Nach langer Zeit wieder mal gesehen: "Meine Lieblingsfrau" mit Cary Grant. Alfred Balthoff ist einmal mehr als Richter zu hören. Und ist absolut genial zwischen immer sinnloser werdenden Versuchen, seine Autorität zu zeigen und beginnendem Nervenkoller. Eine geniale Dialogszene, in dem sämtliche Leute durcheinander reden, eigene Geschichten mit fiktiven vermischen, dämliche Namen erwähnen, vom Richter zwischendurch verurteilt werden (sogar zu Geldstrafen in Mark-der deutschen Fassung sei dank) und letzten Endes weiß eigentlich niemand mehr, worum es da genau geht-ausser dem Zuschauer. Lässt sich nicht so detailliert beschreiben. Balthoff ist Dreh und Angelpunkt des Ganzen, der Einzige noch mit kühlem Kopf, aber wie er so langsam "oversnappt" ist nicht ohne... Eine dieser echten Paraderollen von ihm in Komödien, die Auseinandersetzung mit dem täglichen Wahnsinn anderer Leute.
Und ich habe kürzlich DAS APPARTEMENT wieder gesehen und hatte es gar nicht mehr im Gedächtnis, das Balthoff hier eine ziemlich große und sehr schöne Rolle hat als Dr. Dreyfuss, Baxters Nachbar. Eine sehr schöne Rolle, wie für Balthoff geschaffen. Er gestaltet den um menschliche Schwächen wissenden, nachsichtigen Humanisten viel liebenswürdiger als Jack Kruschen, der etwas zu Übertreibung neigt.
Neulich habe ich die Episode "Der nächtliche Gast" der Serie "Polizeiinspektion 1" gesehen, entstanden 1980. Darin spielte Balthoff einen früher berühmten, nunmehr vergessenen Operettensänger namens Labor. Der kommt in die Inspektion, weil es bei ihm nächtens anscheinend spukt. Balthoff ist darin wieder mal so ganz speziell. Irgendwie wirkt er wie aus einer vergangenen Zeit, was die Rolle aber stark unterstützt. Er spielt den alten Mann mit einer Mischung aus "Spleenigkeit", Verletzlichkeit und doch mit viel Würde. Habe mir wieder gedacht, daß es eigentlich schade ist, daß er nach 1967 nicht mehr synchronisierte. Für einige Schauspieler der "goldenen Vergangenheit", die selbst wie aus anderen Zeiten wirkten, hätte er sicher noch ausgezeichnet gepaßt. Zu gern hätte ich ihn für James Cagney gehört, dieses Beispiel führte ich ja schon an. Oder für einen der alten Herren in "Zurück bleibt die Angst" (natürlich nicht für Fred Astaire).
Zitat von fortinbras im Beitrag #4BALTHOFF IM "Rampenlicht", "Manche mögens heiss", "Quo Vadis" und "Tanz der Vampire" zählen zu meinen Lieblingsrollen. Und ganz besonders Barry Fitzgerald in "Letztes Wochenende".
Die Synchro des "letzten Wochenendes" ist größtenteils gut besetzt, aber Balthoff ist für mich das Sahnehäubchen: Einerseits würdevoll und überlegt, aber andererseits auch listig, gewitzt und schalkhaft (fast wie ein Kobold) wirkend, macht er den alten Richter zu einer äußerst liebenswerten Gestalt. Diese Interpretation (durch Balthoff und Fitzgerald) widerspricht zwar völlig der Art, wie die Rolle im Roman und in einigen anderen Verfilmungen (dem deutschen Fernsehspiel, "Ein Unbekannter rechnet ab" oder dem "letzten Weekend") erscheint, aber da diese Version sowieso in erster Linie eine zwar schwarze, aber trotzdem leichte Komödie ist, passt es in diesem Fall hervorragend.
Zitat von fortinbras im Beitrag #64Für einige Schauspieler der "goldenen Vergangenheit", die selbst wie aus anderen Zeiten wirkten, hätte er sicher noch ausgezeichnet gepaßt. Zu gern hätte ich ihn für James Cagney gehört
Guter Gedanke. Ich musste bei dem Posting spontan an Cagneys letzte Rolle in "Charleston" denken, der 1981 entstand. Balthoff wäre hier eine gute Alternative zu Hans Hessling gewesen.
Zitat von Lammers im Beitrag #66Ich musste bei dem Posting spontan an Cagneys letzte Rolle in "Charleston" denken, der 1981 entstand. Balthoff wäre hier eine gute Alternative zu Hans Hessling gewesen.
Du meinst Ragtime. Balthoff kann ich mir da auch gut vorstellen. Hessling sprach ja auch ähnliche Typen wie Balthoff.
Zitat von Lammers im Beitrag #66Ich musste bei dem Posting spontan an Cagneys letzte Rolle in "Charleston" denken, der 1981 entstand. Balthoff wäre hier eine gute Alternative zu Hans Hessling gewesen.
Du meinst Ragtime. Balthoff kann ich mir da auch gut vorstellen. Hessling sprach ja auch ähnliche Typen wie Balthoff.
'Türlich. Wie komme ich auf "Charleston" ? Charleston, Ragtime... Liegt alles so dicht beeinander.
Mir wurde vor einiger Zeit noch eine Geschichte von Balthoff erzählt, die so typisch ist für seine zerquälte Seele.
Der ORF ließ ab Ende der 70er in loser Folge einige Fernsehspiele der BBC-Reihen "Play of the Month" und "Screen 2" mit österreichischer Besetzung (u.a. Susi Nicoletti für Peggy Ashcroft, Ludwig Hirsch für Michael Kitchen) synchronisieren. Ein ehemaliger Tontechniker erzählte, daß so um 1980 für eines dieser Fernsehspiele Alfred Balthoff als Synchronsprecher engagiert wurde. Er hatte zugesagt und kam auch ins Studio. Dort wurde es aber schwierig und er wurde sehr nervös, bebte beinahe und in einem verzweifelten Tonfall, der sämtliche ratlos machte, stammelte er, daß er das nicht mehr könne und nicht mehr wolle. Er war kaum zu beruhigen und man schickte ihn nach Hause, das machte dann wer anderer. Balthoff wäre dennoch, da es sich hierbei um einen krankheitsbedingten Ausfall handelte, die Fahrtkostenpauschale und ein kleiner Tagessatz zugestanden, da er ja schon mit der Vorarbeit begonnen hatte. Er verweigerte dies jedoch fehement.
Balthoff war wohl von Natur aus eine empfindsame Seele und biografisch bedingt dürfte sich das wohl stark intensiviert haben. Ich weiß, daß Schauspieler davon leben, anderen (und sich) etwas vorzumachen und "nur" ihren Job machen. Aber nicht immer kann man die private Seite wegschalten, manche Rollen gehen einem zwangsweise nahe - was jeder in diesem Beruf wohl bestätigen wird. Balthoff zählte wohl zu jenen, die hier mitunter schwer die Distanz waren konnten. Nicht nur vor der Kamera war er besonders intensiv, wenn er gequälte Menschen darstellte, seine Leistungen waren auch im Synchronstudio sehr stark.
In "Der Teufelskreis" spielt Charles Lloyd-Pack sehr berührend einen alten Friseur, der wegen seiner Homosexualität erpresst wird und jetzt am Ende seines Lebens alles zu verlieren droht, was er sich aufgebaut hatte. Er zerbricht daran und stirbt. Lloyd-Pack ist großartig, aber Balthoff ist von einer schmerzhaft nüchternen "Verlorenheit", daß es einem bis ins Mark geht - so als wolle/könne er in den wenigen Sequenzen das Leid von jahrzehntelanger Verfolgung spüren.
Hat noch jemand dieses subjektive Empfinden, daß bei vergleichbaren Figuren Balthoff ganz schön die Grenze zum reinen Schauspiel überschreiten konnte?
Ich muß gestehen, dass ich ihn immer mit Edward G. Robinson verbinde. Für mich passt das perfekt zu einander.
Auf Alec Guinness in "Hotel Paradiso" finde ich ihn hingegen deplatziert. Der von Guinness gespielte Charakter ist ja auf eine Affäre mit seiner schönen Nachbarin (Gina Lollobrigida) aus, woran er durch widrige Umstände stets gehindert wird. Ich höre einiges bei Alfred Balthoff, aber für den (verhinderten) Liebhaber paßt er in meinen Ohren gar nicht.
Was seine Darstellung zerquälter Charaktere angeht, so empfehle ich zwei Folgen der Fernsehserie "Der Kommissar". In "Ende eines Humoristen" und in "Der Mord an Frau Klett" gibt Balthoff wirklich ergreifende Darstellungen desillusionierter, alter Männer, die das Leben zu Zynikern und zu gebrochenen Menschen gemacht hat.
Zitat von fortinbras im Beitrag #69Hat noch jemand dieses subjektive Empfinden, daß bei vergleichbaren Figuren Balthoff ganz schön die Grenze zum reinen Schauspiel überschreiten konnte?
Ich habe diesen Eindruck besonders (wie früher erwähnt) bei der Szene gegen Ende von "Sein oder Nichtsein", als Grünberg (Felix Bressart) umringt von echten und gespielten SS-Männer vor einem falschen Hitler den Shylock-Monolog rezitiert.
Ich habe zwei Theaterbetriebe kontaktiert betreffs Alfred Balthoff. Meine Anfrage betraf die Zeit seiner Mitgliedschaft an besagten Häusern und eine Rollenauswahl.
Eine der Anfragen wurde nunmehr beantwortet. Woher sie stammt, das werde ich nun höflich verschweigen, aber den Inhalt möchte ich aufgrund der herausragenden Kompetenzen der Bearbeiterin dem Forum nicht vorenthalten:
Sehr geehrter Herr...!
Wir bedanken uns für Ihr Schreiben und das Interesse an unserem Kulturbetrieb.
Gerne beantworten wir Ihre Anfrage.
Es tut uns leid Ihnen mitteilen zu müssen, daß Herr Alfred Balthoff nicht mehr unserem Ensemble angehört. Es sind auch gegenwärtig keine neuen Projekte mit ihm geplant.
Sollten Sie weitere Fragen haben, können Sie sich gerne an unser Pressebüro wenden.
Mit freundlichen Grüßen,
XYZ
Pressedienst des ..."
Einerseits habe ich mich gewundert, daß so vorgefertigte Standardschreiben wie bei Fernsehsenders nun auch schon in Betriebe Eingang gefunden haben, die Hochkultur betreiben. Andererseits ist es natürlich ganz fantastisch, wie genau meine Anfrage gelesen wurde (ich hatte nämlich mir bereits bekannte Rahmendaten eingefügt).
Und daß derzeit keine Projekte mit Balthoff geplant seien, na so was...wie denn das?
Nun sah ich wieder mal "Onkel George und seine Mörder". Ich hatte ganz vergessen, dass darin auch Alfred Balthoff zu hören ist. Und was sprach er? Einen leicht verzweifelten Richter...
Insgesamt fast auffällig, wie oft Balthoff in dieser Berufssparte anzutreffen ist...
Zitat von fortinbras im Beitrag #73Nun sah ich wieder mal "Onkel George und seine Mörder". Ich hatte ganz vergessen, dass darin auch Alfred Balthoff zu hören ist. Und was sprach er? Einen leicht verzweifelten Richter...
Insgesamt fast auffällig, wie oft Balthoff in dieser Berufssparte anzutreffen ist...
Wirklich eine auffällige Häufung: Neben diesem Beispiel wären "Meine Lieblingsfrau", "Anatomie eines Mordes", die Erstsynchro von "Vertigo", "Das letzte Wochenende" (auch wenn Barry Fitzgerald dort natürlich nicht in einem Gerichtssaal zu sehen ist) und "Wer den Wind sät" zu nennen. Kennt jemand noch weitere Fälle?
Ganz sicher kommt noch "Der Mann in der Schlangenhaut" dazu, ausserdem habe ich ihn in einigen Western in Erinnerung - vermutlich als "Friedensrichter".
Als Strafverteidiger und Staatsanwalt war er jedenfalls auch schon zu hören.