In Bahlin, wah, wenn du's genau wissen willst. Ab Dienstag habe ich wieder Zugriff auf meine Filmsammlung und meinen Rechner. Dann geht's weiter mit DIRTY HARRY.
DIRTY HARRY (DIRTY HARRY [USA 1971]) I. Zur Rezeptionsgeschichte Dirty Harry_Poster.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) DIRTY HARRY ist bis heute Clint Eastwoods berühmtester und berüchtigtster Film geblieben. Er katapultierte Eastwood nun auch in den USA endgültig zum Superstar. In den folgenden 17 Jahren sollte er noch vier weitere Male in seine Paraderolle des Harry Callahan schlüpfen.
DIRTY HARRY hatte auch filmgeschichtlich großen Einfluss auf das Subgenre des Polizei-Films, dessen Konventionen er maßgeblich mitprägte. Zwar war die Figur des Polizisten dem übergreifenden Genre des Kriminalfilms nicht ganz unbekannt, aber erst mit Beginn der Siebziger entwickelte sich der Cop zu einem genrebestimmenden Faktor. Zuvor war er überwiegend auf die Nebenrolle des begriffsstutzigen Gegenparts cleverer Hobby-Detektive bzw. des bürokratischen Schreibtischtäters reduziert gewesen oder er war das Abziehbild eines Meister-Detektivs mit Polizeimarke. Herausragende Einzelbeispiele wie Fritz Langs HEISSES EISEN oder BULLIT mit Steve McQueen blieben Ausnahmen, sie führten zu keiner nennenswerten Musterbildung.
Erst zu Beginn der Siebziger kamen dicht hintereinander drei Filme in die Kinos, die den Cop als einzelgängerischen Protagonisten einführten: Zeitgleich mit DIRTY HARRY erschien FRENCH CONNECTION, der aus Gene Hackman einen Star machte, zwei Jahre später folgte Sidney Lumets SERPICO mit Al Pacino. Alle drei Filme waren kommerziell erfolgreich, alle drei waren stilbildend, doch die beiden anderen Filme konnten es weder hinsichtlich der Popularität beim Publikum noch hinsichtlich des Effektes auf die popkulturelle Mythologie mit DIRTY HARRY aufnehmen.
Nicht nur für Eastwood selbst erwies sich DIRTY HARRY als Steinbruch für Variationen und Weiterführungen des Imagekerns, auch moderne Cop-Actioner wie STIRB LANGSAM oder ZWEI STAHLHARTE PROFIS arbeiteten später mit Versatzstücken des DIRTY HARRY-Zyklus, von TV-Ablegern im Serienformat ganz zu schweigen.
Vielleicht liegt es auch genau an der Vertrautheit mit diesen teilweise zum Stereotyp sedimentierten Elementen, wenn manchen heutigen Zuschauern die innovative und wirkmächtige Kraft dieses ersten DIRTY HARRY-Films nicht sofort ins Auge springt. Doch selbst diese Zuschauer dürften nicht übersehen, warum es dieser Film war, der Eastwood den endgültigen Durchbruch brachte.
DIRTY HARRY gehört aber nicht nur zu den Meilensteinen des Populärkinos, ihm wurde auch die zweifelhafte Ehre zuteil, eines der Lieblingsobjekte aggressiver Ideologiekritik zu sein. DIRTY HARRY kam zu einer Zeit in die Kinos, als die publizistische Beschäftigung mit Populärfilmen, ja mit Populärkultur generell, großen Teilen des Feuilletons nur als Politikum möglich schien.
Nicht ästhetische Gestaltungsmittel, nicht dramaturgische Bauformen, schauspielerisches Können oder inszenatorisches Geschick, nicht der Unterhaltungswert – also jene Aspekte, derentwegen man einen Film als Film für gelungen oder misslungen halten kann – waren hier lange urteilsrelevant, sondern die im Film angeblich verborgenen politischen Botschaften, die zu erkennen, geschweige denn abzulehnen der gemeine Zuschauer für nicht fähig erachtet wurde, weswegen die Kritiker sich nicht selten als erzieherisch motivierte Aufklärer gerierten.
Im Falle von DIRTY HARRY brachte die einflussreiche Filmkritikerin Pauline Kael den Stein ins Rollen, indem sie in ihrer zeitgenössischen Besprechung dem Film eine Verherrlichung der Selbstjustizideologie und eine faschistoide Grundhaltung vorwarf.
Wie einflussreich diese Kritik war, lässt sich auch daran ablesen, dass sämtliche wertenden Statements zum Film – selbst positive Urteile – sich die Stichworte von Kaels Rezension vorgeben ließen ... und damit der Kritikerin letztlich doch recht gaben, wenn nicht inhaltlich-positionell, so doch darin, dass die politische Interpretation des Films generell außer Frage stünde. Nur eine einzige Variante bot einen Ansatz zu einer "sachlichen" Neubewertung, die aber letztlich nur halbherzig formuliert war.
Eine verteidigende Position vertrat zunächst Eastwood selbst: Der Autoritäten widersprechende Cop, der im Zweifelsfall eher einer Moral der Gerechtigkeit folge als den Buchstaben des Gesetzes, sei kein Faschist, sondern das Gegenteil eines Faschisten – in den Nürnberger Prozessen beispielsweise hätten sich die Alliierten schließlich auch das Recht genommen über Menschen Urteile auszusprechen, die nicht moralischen Grundsätzen, sondern geltendem Recht gefolgt seien.
Für eine vermittelnde Position machte sich Regisseur Don Siegel stark: der Polizist Callahan habe zwar rechtskonservative Tendenzen, der Film selbst sehe seinen Protagonisten aber kritisch, mindestens jedoch ambivalent.
Das Problem solcher Rechtfertigungen ist freilich, dass sie die grundsätzlich politische Sicht auf die Dinge unter der Hand akzeptieren, indem sie sich auf die politische Argumentation einlassen. Einen Ausweg aus dieser sachfremden Herangehensweise erprobte Eastwood mit einer weiteren Position, auch wenn er sie nicht konsequent verfolgte (zumindest nicht in verbalen Kommentaren zum Film, im filmischen Bereich dagegen schon). Angesichts der nicht abreißenden Kritik an dem Film auch Jahre danach bemerkte er später einmal beinahe resignativ: „It’s only entertainment!“ Das relativierende Wörtchen „only“ war in ihrer Halbherzigkeit aber nicht ganz geeignet, die Ideologiekritiker in ihre Schranken zu weisen. Noch heute können die Hardliner ihre altbekannte Rhetorik reaktivieren, wonach alles politisch sei, Unterhaltung erst recht – dies nicht wahrhaben zu wollen, sei eben der Beweis für die Verblendung der Mehrheit.
Aber worum geht es eigentlich? Was hat die Kritiker an dem Film so provoziert – und viel wichtiger: wie hat dieser Film aus Eastwood einen Superstar gemacht? Dazu mehr im zweiten Teil des Beitrags.
Dass "Dirty Harry" wie eine Bombe einschlug, wundert mich nicht - der Film traf wohl den Nerv seiner Zeit perfekt, vor allem den amerikanischen. Vermutlich traf er sogar die Realität deutlich besser als mancher dokumentarisch geprägter Film. Und wenn man sich die unverbesserliche Sozial-, Sicherheits- und Justizpolitik der USA ansieht und was es dort für extreme epidemische Verhaltensmuster unter der Bevölkerung gibt, so wirkt "Dirty Harry" auch nach über vier Jahrzehnten recht realistisch.
Was mir hier gefiel, ist die Kompromisslosigkeit: Don Siegel kümmert sich einen Dreck darum, was irgendetwas aussagen soll und lässt es jedem frei, sich die Figuren selbst zu interpretieren und zu entscheiden, was kritisch ist und was nicht.
Als "only entertainment" möchte ich den Film allerdings nicht einstufen, dazu ist er zu kantig, zu kontroversiell und zu widersprüchlich in sich selbst. "Dirty Harry" hat etwas von der "Bibel": man kann im Film für jedes Argument Pro- und Kontra-Hinweise finden. Selbst als gerechter Rächer für das missglückte Justizsystem könnte Calahan durchgehen: er greift dort durch, wo das System versagt. Alles ist möglich bei "Dirty Harry".
Den Film halte ich übrigens - mit Abstand - für Don Siegels besten und vollendetsten Film. Egal wie man ihn sieht: er hat eine unverkrampfte, direkte Energie und Dynamik, die selbst ein Krach-Bumm-Actionfilm jener Tage kaum erreichte. Im Unterschied zu "French Connection" oder "Serpico" ist er allerdings fast klassisch zeitlos inszeniert, "Dirty Harry" wirkt bei weitem lebendiger und eben zeitloser als die erwähnten Filme - vor allem als "Serpico", der in einem enormen Ausmaß nichts anderes als die Entstehungszeit reflektiert und trotz nicht überholter Thematik in seiner ganzen Präsentation wie eine Kuriosität wirkt (Mode, Lebensstil, Frisuren, etc).
"Dirty Harry" ist eigentlich ein klassischer, uramerikanischer Western - die Neudefinition des Genres, umbenannt als "Polizeifilm". Dieses Genre mag ich lieber, wenn es von italienisch-französischen Künstlern stammt, die mitunter weniger wertkonservativ sind als die Amerikaner. Der amerikanische Polizeifilm, der mehr und mehr auch zum Actionfilm mutierte, ist für mich die Ablöse des Westernfilms.
Übrigens hat "Dirty Harry" eine grandiose Filmmusik. Wie sehr Lalo Schifrins Rythmen und Klangfetzen eine Einheit mit den Bildern eingehen, eine regelrechte Symbiose, zeigt sich beim Anhören des Soundtracks: losgelöst vom Film ist er interessant, aber im Unterschied zu vielen anderen Scores Schifrins (oder anderer) bei weitem nicht so beeindruckend wie zusammen mit den Bildern. Im Prinzip also genau das, was Filmmusik sein sollte (das andere ist bestenfalls Zufall in der Zeit vor den Blockbustern, wo die Musik bereits im Vorfeld auf das allgemeine Hörempfinden eingestellt wird).
Mag dieser energiegeladene, pulsierende und bemerkenswerte Film noch so gut sein: ganz aus einer politischen Beurteilung kann er sich nicht entziehen. Das liegt an den Eingangssequenzen. Im Unterschied etwa zu den ersten Jerry Cotton-Filmen, die semi-dokumentarisch das reale FBI einbringen in ihre eskapostische Fantasiewelt, kann man Don Siegels Tribut an die Helden der US-Polizei nicht als liebenswerte Note betrachten. DAS ist nämlich definitiv ein politisches Statement, durch das die nicht immer korrekte, teils unnötig gewaltsame und umstrittene "Law-and-Order"-Politik der USA aus meiner Sicht ideologisch verherrlicht wird. Es ist genau dieser Anfang des Filmes, der in mir auch etwas Sodbrennen verursacht, da muss ich mich dann lösen davon, ehe ich den Film genießen kann.
Mit Calahan hat Clint Eastwood für das US-Kino den vermutlich definitiven und einzigen John Wayne-Nachfolger kreiert, er ist eine Ikone geworden. Er stellt etwas uramerikanisches dar, das wie eine Botschaft in die ganze Welt hinausging. Ich bin kein John Wayne-Fan, aber er symbolisiert etwas zutiefst US-Amerikanisches, das über allem anderen stand - und der typische Eastwood-Film NACH "Dirty Harry" schwingt dieses Zepter samt Krone weiter.
DIRTY HARRY II. Zum Film Dirty Harry_Screenshots_1.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Der Film erzählt von einem Polizisten in San Francisco namens Harry Callahan, der mit seinen pragmatischen Methoden seinen Vorgesetzten zwar offenbar ein Dorn im Auge ist, die aber aufgrund seiner Erfolgsbilanz letztlich doch bereit sind, hin und wieder ein Auge zuzudrücken, zumal er auch mit Fällen betraut wird, die zu schmutzig und gefährlich sind, um sie anderen Polizisten zu übertragen – was man auch am Verschleiß seiner Partner sehen kann, die sich in der Schusslinie anscheinend nicht so gut bewähren konnten wie Callahan (die Parallelen zu James Bond sind bis hierher kaum zu übersehen).
Zu Beginn des Films begleitet man ihn noch bei seinen Routinetätigkeiten. Mal vereitelt er geistesgegenwärtig einen Banküberfall in seiner Mittagspause (einen Hot Dog in der Linken, eine 44er Magnum in der Rechten), mal hält er trickreich einen Selbstmordkandidaten, der sich von einem Hochhaus zu Tode stürzen will, von seinem Vorhaben ab.
Zu diesen Routinefällen gehört auch ein Heckenschütze, der sich Scorpio (in der deutschen Fassung: Skorpion) nennt und ahnungslose Zielpersonen tötet – und der mit seinem Vorhaben fortzufahren droht, wenn die Stadt ihm kein Lösegeld zahlt. Anfangs einer unter vielen, rückt der Scorpio-Fall mehr und mehr in den Vordergrund. Was Callahan zunächst nur vermuten kann, weiß der Zuschauer aber schon recht früh: Scorpio geht es nicht in erster Linie um das Lösegeld, er tötet anscheinend aus Lust (für die verschlüsselte Zeitungsannonce der Behörden, auf seine Erpressung einzugehen, hat er nur ein spöttisches Lachen übrig: er schreitet unbeeindruckt zur Tat und nimmt sein nächstes Opfer ins Visier).
***SPOILER*** Als Scorpio schließlich ein 14jähriges Mädchen entführt und lebendig begräbt, erklärt sich Callahan, der anfangs dagegen war, auf die Lösegeldforderungen einzugehen, bereit, das Geld zu übergeben. Bei der Übergabe schlägt Scorpio Callahan beinahe zu Tode und eröffnet ihm, dass er nicht daran denke, das Opfer freizulassen. Mit letzter Kraft kann Harry Scorpio verletzen und ihn schließlich in einem Football-Stadion dingfest machen. Der Killer jedoch weigert sich, Callahan den Ort zu verraten, in dem er das Mädchen versteckt hält. Nur indem er auf die Wunde des Killers tritt, kann Callahan diesen zum Reden bringen. Aber es ist zu spät, das entführte Mädchen kann nur noch tot geborgen werden. Da sich Harry zudem ohne Haft- und Durchsuchungsbefehl Zugang zu Scorpios Wohnung verschafft hatte und diesen unter Folter zur Preisgabe erforderlicher Informationen zwang, wird der Beschuldigte mit Bezugnahme auf die Escobedo und Miranda-Regelungen auf freien Fuß gesetzt. Als der Freigelassene später erneut versucht, seine Lösegeldforderung nun mit der Entführung eines Schulbusses voller Schuldkinder durchzusetzen, macht sich Callahan auf eigene Faust auf die Suche nach dem Verbrecher…
In DIRTY HARRY primär einen politischen Film zu sehen, noch dazu einen reaktionären, verkennt nicht nur die Bedeutung des Streifens als Unterhaltungsangebot (ob nun zu seinem Vor- oder Nachteil), sondern diese Sichtweise setzt auch die Zuschauer, die Gefallen an dem Film (als Unterhaltung) finden könnten, dem generellen Verdacht aus, ebenfalls mit rechtskonservativem Gedankengut zu sympathisieren.
Gegen solche Kurzschlüsse empfiehlt es sich, sich die Eigenlogik von filmischer Kommunikation zwischen Filmemachern und dem Filmpublikum zu vergegenwärtigen. In dieser Sichtweise suchen Filmemacher nach Stoffen, die geeignet sind, einen interessanten, spannenden, außergewöhnlichen etc. Film zu kreieren – weil sie daran interessiert sind, den Erwartungen des Publikums nach neuartigen, interessanten, spannenden, außergewöhnlichen etc. Filmen zu entsprechen; oder eben mit diesen vertrauten Erwartungen zu spielen oder gar neue Erwartungsmuster zu schaffen. Unterhaltungsinteressierte ihrerseits suchen genau diese Gratifikationen an Unterhaltungsangeboten, und die Unterhaltungsproduzenten wissen, dass das Publikum genau dies von ihnen erwartet: den kompetenten Umgang mit ihrer Erwartungshaltung.
Ganz offensichtlich bedient sich DIRTY HARRY aber eines politisch kontroversen Themas. Warum sollte es dann nicht sachgemäß sein, diesen Film als Beitrag zur politischen Diskussion zu bewerten? Wie lässt sich dieser angebliche Widerspruch auflösen, dass ein Unterhaltungsfilm ein politisches Thema aufgreift, nicht aber als ein Film mit politischer message, sondern als Unterhaltungsfilm betrachtet werden sollte? In etwa so, dass man ja auch einem Bibelfilm nicht reflexartig religiöse Propaganda vorwerfen oder gerade wegen des religiösen Stoffes den Film gut finden würde.
So gesehen, würde ich DIRTY HARRY als einen Exploitation-Film bezeichnen: er schlachtet ein zu seinem Entstehungszeitpunkt brisantes tagesaktuelles Thema für ein engagierendes Filmerlebnis aus. Der rechtskulturelle Kontext des Films wäre dann nichts anderes als ein x-beliebiger Erzählbaustein mit der Funktion eines dramaturgischen Hindernisses. Und dramaturgisch gesehen ist dieser Hintergrund in diesem Fall ein sehr starkes Element. Hat man Callahan bis zu dieser Wendung als einen zunächst souveränen, dann als verwundbaren, aber immer noch handlungsfähigen Charakter kennengelernt, so bringt dieser juristische Schlenker den notwendigen Retardierungseffekt vor dem Finale – oder dem zweiten, endgültigen Finale, wenn man so will. Denn ohne diesen Erzählkniff wäre der Film mit der Ergreifung des Killers bereits zu Ende – ob das entführte Mädchen gerettet werden kann oder nicht, wäre dann ein optionaler Abschluss. Die Ausschlachtung des juristischen Kniffs für die Narration trägt zur Intensivierung der Dramaturgie bei.
Herzstück des Films ist freilich Callahan bzw. Eastwoods Rollenanlage. Anfangs spielt er ihn als einen wortkargen, souveränen Ermittler. Minutenlang begleitet ihn die Kamera in dialoglosen Passagen, wie Eastwood mit ruhigen, katzenhaften Bewegungen die Tatorte abschreitet, mit Sonnenbrille oder Hot dog kauend, wie er im Banküberfall-Segment ruhigen Schrittes, völlig unaufgeregt und zielsicher die Verbrecher einen nach dem anderen ausschaltet.
Eine Schlüsselszene des Films ist das Psychoduell, das sich Eastwood mit dem verbliebenen, verletzten Bankräuber liefert, und das später im Finale (zumindest in der US-Fassung) wortwörtlich wiederholt wird.
Die Kaltblütigkeit und Lakonie, die Callahan hier an den Tag legt, kommt wie eine Variante des Duells Bonds mit Professor Dent in DR NO daher (überhaupt sind die Parallelen zwischen Bond und Callahan verblüffend, obwohl es m.W. bislang gar nicht konsequent thematisiert wurde in der Sekundärliteratur – wenn es ein filmisches Vorbild gibt für Dirty Harry, dann ist es neben dem Rechtshüter des Westerns wohl am ehesten der Weltpolizist mit der Lizenz zum Töten. Zumindest ikonografisch stellt der Film diese Analogie her, wenn er Bonds Pose mit seiner überdimensionierten Schalldämpfer-Pistole immer wieder zitiert.
Sobald die lange Exposition abgeschlossen ist und der Film mehr und mehr die Spannungsschraube anzieht, macht sich Eastwoods Held das Credo des Action-Films zu eigen und ist fortan in permanenter Bewegung. Er rennt, keucht, fährt mit einem Kran zu einer Balustrade hoch, springt von einer Brücke auf das Dach eines fahrenden Busses – und man sieht immer, dass Eastwood seine Stunts selbst ausführt, so dass die Körperlichkeit des Helden regelrecht spürbar wird.
Von den Urteilen des Feuilletons ließ sich das Publikum nicht beeindrucken. DIRTY HARRY erwies sich als einer der erfolgreichsten Kinofilme des Jahres und beförderte Clint Eastwood erstmals an die Spitze der beliebtesten Filmstars.
Zitat von fortinbras im Beitrag #78Mag dieser energiegeladene, pulsierende und bemerkenswerte Film noch so gut sein: ganz aus einer politischen Beurteilung kann er sich nicht entziehen. Das liegt an den Eingangssequenzen. Im Unterschied etwa zu den ersten Jerry Cotton-Filmen, die semi-dokumentarisch das reale FBI einbringen in ihre eskapostische Fantasiewelt, kann man Don Siegels Tribut an die Helden der US-Polizei nicht als liebenswerte Note betrachten. DAS ist nämlich definitiv ein politisches Statement, durch das die nicht immer korrekte, teils unnötig gewaltsame und umstrittene "Law-and-Order"-Politik der USA aus meiner Sicht ideologisch verherrlicht wird. Es ist genau dieser Anfang des Filmes, der in mir auch etwas Sodbrennen verursacht, da muss ich mich dann lösen davon, ehe ich den Film genießen kann.
Als einen apolitischen Film würde ich DIRTY HARRY auch nicht bezeichnen, erst recht würde ich nicht glauben, dass Siegel und Eastwood überrascht waren, dass der Film so kontrovers aufgenommen wurde in den Gazetten. Dass Siegel dies geahnt haben muss, kann man z.B. an zwei Stellen erkennen: zum scheint Siegel den Rassismusvorwurf an Callahans Adresse relativieren zu wollen, indem er ihn in der Notaufnahme von einem befreundeten (!) schwarzen Arzt behandeln lässt und dem Gespräch eine relaxte, private Note gibt. Zum anderen ist Callahans Partner Chico nicht nur ein Mexikaner, sondern auch ein Studierter und ein Soziologe noch dazu - entstammt also jenem liberalen Milieu, dem in der politischen Welt des Films auch Vertreter der Persönlichkeitsrechte angehören. Schließlich gibt sich der Film auch in seiner Personenkonstellation eindeutig parteiisch: auf der einen Seite die Verbrecher, auf der anderen die Opfer; auf der einen Seite die Polizisten vor Ort, auf der anderen die Bürokraten und liberale Juristen. Dass der Film bewusst mit diesen Klischees spielt, steht außer Frage. Eine andere Frage ist es m.E., wie der Film diese Elemente dramaturgisch ausbeutet.
Und es stimmt: WEIL der Film dem Realismus-Paradigma folgt und weniger eine stilisierte, eskapistische Bearbeitung des Stoffs gewählt hat, hat dies seiner rein ästhetischen Beurteilung lange Zeit im Wege gestanden. Bei den James Bond-Filmen erfolgte die Revision (ähnlich gelagerter Vorbehalte) verhältnismäßig früh, und hier auch mit deutlichem Hinweis auf die märchenhaften Züge der Reihe. Als die DIRTY HARRY-Reihe diesen Realismus-Bezug in den späteren Filmen mehr und mehr zurückdrängte, kam dies der Spannungsdramaturgie allerdings nicht unbedingt zugute, finde ich.
Zitat von John Connor im Beitrag #80Zum anderen ist Callahans Partner Chico nicht nur ein Mexikaner, sondern auch ein Studierter und ein Soziologe noch dazu - entstammt also jenem liberalen Milieu, dem in der politischen Welt des Films auch Vertreter der Persönlichkeitsrechte angehören.
Hinzu kommt, dass sich der Film das übliche Herantasten spart - Harry besteht sehr schnell darauf, dass er bei einer wichtigen Aktion von seinem Partner begleitet wird - und NUR von ihm. Dabei war das Einzige, was wir bisher von ihm gesehen haben, dass er die voran gegangene Überwachung (in guter Absicht) vermasselt hat. Für dieses absolute Vertrauen gibt es mithin keinen fassbaren Grund, aber es ist da, ohne dass er es sich klischeehaft verdienen musste. Das zählt für mich mehr als jedes verbalisierte Statement gegen Rassismus - es arbeitet auf der dramaturgischen und emotionalen Ebene. Nebenbei: Was die umstrittenen Methoden von Callaghan betrifft - oft wird dem Film vorgeworfen, er verherrliche sie. Unsinn! Als Harry Scorpio foltert, fährt die Kamera weit weit zurück und zeigt beide wie Ameisen in der Einsamkeit des Stadions, man hört nur noch die tierischen Schreie Scorpios und die Musik Schifrins wird vollkommen dissonant und überschlägt sich im Chaos. Das ist nicht die Darstellung einer Heldentat. Und vollkommen den Sinn verliert die Folter, als sich heraus stellt, dass alles umsonst war - das Opfer war zu diesem Zeitpunkt schon tot. Auch wenn Callaghan das nicht wissen konnte - die Geschichte verweigert der Hauptfigur die moralische Rechtfertigung. Wer das übersieht, verschließt die Augen gegenüber der wertenden Position des Erzählers.
Zitat von Stefan der DEFA-Fan im Beitrag #81 Hinzu kommt, dass sich der Film das übliche Herantasten spart - Harry besteht sehr schnell darauf, dass er bei einer wichtigen Aktion von seinem Partner begleitet wird - und NUR von ihm. Dabei war das Einzige, was wir bisher von ihm gesehen haben, dass er die voran gegangene Überwachung (in guter Absicht) vermasselt hat. Für dieses absolute Vertrauen gibt es mithin keinen fassbaren Grund, aber es ist da, ohne dass er es sich klischeehaft verdienen musste. Das zählt für mich mehr als jedes verbalisierte Statement gegen Rassismus - es arbeitet auf der dramaturgischen und emotionalen Ebene.
So ist es. Beim erneuten Sehen gestern kam mir auch in den Sinn, dass da doch irgendeine klischeehafte Bewährungsaktion seitens Chicos kommen müsste. Callahan schien es jedoch vielmehr imponiert zu haben, dass Chico die nicht honorierte Professionalität seines Partners richtig einschätzte. Dass Callahan wiederum die Engagiertheit seines Partners korrekt erkennt, rettet ihm später bei der Geldübergabe das Leben. Es spricht in der Tat für das erzählerische Geschick des Films, dass solche Subtilitäten nicht verbalisiert, geschweige denn platt getreten werden.
CALAHAN (MAGNUM FORCE [USA 1973] Calahan-Poster.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Mit CALAHAN kam bereits zwei Jahre nach DIRTY HARRY das Sequel in die Kinos. Dabei trägt die Fortsetzung ungeniert ihre Absicht zur Schau, den Erfolg des Erstlings unmittelbar auszubeuten.
Nicht nur werden viele Schlüsselszenen des ersten Films mit leichten Variationen recycelt und länger ausgespielt – typisch hierfür ist die Zerlegung des Banküberfall-Segments aus DIRTY HARRY in zwei Teile sowie ihre Ausschmückung als voneinander unabhängige Action-Höhepunkte: Callahan wird während seiner Mittagspause erneut mittelbarer Zeuge einer verbrecherischen Aktion (statt Banküberfall nun eine Flugzeugentführung) und schaltet dabei kaltschnäuzig die Terroristen aus; in einer weiteren Variation der Vorlage greift Harry ebenso zielsicher in einen Supermarktüberfall ein. Diese zwei längeren Action-Szenen haben mit dem eigentlichen Plot des Films nicht das Geringste zu tun und werden auch regelrecht ungezwungen als Teile einer Nummernrevue in Szene gesetzt.
Auch greift der Film die Plotidee aus dem ersten Film direkt auf: vermeintliche Schwächen der Legislative und der Judikative werden von mutmaßlichen Kriminellen zu ihren Gunsten ausgenutzt – darf die Exekutive dann „korrigierend“ eingreifen? Auch hier werden einzelne Elemente dieses dramaturgischen Prinzips zunächst als spektakuläre Szenen aneinandergereiht: die Mordanklage gegen einen korrupten Gewerkschaftsboss wird mangels Beweisen fallengelassen; ein Gangster, dem man offenbar nichts nachweisen kann, vergnügt sich mit seinen freizügigen Gästen im Pool; ein brutaler Zuhälter ‚bestraft‘ eine seiner Huren, die einen Teil ihrer Einnahmen abzweigen wollte, in dem er ihr Abflussreiniger in den Hals schüttet; ein Drogendealer vergnügt sich in einer pornomäßig gedrehten Szene mit einer jungen Frau, während den Polizisten nichts anderes übrig bleibt als diesen mit Fernglas zu observieren. In keinem dieser Fälle jedoch wird der dramaturgische Abschluss auf das Finale vertagt – sie erfolgen vielmehr sofort, noch dazu ohne Callahans Beteiligung, obwohl die Exekutionen von uniformierten Polizisten ausgeführt werden, deren Identitäten aber eine Weile geheim gehalten werden.
Callahan wird sich am Ende sogar gegen diese Vigilanten in den Reihen der Polizei stellen und damit die Prämisse des ersten Films auf den Kopf stellen. Bedenkt man, dass DIRTY HARRY gerade wegen dieser vermeintlichen Selbstjustizideologie viel Kritik seitens der liberalen Presse einstecken musste, ist dieser dramaturgische Kniff ein cleverer Schachzug. Für wie gelungen man diese Variation der Plotidee letztlich halten mag, als Relativierung oder gar Neutralisierung des an den Siegel-Film gerichteten Vorwurfs – sie ist zum einen recht interessant als Pointe im DIRTY HARRY-Kontext, zum anderen erfüllt sie ihre dramaturgische Funktion doch ganz passabel: es ist zumindest ein tauglicher erzählerischer Rahmen, um die einzelnen Segmente des Films (wenn auch sehr lose) miteinander zu verbinden.
In einer weiteren Hinsicht kommentiert CALAHAN seinen Vorgänger, wobei man sich ebenfalls fragen könnte, wie stimmig sie sich dies zum ersten Teil verhält. Im zweiten Teil der Reihe wird Harry relativ ausführlich als Privatperson vorgestellt: man bekommt Einblicke in seine (recht triste und spartanisch ausgestattete) Wohnung. Ihm wird gar eine Freundin gegönnt.
Auch ist mittlerweile offenbar ein kollegialer Polizist aus Harry geworden - nur zu seinen Vorgesetzten hat er noch ein sehr skeptisches Verhältnis, zu Recht, wie der Film am Ende demonstriert.
Eastwood spielt Callahan hier als einen fast zu freundlichen Polizisten, der nur seinen Job macht – ohne starkes Engagement und Gerechtigkeitsempfinden, wie es im ersten Teil noch als Charaktereigenschaft Harrys dargestellt wurde. Ohne dessen Ecken und Kanten wirkt er vergleichsweise aber auch fast etwas langweilig. CALAHAN rückt seinem Helden auch buchstäblich sehr nah, es gibt auffallend häufige Nahaufnahmen von Eastwood, dessen Mimik ebenfalls ein gewisses Gelangweiltsein offenbart, zumal er die ganze Zeit an seinem Kaugummi kaut.
An der Kinokasse ging die Rechnung jedenfalls voll auf. CALAHAN wiederholte den kommerziellen Erfolg seines Vorgängers und festigte damit erneut Eastwoods Position als Superstar.
Zwei Kuriosa am Rande: die deutsche Kino-Fassung mopste Callahan ein ‚L‘ und kündigte ihn im Vorspann und auf Plakaten als CALAHAN an, vermutlich hatte der US-Abspann hier die falsche Fährte gelegt: hier ist nämlich auch Harry Calahan zu lesen.
Die Plotidee von MAGNUM FORCE lieferte auch die Grundidee für den Michael Douglas-Film EIN RICHTER SIEHT ROT, in dem ebenfalls eine inoffizielle Geheimorganisation, nun inklusive der Judikative, das Recht in die eigene Hand nimmt – nach PLAY MISTY FOR ME bereits der zweite Eastwood-Film, der bei einem Douglas-Film Pate stand.
Auch diesen Beitrag wieder mit großem Interesse gelesen, ich habe schon mit Vorfreude auf "Cal(l)ahan" gewartet.
Ich gebe es unumwunden zu: ich mag diesen Film lieber als den ersten Teil. In der Geschichte des Kinos kam es ja oft vor: man machte etwas, das wie eine Bombe einschlug und justierte bei der Fortsetzung nach, um eine eigene Formel zu finden. Das ist dem zweiten Dirty Harry-Film jedenfalls gut gelungen (aus meiner Sicht).
Sicher ist der Film nicht so kantig wie der erste, nicht so provokant und ambivalent. Aber er ist ein gut gemachter Polizeifilm, der spannend unterhält und dem die Arroganz fehlt, die viele neuere Sequels zu Erfolgsfilmen unsympathisch macht: man will nicht mit Gewalt das Rad neu erfinden, sondern schauen, dass es gut und effektiv weiterläuft.
"Cal(l)ahan" ist sicher kein großer, bedeutender Film, aber er hat sicher zur Festigung Eastwoods viel beitragen können, was den kommerziellen Erfolg anbelangt.
Der kompetent inszenierte Film grenzt sich teils wohltuend vom ersten Teil ab und bringt neue Facetten, aber er "verrät" nicht das, was Siegel und Eastwood mit "Dirty Harry" in die Kinowelt gesetzt haben. Persönlich empfand ich auch Jerry Fieldings Filmmusik als sehr gelungenen Kontrast zu Lalo Schifrins teils zu extravaganten Tonsetzungen. Sie reflektiert auch für sich genommen den Film sehr gut: alles ist eine Spur gefälliger, bleibt aber im Rahmen.
Was mir an vielen Eastwood-Filmen gefällt: er wird selten mit (rivalisierenden?) echt großen Stars konfrontiert, dafür aber mit einer Garde (teils durchaus bekannter) Gesichter und Charaktere, die von vornherein vielversprechend sind und nicht auf wen anderen ablenken.
Mein liebster "Dirty Harry" ist der dritte Teil, aus einem ganz speziellen Grund - den behalte ich aber einstweilen noch für mich...
Ja, CALAHAN ist zwar unverkennbar ein formelhafter Film, aber darin ein sehr sympathischer, weil er sich seiner Formelhaftigkeit bewusst ist. Der realistische Anspruch des Vorgängers und auch dessen Ambitioniertheit hat einem schnörkellosen Unterhaltungsfilm Platz gemacht. Gerade weil er sich selbstbewusst dazu bekennt, mag ich ihn auch. Trotzdem hat mir hier die unnahbare Coolness Eastwoods aus dem ersten Teil etwas gefehlt - vielleicht hat mir hier auch einfach Rolf Schult gefehlt, den ich kongenial fand in DIRTY HARRY.
Es stimmt: erst mit ERBARMUNGSLOS hat Eastwood eigentlich angefangen, andere Stars in seinen Filmen zu besetzen, dies dann aber seitdem auffallend konsequent. Bis dahin hat er ähnlich wie John Ford sehr stark auf seine stock company zurückgegriffen, daneben aber einige Schlüsselrollen mit ausgewiesenen Charakterdarstellern besetzt. Seine Besetzungspraxis war eigentlich ziemlich konträr zu den Star-gespickten Blockbustern jener Zeit. Manche Kritiker haben dies auf Eastwoods Eitelkeit zurückgeführt, aber gerade der einzige Ausnahmefall in all den Jahren, CITY HEAT, wo er mit Burt Reynolds, seinem langjährigen Erzrivalen an der Kinokasse, gemeinsam auftrat und sich mehr oder weniger mit einem größeren Gastauftritt zufrieden gab (sehr zum Nachteil des Films übrigens), und auch die spätere, sehr generöse Führung seiner oscar-prämierten Co-Stars, lassen solche Vorwürfe als nicht gerechtfertigt erscheinen.
Apropos: was könnte es an dem dritten Teil geben, was ihn zu deinem Favoriten machen könnte, fortinras? Es wird wohl die Besetzung sein: Tyne Daly oder Bradford Dillman samt Manfred Schott...? Lassen wir uns überraschen.
Ja, danke für einen weiteren interessanten Beitrag in dieser Retrospektive. Auch ich mag CALAHAN sehr - vielleicht sogar der beste Film der Dirty Harry-Reihe. Warum? Schwer zu sagen. Liegt offenbar an meinem Faible für das Thema Polizeikorruption sowie Polizeibrutalität und deren Folgen.
Dann kann ich mir nicht verkneifen, hier anzumerken, dass ich den zweiten Teil verabscheue - wie so ziemlich alles, bei dem Milius und Cimino ihre Finger im Spiel haben. Dass die Faschismus-Vorwürfe gegen den ersten Film eigentlich ins Leere gehen, liegt daran, dass Harry niemals im Namen des Systems handelt, sondern immer nur seiner eigenen Moral folgend - und dass er gewissermaßen die Sicherheit seiner Schutzbefohlenen mit seiner Seele erkauft: er tut genau das, wofür er andere (zurecht) hart bestrafen würde; aber seine Strafe liegt in der Einsamkeit und seinem Selbsthass, er hat absolut nichts zu verlieren und das macht ihn gefährlich. Diese Außenseiter-Position nimmt ihm der zweite Teil: er bekommt ein Privatleben und ist nicht mehr der Einsame, der nichts zu verlieren hat - die Strafe für seine Gewalttätigkeit ist ihm genommen. Und er handelt nun im Auftrag des Systems - bitte korrigiert kleine wörtliche Fehler in dieser aus dem Gedächtnis zitierten Zeile - "Ich hasse dieses System, es ist ein beschissenes System, aber so lange mir keiner mit einem besseren kommt, handle ich danach." Harry akzeptiert das System anstatt sich bewusst und provokativ außerhalb dessen zu stellen? Damit trifft plötzlich der Vorwurf, ein härteres, dikatorischeres und - sagen wir's offen - faschistischeres System zu propagieren, plötzlich zu, denn Harrys Aktionen werden nicht mehr ambivalent, sondern zustimmend beobachtet und bewertet. Und was soll ich davon halten, dass die Bösewichter natürlich als sowas von schwul dargestellt werden (nach heftigem Klischee, das versteht sich), dass es weh tut? Das überschreitet die Grenze von Unbedacht weit, das ist harte und bewusste Diskriminierung. Der große Treppenwitz dabei ist, dass offene Faschisten (ja, Milius auf jeden Fall) sich offensichtliche Faschisten als Schurken erwählten - führt das meine Argumentation nicht ad absurdum? Nein, denn diese Krähen haben schon immer gern sich gegenseitig die Augen ausgehackt (siehe Röhm-Putsch & Horst Wessels Tod). Nie ist ein starker, vielleicht sogar wichtiger Film von seiner Fortsetzung so in den Dreck gezogen und in seiner Wertung und Bewertung verhängnisvoll beeinflusst worden (denn heute kommt niemand mehr auf die Idee, "Dirty Harry" als Einzelfilm zu beurteilen, immer nur als Teil einer Reihe, die niemals konzipiert war und auch ganz deutlich von ihm abweicht).
Gruß Stefan
P.S.: Wenige Filme (zumindest solche, die auch nur den Hauch einer Betrachtung wert sind) be- und verurteile ich so scharf wie "Magnum Force" ("Dune - der Wüstenplanet" zählt dazu), auch wenn ich mich dadurch mit dem Konsens anlege.
Unter dieser Perspektive ist deine Kritik absolut schlüssig und auch berechtigt, Stefan. Dass MAGNUM FORCE Callahans Charakter aus DIRTY HARRY (teilweise?) ad absurdum führt, würde ich auch sagen, ebenso, dass damit dessen romantischer Kern als frustrierter und melancholischer Außenseiter leider geopfert wurde.
Ob man MAGNUM FORCE aus ideologischen Gründen für verwerflich halten will, ist eine Sache, die man gewiss mit Recht vorbringen kann - wenn man sich denn beim Betrachten des Films die ideologiekritische Brille aufsetzt (was ich zugegebenermaßen nicht getan habe, hier nicht und auch sonst in der Regel nicht). Den Plot selbst bzw. die Idee, mit den Vorwürfen an die Adresse des ersten Teils dramaturgisch zu spielen, finde ich unter dem Gesichtspunkt der Fortsetzung nämlich schon gelungen. Zum einen ist es m.E. an sich eine interessante Plotidee, zum anderen sichert sie dem zweiten Teil einen inhaltlichen Brückenschlag zum ersten Teil.
Kurz: mehr als der Plot stören mich die Modifikationen an Callahans Charakter - aber vielleicht war das ja der Preis, den man für die Serialisierung der Figur zahlen musste. Auch wenn ich DIRTY HARRY im Vergleich mit seinen Fortsetzungen mit Abstand am meisten schätze, würde ich trotzdem nicht sagen, dass man auf die Serialisierung des Charakters hätte verzichten sollen - es gibt schlechtere und überflüssigere Reihen.
Ich sehe "Calahan" bei weitem nicht so kritisch wie Stefan, da ich hier eine ideologische/kritische Brille für nicht ganz angebracht halte - für mich ist es eigentlich nur ein Unterhaltungsfilm, den ich nicht ernst nehme und der bei weitem nicht so widerlich ist wie etwa John Waynes "Die grünen Teufel". Manches in "Calahan" ist schlichtweg auch dem Zeitgeschmack geschuldet und erscheint einem heute brutal, diskriminierend oder faschistisch. Aber ich denke nicht, dass "Calahan" ein Film mit politischer Botschaft ist - auch wenn mich bei vielen Filmen der 70er-Jahre rassistische und diskriminierende Aspekte stören. Betreffend Homophobie, die selbst 70er-Jahre-Standards übertrumpfen an Idioterie, fand ich Eastwood-Filme betreffend "Flucht aus Alcatraz" vielfach schlimmer.
Ob man die Macher des Filmes in ein rechtes Eck stellen kann, weiss ich nicht - ich habe mich noch nicht damit beschäftigt.
Noch ein Nachsatz zu Eastwood und seinen Mitspielern: aus Eitelkeit hat es in seinen Filmen sicherlich nicht lange Zeit keine echten Stars gegeben. Hier wimmelte es nämlich dauernd von erstklassigen, hochkalibrigen Charakterdarstellern, bei denen man schauspielerisch einiges drauf haben muss, um Paroli zu bieten. Und das hat Eastwood immer hervorragend gemeistert, er musste nie schwimmen gehen inmitten der Filmensembles.
DER UNERBITTLICHE (THE ENFORCER [USA 1976) Enforcer_poster.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Der dritte Film aus dem DIRTY HARRY-Zyklus ist zugleich auch der witzigste. Der grimmige Ton des ersten Teils ist einem heiteren Erzählgestus gewichen, auch wird Callahan nun als eine überlebensgroße Figur gezeichnet. Unterstrichen wird die entspannt-ironische Anlage des Films auch vom Jazz-Score Jerry Fieldings, der wesentlich verspielter daherkommt als Lalo Schifrins hintergründige Untermalung der ersten beiden Teile.
Zwar hat THE ENFORCER eine duale Struktur wie seine beiden Vorgänger auch: einerseits folgt die Handlung in einer episodischen Dramaturgie Harrys dienstlichem Treiben, andererseits ragt ein spektakulärer Fall aus den Routinefällen heraus, ordnet und dirigiert das Geschehen, bis er im Finale endlich die volle Aufmerksamkeit bündelt.
Allerdings hat der Fall in diesem Teil so gut wie keine Relevanz, seine Austauschbarkeit wird von der Dramaturgie gar nicht erst kaschiert. Eine Gruppe, die sich großspurig „Die Revolutionären Streitkräfte des Volkes“ nennt und mit gestohlenen Waffen Terrorakte androht, um von der Stadt Lösegeld zu erpressen, wird recht schnell als eine stinknormale Verbrecherbande ohne politische Motive entlarvt.
Zudem macht der Film auch von der sich dramaturgisch anbietenden Möglichkeit, durch genreübliche Demonstration der Bedrohungsgefahr für gezielt eingestreute Action-Höhepunkte zu sorgen, nicht nur keinen Gebrauch, sondern er drängt gar den Fall phasenweise völlig in den Hintergrund und lässt schließlich die Ausgangsprämisse des Falles im letzten Drittel auch völlig fallen, wenn die militante Bande nun den Bürgermeister entführt, um höheres Lösegeld zu verlangen.
Es ist also eine ausgemachte Sache, dass man von dem Film nur enttäuscht werden kann, wenn man von den Vorgängerfilmen bestärkt, sich auf den Kriminalfall konzentriert. Diese Sicht auf den Film wird seinem hohen Unterhaltungswert aber überhaupt nicht gerecht.
Es ist zwar unübersehbar, dass der Film ein Flickwerk ist, der offensichtlich mehrere Male überarbeitet wurde, ohne dass die Autoren den Kriminalfall letztlich überzeugend entfalten konnten. Hier zeigt sich aber auch genau der Vorzug serieller Filme, die allein durch Variation und Spiel mit eigenen Versatzstücken ein hinreichend ansprechendes Ergebnis garantieren können – wenn die Macher ihr Handwerk verstehen.
DER UNERBITTLICHE ist nämlich in erster Linie ein sehr komischer Film. Nahezu alle Segmente enthalten eingestreute komische Effekte oder werden komisch aufgelöst, oder es werden beide Erzählstrategien miteinander kombiniert.
Callahan ist zufällig vor Ort, als ein Restaurantgast einen Herzanfall erleidet. Harry aber leistet nun keine erste Hilfe, sondern zerrt unter entsetzen Blicken der Umstehenden den am Boden liegenden Mann an seinem Schlips vor die Tür. Wie sich herausstellt, ist der Mann ein Callahan nur zu gut bekannter Schwindler, der die Zeche prellen wollte.
Gleich darauf gerät Harry in einen Schnappsladenüberfall, den er nun erwartungsgemäß mit seiner 44er Magnum vereiteln kann. Abgeschlossen wird das Segment im Büro des Vorgesetzten, der Callahan zurechtweist und ihn in die Personalabteilung versetzt, nur um damit Callahan einen sarkastischen Abgang zu ermöglichen. unerbittliche_screenshots_2.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)
Das folgende Segment hat ebenfalls den Charakter eines Sketches, das zwar weiter vom Kriminalfall ablenkt, aber auch in das eigentliche Thema des Films einführt. Als Mitglied eines Prüfungsausschusses wird Harry als altmodischer Chauvi vorgeführt, nur um kurz darauf einen weiblichen Partner an die Seite gestellt zu bekommen. Damit knüpft der Film an EIN FRESSEN FÜR DIE GEIER an, wo Eastwood ebenfalls unfreiwillig mit einer weiblichen Begleitung konfrontiert wurde. Auf die potentiell mögliche romantische, oder gar sexuelle Dimension verzichtet DER UNERBITTLICHE allerdings – auch das eine gute Entscheidung der Drehbuchautoren. Stattdessen agiert Tyne Daly über weite Strecken wie Eastwoods side kick, als der sie sich bis zum Finale wunderbar in den komischen Grundton des Films einfügt. unerbittliche_screenshots_3.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)
Ohne Sex kommt THE ENFORCER allerdings – darin unbestreitbar ein Kind des Exploitation-Kinos der Siebziger – auch nicht aus, jedoch wird Sex hier ausschließlich für mehr (großmütterliche Sex-Arbeiterinnen) oder weniger (Pornodreh) komische Effekte genutzt. unerbittliche_screenshots_5.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)
Sollten die Skeptiker auch den letzten Zweifel daran haben, dass die Komik von DER UNBERBITTLICHE bloß eine nebensächliche Dreingabe sein könnte, wird durch die Schlussszene eines Besseren belehrt. Nachdem Callahan auf eigene Faust die Verbrecher ausfindig gemacht, sie ausgeschaltet und den entführten Bürgermeister gerettet hat, teilt sein ahnungsloser Chef per Helikopterdurchsage den toten Entführern mit, dass die Stadt auf ihre Forderungen einzugehen gedenke. unerbittliche_screenshots_6.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)
DER UNERBITTLICHE sollte ursprünglich die Dirty Harry-Reihe zum Abschluss bringen, bis Eastwood sein alter ego 7 später erneut reaktivierte. Angesichts des box office-Ergebnisses von THE ENFORCER ist es eigentlich erstaunlich, dass der vierte Teil so lange auf sich warten ließ. Mindestens ebenso erstaunlich ist es, wie nah beieinander die Einspielergebnisse der drei klassischen Dirty Harry-Filme eigentlich liegen, so dass man daraus den Schluss ziehen kann, dass die Zielgruppe Filmen ziemlich homogen blieb – offensichtlich hat das Publikum den verspielten Umgang mit ihrem Helden durchaus zu honorieren gewusst und die fehlende Spannung zugunsten der Komik akzeptiert.