In der vorletzten Ausgabe des Musik- und Medien-Magazins "MUSIC SUPPORTER" befand sich ein Interview mit Ian Odle, das ich hier mal abgetippt habe:
FÜR ANDERE DIE STIMME ERHEBEN
Als Fünfjähriger betrat er das erste Mal ein Synchronstudio, seither lieh Ian Odle schon hunderten Schauspielern seine Stimme: Bernie Mac beispielsweise in der „Ocean’s“-Reihe, und vor allem Will Smith, den er in den meisten seiner Filme spricht. „Ich habe Mitte der achtziger Jahre sehr viele Schwarze gesprochen. Damals war so schrilles Gekreische gerade in Mode, und das konnte ich ganz gut“, erzählt er. Mittlerweile schreibt der 42-jährige selbst Dialogbücher, zuletzt für den Hugh Grant-Film „Mitten ins Herz – Ein Song für dich“ und führt bei deutschen Synchronarbeiten Regie. Wir trafen Ian in den Münchner „Movie-Ton“-Studios und unterhielten uns über seinen stimmgewaltigen Beruf.
IAN, DU BIST SYNCHRONSPRECHER FÜR WILL SMITH. GIBT ES ETWAS, DAS DICH AN DEM SCHAUSPIELER FASZINIERT? Er ist ein toller Typ, wahnsinnig vielseitig und sehr witzig. Und abgesehen davon, dass er ein brillanter Schauspieler ist, finde ich an ihm besonders gut, dass er es nicht nötig hat, sich in ein Genre zwängen zu lassen. Damit sind all seine Filme anders und als seine Stimme macht es das spannender.
HAST DU IHN EINMAL GETROFFEN? Ja, aber die Begegnung war leider sehr kurz, durch die Hektik des Anlasses bedingt – das war eine Premierenfeier. Aber er war genau so, wie ich ihn mir vorstelle: unglaublich nett, offen, witzig, charmant und er hatte große Freude an dem, was wir da gemacht haben.
ÄHNELN SICH EURE STIMMEN? WIRD DARAUF BEI DER BESETZUNG VON SYNCHRONSTIMMEN GEACHTET? Das fängt schon beim Körperbau an: ich bin auch zwei Meter groß, wiege dabei 75 Kilo, bin wahnsinnig sportlich und von der Hautfarbe her auch eher der dunkle Typ... (lacht). Also: Nein. Ich bin das absolute Gegenteil und unsere Stimmen sind sich auch nicht unbedingt ähnlich.
WIE BIST DU DIE DEUTSCHE STIMME VON WILL SMITH GEWORDEN? Ich habe Mitte der achtziger Jahre sehr viele Schwarze gesprochen. Damals war so schrilles Gekreische gerade in Mode und das konnte ich ganz gut. Und dadurch war ich ziemlich festgelegt auf dieses Genre: Comedy, mit einem Schwarzen drin oder mit einem etwas Dickeren. Als dann eine Serie kam mit genau dieser Art von Rolle als Hauptrolle, „Der Prinz von Bel Air“, hat Regisseur Arne Elsholtz mich besetzt. Danach gab es zwar auch noch Filme mit Will Smith, die ich nicht gesprochen habe, wie „Independence Day“ zum Beispiel, ansonsten habe ich ihn bis zu seinem aktuellsten Film immer gesprochen.
IM MOMENT HÖRST DU DICH ÜBERHAUPT NICHT AN WIE WILL SMITH. VERÄNDERST DU DEINE STIMME FÜR DIE SYNCHRONARBEIT? Nein. Ich würde sagen, das hängt damit zusammen, ob man den Schauspieler sieht und die Stimme kommt aus dessen Gesicht. Das menschliche Gehirn bastelt sich dann etwas zusammen. Mich zu sehen und Will Smith hören zu wollen, funktioniert nicht, weil wir so wenig zueinander passen.
WIE BIST DU ZU DEINEM BERUF GEKOMMEN? Ich hatte das große Glück, dass ein sehr guter Bekannter meiner Eltern auf der Suche nach neuen Kinderstimmen war und mir angeboten hat, einfach mal mit ins Studio zu kommen. Bei Kindern hat man den großen Vorteil, dass die nicht voreingenommen sind, kein Lampenfieber haben, nicht nervös sind, wenn sie die Person, mit der sie zusammenarbeiten sollen, schon kennen. Also bin ich mitgegangen und es hat sich herausgestellt, dass ich das Gefühl für das Sprechen hatte.
HAST DU EINE AUSBILDUNG ODER STIMMBILDUNG ABSOLVIERT? Meine Ausbildung baut zu 100 Prozent auf Erfahrung.
MUSS MAN SEINE STIMME BESONDERS TRAINIEREN, WENN MAN ALS SYNCHRONSPRECHER ARBEITET? Nein. Wenn man die Stimme zu extremer Leistung bringen will, muss man sie trainieren wie wenn man zum Bodybuilden geht, als Sänger zum Beispiel. In unserem Beruf kann man sehr viel für die Stimme tun, man kann Sprechübungen machen, auch Gesang ist eine Hilfe. Aber sich gezielt das Synchronsprechen anzutrainieren, das gibt’s nicht.
WELCHE EIGENSCHAFTEN MUSS MAN MITBRINGEN, WENN MAN SYNCHRONSPRECHER WERDEN WILL? Man sollte ein sehr gutes Gefühl für Timing haben. Man sollte sehr schnell Lampenfieber überwinden können, denn man steht in einem dunklen Raum, oftmals vor vielen Leuten, und muss sich zum Hampelmann machen, weil man Sachen sagt, die man sonst nie sagen würde. Wenn man nicht das Glück hatte, als Kind anzufangen, dann sollte man eine Schauspielausbildung haben – je umfassender, desto besser. Ohne ist es sehr, sehr schwer, einem Sprecher zu vermitteln, wie er eine Szene, einen Satz, ein Wort gestalten soll. Es gibt an Schauspielschulen, Hochschulen und Akademien Synchronkurse. Die sind empfehlenswert, weil man das Grobe lernt. Aber synchronisieren lernt man im Studio.
BRAUCHT MAN EINE SCHÖNE ODER BESONDERE STIMME? Nein. Wenn man zum Beispiel eine kräftige, sonore Stimme hat, bekommt man eine Kategorie zugeordnet und spricht nur die. Wenn man nur schräg und hoch ist, gibt es auch dafür bestimmte Rollen. Das ist wie bei Schauspielern: Der muss nicht schön sein. Es gibt Weltstars, die nicht schön sind, es gibt Leute, die werden ständig beschäftigt und sehen eigentlich furchtbar aus. Genau das gleiche ist bei der Stimme der Fall.
WAS GEFÄLLT DIR AN DEINEM BERUF BESONDERS? Die Abwechslung. Und das nette Klima größtenteils. Es macht fast immer Spaß und die Rollen sind immer anders. Wenn man nur als Synchronsprecher tätig ist, hat man manchmal fünf oder sechs Einsätze am Tag und es ist jedes Mal ein neuer Film, eine neue Figur, eine neue Rolle, eine neue Situation. Sich da immer wieder auf etwas anderes einstellen zu können, macht sehr viel Spaß.
STIMMT ES, DASS IMMER NUR EINER IM SYNCHRONSTUDIO STEHT, AUCH WENN DIE „DESPERATE HOUSEWIVES“ ZUM BEISPIEL ZU VIERT ZUSAMMENSITZEN? Das ist meistens der Fall, leider. Es ist zu zeitaufwändig und zu teuer, alle Leute gleichzeitig ins Studio zu bekommen, denn dann hätten einige – wenn sie mal ein paar Szenen nicht dabei sind – sehr lange Pausen.
WIE LANGE BRAUCHT MAN, UM EINEN FILM ZU SYNCHRONISIEREN? Zwischen drei und acht Tagen für die einzelne Rolle, je nach Film. Es kommt immer darauf an, wie viel die Figur spricht, und wie schwer es ist, die Rolle umzusetzen. Wenn man sehr groß im Bild und genau zu sehen ist, muss man extrem auf Synchronität achten. Je präziser die Arbeit, je komplizierter das Spiel, desto länger dauert es. Dagegen kann man von einer Zeichentrickfolge, wenn sie nicht zu genau gezeichnet ist, am Tag 20 Minuten schaffen und vielleicht sogar ein gutes Stückchen mehr.
ALS DIALOGBUCHAUTOR SCHREIBST DU AUCH DEUTSCHE FASSUNGEN VON ENGLISCH-SPRACHIGEN FILMEN. PASST JEDER DEUTSCHE SATZ AUF EINEN ENGLISCHEN? Nein. Als Autor achte ich zunächst darauf: Wann macht er den Mund auf, wann wieder zu, wann macht er eine Pause oder gibt es Lippenschließlaute, wie „hmmmmm“ beispielsweise. Dann gibt es sogenannte Labiale – ein B, ein M, ein P – da schließen sich die Lippen und das ist besonders deutlich zu sehen. Es gibt Halb-Labiale – W, V, F – die muss man alle berücksichtigen, und das möglichst genau.
WIE KANN ES DANN SEIN, DASS „FUCK“ SO GERN MIT „SHIT“ ODER „MIST“ ÜBERSETZT WIRD? In dem Fall ist es ganz gut, weil der Halb-Labial am Anfang des Wortes ist und man ihm deswegen kaum berücksichtigen muss. Denn wenn man ansetzt, ein Wort zu sagen, hat man oft den Mund halb zu. „Mist“ geht deshalb gerade noch, „verdammt“ sieht nicht gut aus.
SITZT DU DANN MIT STIFT UND BLOCK VORM FERNSEHER, UM DIE DEUTSCHE FASSUNG ZU SCHREIBEN? Ja, natürlich. Beziehungsweise sitze ich vor dem Monitor, der ist nicht ganz so schlimm für die Augen. Aber im Prinzip läuft das so ab: Ich muss mir jedes Take, also die einzelnen Abschnitte vom Film, die zwischen vier und 15 Sekunden lang sind, immer wieder anschauen, bis ich den passenden Text dazu gefunden habe. Das ist das Schwierige daran: Man kann nicht Wort für Wort geradeaus übersetzen, man muss mit der Sprache spielen, sie manipulieren können. Englisch ist eine viel kompaktere Sprache als deutsch, die Grammatik ist ganz anders aufgebaut, im Englischen ist eine Pointe leichter zu gestalten, weil das Substantiv gerne am Ende des Satzes kommt. Wohingegen im Deutschen meistens die Verben am Schluss kommen.
KANNST DU DIR ÜBERHAUPT NOCH DEUTSCHES FERNSEHEN ODER DEUTSCHES KINO ANSEHEN, OHNE AUF DIE SYNCHRONISATION ZU ACHTEN? Ich versuch’s. Es geht nicht immer, aber manchmal kann ich genügend Distanz schaffen, um mir etwas anzuschauen, ohne darauf zu achten. Manchmal freut man sich, weil es wirklich schön geworden ist. Manchmal ist es ... egal. Ich schau mir gerne Tierfilme an (lacht).
ES WIRD OFT ÜBER DIE DEUTSCHE SYNCHRONISATION GESCHIMPFT. Das ist zwar sehr schade, aber wie bei jedem anderen Beruf ist es sicherlich auch hier hin und wieder wahr.
WORAUF KOMMT ES BEI EINER GUTEN SYNCHRONISATION AN? Da spielen sehr viele Faktoren eine Rolle: Man braucht ein sehr präzises Dialogbuch, das die Stimmung der Originalsprache ins Deutsche rüberbringt. Dann braucht man einen Regisseur, der einem vermitteln kann, wie man die Rolle anlegt. Regie ist sehr viel Psychologie, man braucht jemanden, der ein Gespür dafür hat, wie man Menschen führt. Und dann braucht man natürlich für die gesamte Produktion möglichst gute Sprecher, die das Spiel des Originals getreu und überzeugend rüberbringen. Man braucht einen Tonmeister mit einem guten Gehör und flinken Fingern und einen Cutter, der ein sehr präzises Auge hat. Er achtet darauf, wie man etwas spricht, sorgt dafür, dass man die Pausen richtig trifft und schneidet vor allem den Ton später so, dass es wirklich so aussieht, als würden die Deutsch sprechen. Zuletzt braucht man noch einen Mischtonmeister, der sich das Ganze tagelang anhört und dann das Endprodukt anfertigt.
WAS WÜNSCHST DU DIR FÜR DIE ZUKUNFT? GIBT ES EIN TRAUMPROJEKT, AN DEM DU GERNE BETEILIGT WÄRST? Ich würde wahnsinnig gern einmal die Welt umsegeln. Ansonsten, was Synchronsprechen angeht, bin ich sehr zufrieden. Ich mache schöne Filme und hoffe, dass ich auch weiterhin schöne Filme machen darf.
Ja, er hat auch schon öfter mal Produktionen vom Deutschen ins Englische synchronisiert. Im zweiten Teil der "Unendlichen Geschichte" sprach Ian damals zum Beispiel in der amerikanischen Fassung den ebenfalls Deutsch-Amerikaner Frank Lenart, der in der deutschen Fassung von Christian Tramitz gesprochen wurde.