellt, worum es hier geht. Nämlich keineswegs um den emotionalen Zugang zu einer Rolle. Wenn heute, beispielsweise, Viggo Mortensen einen der Pädophilie verdächtigen Mann spielt, ist das für seinen Synchronsprecher eine eventuell schauspielerisch fordernde, aber zum Beruf gehörende Sache. Mal was anderes, gibt es ja heutzutage in Mengen solche kantigen Rollen. Aber als Arnold Marquis 1961 einen rehabilitierten Pädophilen synchronisierte, dann muss das selbst für einen vielseitigen Schauspieler etwas bedeutet haben. Denn damals war das nicht so alltäglich. Es muss ein Bewusstsein dagewesen sein, dass hier etwas gänzlich Neues geschieht. Ähnlich bei "Anatomie eines Mordes". Heute hört man das Wort "Sperma" 328 mal im Abendprogramm. Als Hans Nielsen es für James Stewart tat, war das auch im deutschen Film ein Tabuwort. Und da muss es irgendeine Stimmung dazu gegeben haben. Eine, die nichts mit dem reinen Spielen einer Rolle zu tun hat. Wenn Arne Elsholtz den schwulen Anwalt in "Philadelphia" sprach, war's nix mehr Besonderes in der Relation. Herbert Stass musste oder gar wollte eine schwule Rolle 1961 synchronisieren. Das ist schon ein gewaltiger Unterschied. Verzeih, wenn sich das jetzt wie aus dem Mund eines Oberlehrers angehört hat.
Zitat von fortinbras im Beitrag #10@iron in Beitrag #9:
Ich bin mir über die Vielseitigkeit, die von einem Schauspieler verlanhgt wir, schon im Klaren.
Das spreche ich dir nicht ab. Meine Äußerung, was du unterschätzt hättest, war voreilig, ich hätte deinen Eingangspost womöglich noch aufmerksamer lesen müssen. Wie ein Oberlehrer hast du dich vielleicht angehört, aber wie einer der seinen Beruf versteht. Außerdem hast du ja nicht mich gemeint und ich brauchte mich nicht betroffen zu fühlen. Das Oberlehrerhafte könnte ich eher auf meinen Schluss-Satz beziehen. Sicher können von einer Solchen Synchronisation Gedanken, oder verschiedene Bedenken aufkommen. Synchronisierende sind keine Automaten, Computer, oder Roboter, die bedenkenlos alles ausführen,für das man sie programmiert hat. Sie sind Menschen,die so etwas aber bei der Arbeit wegstecken können müssen.
Die sehr tiefsinnigen Gedanken, die du dir immer machst (wie auch in meine schnell eingeschlafenen Thread über Synchronprofis ohne grosse Anhängerschaft), die beeindrucken mich sehr. Ich war viele Jahre mit einer Wiener Schauspielerin eng befreundet und zwangsläufig kam es zu vielen Einblicken in den Beruf. Vor allem war es immens spannend, weil sie und viele ihrer Freunde großteils noch in den 40ern zu Spielen begannen und eben der gesellschaftliche Wandel innerhalb der Branche von ihnen ganz eigentümlich mitverfolgt wurde. Auf der Bühne oder in Film/Fernsehen wurde man für manches klarerweise heftiger angegriffen als im Synchronstudio. Meine Freundin Grete war drei Jahrzehnte Kollegin von Marion Degler. Und erzählte mir, dass diese immer sehr stolz auf "Die Katze auf dem heissen Blechdach" war, weil es eine gänzlich neue Rollenart für sie war und eine richtige Herausforderung. Auch für Wolfgang Kieling, der primär wegen seinem Interesse an progressiven Rollen unter anderem für diese hier herangezogen worden sei. Der erste Schauspieler, der in Wien übrigens schwule Rollen spielte in einer progressiven Nebenbühne der oft als bieder verschrienen "Josefstadt", war Peter Matic. Da waren homosexuelle Handlungen noch ein paar Jahre verboten. Es war das Bühnenstück "Bitterer Honig". Nebenbei bemerkt.
In "Die Spur des Falken" wird (anders als in der Romanvorlage) das Wort "schwul" nicht ausgesprochen, aber es dürfte relativ klar sein, dass der von Peter Lorre gespielte tuntige Dandy Joel Cairo homosexuell ist. Sein pomadiertes Haar, das süßliche Parfüm, die gezierte Gestik und Sprechweise sowie das (in der Originalfassung) bei seinem ersten Auftritt erklingende Thema sind Indizien dafür. In einer Szene wird es relativ deutlich: Als Brigid O´Shaughnessy höhnisch meint, ob der junge Mann, der vorm Haus warte, nicht der sein könnte, mit dem Cairo in Istanbul zusammengewesen sei, springt dieser empört auf und schreit: "Sie meinen wohl den Jungen, bei dem Sie´s nicht geschafft haben?". Viel später im Film, als der bewusstlose Wilmer auf das Sofa gelegt wird, versucht Cairo offenbar ihn zu befummeln, als Spade ihn zurückreißt und er wie ertappt guckt. Für einen Film von 1941 sind das relativ klare Andeutungen, bei denen es überrascht, dass die Zensur sie nicht als anstößig empfand. In der deutschen Fassung von 1964 wird Peter Lorre von Klaus Schwarzkopf gesprochen, der seine Homosexualität bis zu seinem Tode vor der Öffentlichkeit verheimlichte. Die Anspielungen dürften deutlich genug gewesen sein. Ob ihm diese Rolle unbehaglich war? Immerhin synchronisierte er sie zu einer Zeit, als Homosexualität in der Bundesrepublik noch strafbar war und die Verfolgung durch die Nazis noch nicht lange zurücklag. Daneben habe ich mich gefragt, ob Schwarzkopfs Besetzung Zufall war oder nicht. Auch ohne ein Outing könnte es ja sein, dass es unter Schauspielern ein (aus Solidarität nicht weitererzähltes) offenes Geheimnis gewesen wäre. Gegen einen Zufall würde sprechen, dass mir nicht bekannt ist, dass man ihn sonst jemals als Sprecher auf eine tuntig angelegte Rolle besetzt hätte. Zwar war Joel Cairo sicher nicht der erste "inoffizielle" Schwule in der Geschichte des Films, aber die spezielle Konstellation in diesem Fall dürfte trotzdem etwas Besonderes sein.
Klaus Schwarzkopf/Peter Lorre --------------------------------------
Über das habe ich mir auch schon so meine Gedanken gemacht. Laut Bernd-Ulrich Hergemöllers detailliert recherchierten und ohne Sensationsgier oder Spekulation verfasstem Mammutwerk über prominente (verstorbene) deutsche Homosexuelle, war das von Schwarzkopf in der Branche allgemein bekannt. Ich kannte auch die früher oft in Deutschland arbeitende Schauspielerin Grete Zimmer, die mir von vielen innerhalb der Zunft bekannten schwulen und lesbischen Beziehungen erzählte, die ganz offen ausgelebt wurden-aber eben innerhalb der Künstlerszene George Nader hatte seinen Partner ja auch dabei und dass es jeder wusste, berichtete u.a. Horst Tappert. Schwarzkopf MUSS das verstanden haben, denn gerade damals war ja die "codierte" Sprache noch viel weiter verbreitet als damals. Und sicherlich wird er etwas dabei empfunden haben, auch wenn das jetzt nicht so sensationell war wie die ganz bahnbrechenden Filme. Wenn sie als Verbrecher gezeigt wurden, hat Hollywood bei Schwulen und Lesben ja gerne ein Auge zugedrückt. Gibt übrigens eine nicht mehr ganz aktuelle (1995), aber nichtsdestotrotz hochinteressante Doku dazu auf Dvd-"Gefangen in der Traumfabrik-The Celluloid Closet". Abgesehen von der übertriebenen Glorifizierung von "Philadelphia" ein ausgesprochen gelungenes Werk, das auch viel Einblick in die US-Zensur generell gibt.
Für Friedrich Joloff, der auch andersrum war, muss es seltsam gewesen sein, in Veit Harlans "Anders als du und ich" einen schwulen Antiquitätenhändler zu spielen, der Christian Wolff scheinbar "verdirbt". Dafür wird er in der deutschen Fassung verhaftet, in der österreichischen Version flieht er nach Italien.
Jan Hendriks wurde ja wegen "widernatürlicher Unzucht" verurteilt. Das war öffentlich bekannt, weshalb er lange Zeit fast nur mehr halbseidene Typen spielen durfte. Er hat es angeblich als angenehm empfunden, wenigstens im Synchronstudio alle möglichen Rollen spielen zu dürfen.
Zitat von fortinbras im Beitrag #14Schwarzkopf MUSS das verstanden haben, denn gerade damals war ja die "codierte" Sprache noch viel weiter verbreitet als damals. Und sicherlich wird er etwas dabei empfunden haben, auch wenn das jetzt nicht so sensationell war wie die ganz bahnbrechenden Filme. Wenn sie als Verbrecher gezeigt wurden, hat Hollywood bei Schwulen und Lesben ja gerne ein Auge zugedrückt.
Sicher war Joel Cairos Darstellung nicht "bahnbrechend", aber für Schwarzkopf eventuell auch nicht eine Rolle wie jede andere. Wenn seine Homosexualität "intern" bekannt war, wäre natürlich die Frage, ob Wolfgang Schick bewusst gerade ihn besetzt hat, oder ob es Zufall war.