Zitat von fortinbras im Beitrag #106Das habe ich mir auch gar nicht anders vorgestellt, ich fand nur die Formulierung recht amüsant...
Aber die Formulierung lässt sich doch eigentlich nicht so deuten, als wäre damit gemeint gewesen, er hätte sich schon als Kind ausbilden lassen. "Faszinierend" erschien mir eher, dass es zum einen sicher nicht viele deutsche Schauspieler seiner Generation gab, die in Amerika überhaupt ausgebildet wurden, zum anderen bereits am Broadway spielen konnte, bevor er eingezogen wurde und generell der Umstand, dass er den Zweiten Weltkrieg aus einer anderen "Persektive" erlebte als die meisten seiner deutschen Schauspielkollegen. Sicher gibt es auch andere deutsche Schauspieler seiner Generation, die während des Krieges auf alliierter Seite standen. Aber diese waren meist (vielleicht abgesehen von Peter van Eyck) Menschen, die entweder selber oder deren Eltern Opfer von Verfolgungen oder Schikanen waren und daher emigrierten. Holger Hagens Familie dagegen lebte schon Jahre vor 1933 in Amerika, und die Umstände, unter denen sie dorthin zog, waren eher "zufällig" (durch einen angebotenen Lehrstuhl) bedingt. Deswegen finde ich seinen Fall so aus dem Rahmen fallend.
das fällt tatsächlich aus dem Rahmen und ist eine hochinteressante Biografie. Schade, daß er nie eine schrieb, bzw nicht veröffentlichte. Man weiß ja nicht, ob er Aufzeichnungen machte.
Ich finde es schade, daß fast alle der großen Synchronikonen starben, ehe ihnen gerade durch Internetschwerpunkte wie diesem hier kleine Denkmäler gesetzt wurden. Soviel ich weiß, war Hagen eher ein stiller und bescheidener Mensch, der kaum Wirbel um sich machte. Wenn, dann eher wegen anderen Dingen.
Es gibt tatsächlich wenige deutsche Künstler, die schon vor 1933 Deutschland verließen und später für die Alliierten kamen. Bei den meisten, sofern prominent, wurde ja gerne ein Vorausahnen der NS-Zeit unterschoben. Wenn Marlene Dietrich WEGEN der Nazis nach Hollywood gegangen wäre, hätte man sie sicher später freundlicher begrüßt.
Da fällt mir gerade eine Anekdote ein, die angeblich Friedrich Torberg widerfuhr, aber schon anderen zugeschrieben wurde. Er hatte sein Wiener Stammcafe, wo er immer seine Melange trank. Als er nach zehn Jahren wieder nach Wien kam, war noch der selbe Herr Ober da, brachte ihm seinen Kaffee und fragte: "War ma verreist, Herr Torberg?"
Das war jetzt alles weit Off-Topic. Ich wüßte auch gerne mal mehr über Hagens Aktivitäten nach dem Krieg in Deutschland beim Militär und inwieweit er hier vielleicht innerhalb seines Berufes etwas ausüben konnte. Der (allerdings wegen der Nazis geflohene) Wiener Schauspieler Hans Jaray war ja später so eine Art Kulturbeauftragter, nicht nur, aber doch auch.
Gerade wegen dieser ungewöhnlichen Lebensgeschichte beschäftigt mich (siehe die Beiträge vom letzten August) die Frage, ob die Synchronisation von Filmen, die mit dem Nationalsozialismus oder dem Zweiten Weltkrieg zu tun hatten, für ihn ein komisches Gefühl waren, da er in dieser Hinsicht vollkommen "unbelastet" war, ohne dass seine Familie Opfer von Verfolgungen oder Schikanen gewesen wäre. Oder ob er diese Sache als "unverdientes Glück" empfand und dadurch ins Grübeln kam.
Zitat von fortinbras im Beitrag #108das fällt tatsächlich aus dem Rahmen und ist eine hochinteressante Biografie. Schade, daß er nie eine schrieb, bzw nicht veröffentlichte. Man weiß ja nicht, ob er Aufzeichnungen machte.
Selbst ein ausführlicherer Artikel über ihn oder ein etwas längeres Interview wäre in dieser Hinsicht interessant.
Fortinbras hat mir neulich DIE NACHT IST MEIN FEIND geborgt, in dem Dirk Bogarde gleich eine Doppelrolle spielt, bzw diese auch noch zu ganz verschiedenen Zeiten mit unterschiedlicher Grundstimmung (vor und nach dem Kriegstrauma). An sich ein ziemlich konventioneller Film, aber Bogarde ist echt stark. Und das trifft auch auf Holger Hagen zu, der ihn in dem Film spricht.
Da ist vor allem spannend, wenn er durch die Doppelrolle im Dialog mit sich selber ist. Man muß sicher ein gewiefter und vielseitiger Profi sein, um das zuweg zu bringen. Bogarde selbst (ganz hinreissend) hatte es ja in mancherlei Hinsicht einfacher, weil er ja durch die unterschiedlichen Drehzeiten jeweils in der selben Rolle bleiben konnte. Ob man die mit Hagen getrennt aufgenommen hat oder ob er es konnte, so schnell wechseln? Synchronprofis traue ich das durchaus zu. War zwar keiner, aber unser Kult-Quasi (Helmut Qualtinger) sprach in seinen Lesungen oft drei, vier Charaktere gleichzeitig, ohne daß diese verschwammen.
Der eine Bogarde ist kerlig, aber kultiviert. Der andere hat einen frechen Tonfall, der einem unsauberen und latent gefährlichen Charakter entspringt. Beim ersten ist Hagen eben leicht heroisch und elegant in der Stimmgestaltung, beim zweiten aber gepresst, höher sprechend, unterschwellig agressiv und wie auf der Lauer.
Da unklar ist, welcher der beiden alten Dirks nun der spätere, vom Krieg traumatisierte ist, hat Hagen das vollendet gemacht, was Bogarde spielte: nämlich auch akustisch merkbare Charakterzüge in einer Person.
Wäre vielleicht passender in die Synchronsternstunden, aber es ist eine so außergewöhnliche Synchronrolle, die muß in Hagens Thread rein.
Vor einiger Zeit habe ich über die Kulturabteilung der US-Botschaft eine Kontaktmöglichkeit gesucht, wie man über Hagens schauspielerische Aktivitäten in den USA Auskunft bekommen könnte. Man hat mein Schreiben an die "Screen Actors Guild" weitergeleitet und ich habe nun via Mail die Auskunft erhalten, daß niemals ein Mister Holger Hagen Gewerkschaftsbeiträge bei ihnen bezahlt hat. Ich wurde nun ans Archiv der Gewerkschaft für Theaterschauspieler verwiesen. Da werd ich mal mein Glück versuchen.
Vermutlich werde ich seit meiner Anfrage vom NSA überwacht. Die wollen sicher herausfinden, ob ich mit einer von Bruni Löbel ins Leben gerufenen Terrorzelle in Kontakt stehe.
Hab Hagen jetzt mal live gesehen und fand das echt amüsant...
Im der echt großartigen Tatort-Episode TOTE BRAUCHEN KEINE WOHNUNG spielt er eine kleinere, aber sehr nette Rolle als gütiger Stiefvater von Andreas Seyferth, dessen Mutter den Sohn nicht leiden kann. Hagen wirkt eher klein und schaut auch durch die schlampige Hausbekleidung recht unvorteilhaft aus (aber glaubwürdig), trägt nen echten Bierbauch mit sich herum. Das empfand ich als ziemlichen Gegensatz zu seinen oft edlen Rollen oder den Typen, auf die man ihn besetzte.
Kürzlich habe ich mir per Fernleihe noch einmal ein Exemplar von Bruni Löbels Memoiren zugelegt, um nach möglichen weiteren Informationen zu Holger Hagen (neben den bereits genannten) zu suchen. An einer Stelle schreibt sie beiläufig, dass dieser zu der Zeit, als sie in Berlin für das Stück "Die Kassette" probte, "gerade seine erste Berliner Synchronarbeit absolviert" hatte, der "viele weitere solche Engagements in Berlin" folgen sollten (S. 380). Laut Anhang war die Premiere dieses Stücks im Februar 1960 (S. 413), was passen würde, da Hagens Berliner Rollen tatsächlich ab diesem Zeitpunkt mehrere Jahre lang relativ konstant blieben.
mit Blick auf seine Einsätze für Richard Burton hätte ich mir Holger Hagen rein theoretisch gut als Gandalf in der HERR DER RINGE-Trilogie vorstellen können, ich finde sogar, das er entfernt Ähnlichkeit mit Joachim Höppner hatte. Natürlich weiß ich, dass Hagen zum Zeit Punkt schon tot und wenn er noch gelebt hätte viel zu alt für die Rolle gewesen wäre, diese Überlegungen (bei denen ich mich darauf bezog, wie Hagen in den 70ern klang9) sind reinste Spekulation und praktisch nicht machbar, aber auch für sowas ist ein ein Forum ja da .
Bei einem Versuch, den Stoff in den 70ern (als Zeichentrick) zu verfilmen war er tatsächlich dabei, allerdings als Erzähler. Gandalf war damals Curt Ackermann (wahrscheinlich seine letzte Rolle):https://www.synchronkartei.de/?action=show&type=film&id=1466
Die besetzung zu diesem Film kenne ich sogar, obwohl ich en Film niegesehen habe. Aber d das ein zeichentrick-Film ist, gehe ich davon auf, dass die Rolle von Gandalf anders dargestellt wurde, vielleicht ihrendwie "kindlicher". Ich meine tatsächlich den Gandalf, der von Ian Mckellen dargestellt wurde/wird.
Es ist zwar alles andere als ein gelungener Film, aber in "Nur Vampire küssen blutig" durfte Holger Hagen sich von seiner "grimmigen" Seite zeigen: Michael Brennans finsterer, übellauniger Dorfwirt gab ihm ordentlich Gelegenheit zum Knurren.
Zitat von Ohne Wiederkehr im Beitrag #117Die besetzung zu diesem Film kenne ich sogar, obwohl ich en Film niegesehen habe. Aber d das ein zeichentrick-Film ist, gehe ich davon auf, dass die Rolle von Gandalf anders dargestellt wurde, vielleicht ihrendwie "kindlicher".
Warum? Es gibt Zeichentrick über Disney hinaus. Kindlich sind Bakshis Filme nie gewesen, das dürfte ein geschäftliches Hauptproblem gewesen sein. Gandalf ist in diesem Film ziemlich so dargestellt worden, wie man ihn sich nach der Lektüre sicher vorstellt.
Laut IMDB hatte Holger Hagen seinen letzten Auftritt vor der Kamera in der Derrick-Folge "Das absolute Ende" von 1986. Die Szene mit ihm steht online:https://www.youtube.com/watch?v=8tp6g7pmCHQ Neben Horst Tappert jung und lebendig zu wirken ist natürlich keine Kunst, aber auch sonst hätte ich ihn hier nicht auf um die 70 geschätzt, sondern eher für einen Endfünfziger gehalten! Stimmlich ist er jedenfalls schon unverkennbar, im Unterschied zu seinem Auftritt im "Hauptmann von Köpenick" von 1956, wo man schon genauer hinhören muss:https://www.youtube.com/watch?v=nvsAowRJMos