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Dieses Thema hat 106 Antworten
und wurde 9.442 mal aufgerufen
 Off-Topic
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fortinbras ( gelöscht )
Beiträge:

13.07.2015 01:07
#91 RE: Clint Eastwood-Retrospektive [DER UNERBITTLICHE] Zitat · antworten

Ach, du meine Güte...da habe ich in der Erinnerung ja die Filmkomponisten der Teile II und III im vorangegangenen Kommentar verwechselt. Habe die Filme doch schon länger nicht gesehen und muss gestehen: keiner der fünf Harrys ist in meiner Sammlung.

"Der Unerbittliche" ist ein perfekter Unterhaltungsfilm. Er basiert zwar im Grunde auf der bewährten Formel, aber variiert sie - einerseits durch den Humor, andererseits durch den eskapistischen Ansatz. Der Film bemüht sich meiner Meinung nach nicht um Realität oder das, was das Kino einem als solches zu verkaufen versucht.

Warum mir dieser Film am Besten gefällt aus der Reihe liegt an den zwei Hauptdarstellern. Nicht nur, dass das Drehbuch zeitlosen Humor zwischen den Geschlechtern bietet, Eastwood und Tyne Daly spielen perfekt zusammen und ergänzen sich. Ein weiteres Beispiel, wie schade es ist, dass Eastwood so wenige Komödien drehte (vor allem solche mit etwas "Screwball"-Charakter). Tyne Daly ist eine tolle Schauspielerin, aber mich freut ihre Besetzung auch deshalb, weil sie in keinster Weise einem damaligen (oder sonstigen) Schönheitsideal entsprach und ein echter Charakter ist.

Diese Paarung, der leichte Grundton des Filmes und die spannende, kompetent gemachte Geschichte des Filmes ergeben für mich einen perfekten Unterhaltungsfilm. Und ich glaube, dass "Der Unerbittliche" trotz Action und einiger Härten gar nichts anderes werden sollte.

Ein interessanter Aspekt ist natürlich, dass Eastwood durch die sich etwas verändernden Umstände der einzelnen Filme seine Darstellung nicht einfach wiederholen kann und in jedem Film die Figur ein wenig neu kreieren musste.

Die letzten beiden Teile, vor allem aber der fünfte, sind eigentlich nur mehr schablonenhaftes Actionkino und haben für mich keinen Reiz mehr.

John Connor



Beiträge: 4.883

13.07.2015 11:05
#92 RE: Clint Eastwood-Retrospektive [DER UNERBITTLICHE] Zitat · antworten

Es gibt ja so gut wie in jedem Eastwood-Film komische Szenen, er hat sogar einen kompletten Film ganz in der Tradition der Screwball-Komödien gemacht - zumindest ist BRONCO BILLY in der Figurenkonstellation, im Handlungsaufbau der Film, der diesem Typ am nächsten kommt. Der Film hat jedenfalls die witzigste Szene, die Eastwood je gemacht hat (die Standpauke). Der schelmische Humor von ZWEI GLORREICHE HALUNKEN gefällt mir aber ein bisschen besser - DAS hat er leider nicht mehr weiter kultiviert.

Beim ersten Sehen hat mich DER UNTERBITTLICHE zugegebenermaßen sehr enttäuscht, weil ich mich da noch auf die Fallgeschichte konzentriert hatte. Erst nach und nach habe ich die komischen Aspekte schätzen gelernt.

Ja, die beiden Nachzügler können mit den klassischen DIRTY HARRY-Filmen der Siebziger leider nicht mithalten. Dabei hätte der eine oder andere Cop-Film Eastwoods mit ein paar Modifikationen Stoff für wesentlich bessere DIRTY HARRY-Filme abgegeben - z.B. BLOOD WORK als Finale, das wär's gewesen...

John Connor



Beiträge: 4.883

30.07.2015 02:06
#93 RE: Clint Eastwood-Retrospektive [DIRTY HARRY KOMMT ZURÜCK] Zitat · antworten

DIRTY HARRY KOMMT ZURÜCK (SUDDEN IMPACT (USA 1983)]
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SUDDEN IMPACT ist der vierte Beitrag zur fünfteiligen Dirty Harry-Reihe und der einzige, bei dem Clint Eastwood selbst Regie geführt hat. Eastwoods zehnte Regiearbeit ist zwar nicht der schwächste Teil der Reihe (vor allem der finale Showdown ist ein Kabinettstück in Sachen Spannungsdramaturgie und Kameraästhetik), angesichts von dessen Könnerschaft ist das Ergebnis aber doch eine ziemliche Enttäuschung – bis zu diesem Zeitpunkt unterboten eigentlich nur noch von FIREFOX.

Dass Eastwood nach sieben Jahren Pause seine Paradefigur Harry Callahan reaktivierte, dürfte hauptsächlich damit zu tun gehabt haben, dass er nach zwei konsekutiven Fehlschlägen in der Publikumsgunst - BRONCO BILLY und HONKYTONK MAN – auf Nummer sicher gehen wollte.

DIRTY HARRY KOMMT ZURÜCK folgt dabei durchaus bewährten Mustern. Wie seine Vorgänger ist auch der vierte Dirty Harry-Streifen zweisträngig gebaut. Der eine Handlungsbogen folgt eher episodisch Callahans Treiben, der zweite Strang konzentriert sich auf den besonderen Kriminalfall, der einer klassischen Dramaturgie folgt. Während aber beim letzten Dirty Harry-Film DER UNERBITTLICHE die Fallgeschichte – auch bezüglich der screen time – eher belanglos und bloße Dreingabe war, ist dies hier genau umgekehrt.

Die Fallgeschichte kommt diesmal als eine rape-revenge-story daher. Es geht um eine von Eastwoods damaliger Lebensgefährtin Sondra Locke dargestellten jungen Frau, die zusammen mit ihrer Schwester 10 Jahre vor der Handlungszeit von einer Gruppe Ortsansässiger misshandelt und vergewaltigt wurde und sich nun – ausgelöst durch eine zufällige Begegnung (der US-Titel spielt darauf an) mit einem ihrer Vergewaltiger – dranmacht, die sechs Peiniger von damals (fünf Männer und eine Frau) nach immer dem gleichen modus operandi hinzurichten: einen Schuss in den Kopf, einen in die Genitalien (bzw. in die Brust). Diese Ritualmorde geben dem Film praktisch seine Struktur vor, die sich wiederum mit Callahans Zusammenstößen mit diversen Ganoven abwechseln, wobei letztere aber viel offensichtlicher nach dem Nummernrevueprinzip arrangiert sind, fehlen diesen doch dramaturgische Motivationen.

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Wenn man denn will, kann man diese parallelisierende Organisation der beiden plots auch als Hinweis auf das Doppelgängermotiv deuten, mit dem die Reihe (insbesondere in den ersten beiden Teilen) schon immer liebäugelte: nicht nur in ihren vom Gerechtigkeitsempfinden motivierten Selbstjustizaktionen wird Sondra Lockes Figur als ein weibliches Spiegelbild von Callahan inszeniert, auch auf der visuellen Ebene bemüht der Film zweimal die etwas abgedroschene Symbolik von zerbrochenen Spiegeln, in die beide Hauptcharaktere bedeutungschwanger hineinschauen.
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Da die Racheakte von Locke aber mehr oder weniger legitimiert werden und sie dramaturgisch als Sympathiefigur gezeichnet wird, geht dem Film eine klassische antagonistische Figur ab, zumal die Identität des Serienkillers recht bald enthüllt und somit die Möglichkeit einer whodunit-Erzählung von vornherein verworfen wird. Seine Spannung bezieht der Film vielmehr aus der Frage, wie Callahan reagieren wird, wenn er den Wissensstand der Zuschauer erreicht und in Locke den gesuchten Killer erkannt hat. Der Film intensiviert die Dramatik dieser suspense-Situation, indem er die beiden Hauptfiguren auch eine sexuelle Beziehung eingehen lässt.

So gesehen, ist DIRTY HARRY KOMMT ZURÜCK nicht unbedingt die sichere Nummer, als die der Film auf den ersten Blick erscheinen mag. Nicht nur geht ihm die überspitzt-comichafte Leichtfüßigkeit von DER UNERBITTLICHE völlig ab, er ist auch generell der düsterste Teil der Reihe, nicht nur auf der visuellen Ebene, die von Nachtaufnahmen und schwach ausgeleuchteten Szenen dominiert wird.


Die mal mehr, mal weniger überzeugend ausgebeutete soziopolitische Agenda der Vorgänger macht hier einem psychologischen Thriller Platz – der Hauptfall hat hier keine globale Dimension mehr, er ist privater, psychologischer; versinnbildlicht wird dies in dem komatösen Traumazustand, in dem Lockes Schwester seit der Vergewaltigung sich befindet sowie in den Flashbacks, die jeweils Lockes Exekutionen vorausgehen. Das ‚Private‘ kommt aber auch darin zum Ausdruck, dass Callahan in diesem Teil seinen bisherigen Aktionsradius, die Großstadt San Francisco, verlässt und in einem Vorort ermittelt, wo jeder jeden zu kennen scheint.

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Wohl um die dunkle Schlagseite des Films teilweise auszugleichen, hat Eastwood – vor allem im ersten Drittel – eine Reihe von bewährten Versatzstücken eingebaut, von denen vor allem die Variation eines running gags heraussticht: während seiner Mittagspause platzt Callahan wieder einmal in einen Überfall hinein, nur mit dem Unterschied, dass unser sonst so aufmerksamer Held diesmal erstaunlicherweise davon nichts mitbekommt, weil er in seine Zeitung vertieft ist. Da bleibt der Verkäuferin nichts anderes übrig, als Callahans Kaffee zu überzuckern, um ihm ein Zeichen zu geben. Als Harry den Imbiss verlässt, immer noch in die Lektüre vertieft, zücken die Ganoven ihre Waffen, die sie zuvor versteckt hielten und schreiten zur Tat. Callahan, der nach seinem ersten Schluck endlich den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden hat, schleicht durch die Hintertür in den Laden und fordert die Bande auf, die Kanonen hinzuwerfen, denn „wir werden euch sonst hier nicht raus spazieren lassen“. Auf die verblüffte Frage eines Gangsters, wen er denn mit "wir" meine, entgegnet Callahan trocken: „Smith & Wesson und ich, mein Junge!“ (dieser Satz hat bei Jugendschützern offenbar die Alarmglocken schrillen lassen, denn er gehört zu jenen 20 Schnitten, die bei den jüngsten TV-Ausstrahlungen vorgenommen wurden).
Nach dem darauffolgenden obligatorischen Schusswechsel mit der Bande folgt das Duell mit dem letzten verbliebenen Verbrecher, der auf eine Geisel zielt. Um diesen zu entmutigen, spricht Callahan jenen Satz aus, der wie kein zweiter mit der Figur des Dirty Harry assoziiert wird und 2005 sogar vom American Film Institute auf Platz 6 der 100 berühmtesten Filmzitate gewählt wurde: „Go ahead! Make my day!“ (in der Synchronfassung heißt es: „Na, los doch! Make My Day”).

Sieben Jahre nach seinem letzten Dirty Harry-Einsatz sieht Eastwood hier sichtlich gealtert aus. Das Haar schütter und grauer geworden, das Gesicht faltiger, wirkt sein Callahan vor allem in den komisch gemeinten Szenen eher wie ein granteliger alter Kauz denn wie ein desillusionierter Polizist. An Stringenz gewinnt der Film und damit auch Eastwoods Spiel, als sich Callahans und Lockes Wege kreuzen. Harrys Mimik wird nun skeptischer, verhaltener, die Grimassen werden nur noch dosiert eingesetzt (hier vor allem in den Szenen mit seinem Hund 'Fresssack').
sudden impact_screenshots_4.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)
Eastwoods Regiestil wirkt über weite Strecken uninspiriert, bestenfalls routiniert. Lediglich das vorzügliche Finale auf dem Rummelplatz (dem Ort der Vergewaltigung) lässt Eastwoods inszenatorische Meisterschaft erkennen – wo ihm das Drehbuch freie Hand lässt, kreiert Eastwood mit Einsatz von Licht- und Schatteneffekten sowie rhythmischen Bildkompositionen ohne Schnittexzesse eine Atmosphäre, die seinen Film wie ein frühes Beispiel eines Neo-Noir wirken lässt.

Für den Schauspieler Eastwood war SUDDEN IMPACT jedenfalls ein voller Erfolg – er katapultierte seinen Hauptdarsteller erneut an die Spitze der beliebtesten Stars.

Nächster Film: DAS TODESSPIEL

fortinbras ( gelöscht )
Beiträge:

31.07.2015 15:40
#94 RE: Clint Eastwood-Retrospektive [DIRTY HARRY KOMMT ZURÜCK] Zitat · antworten

Ich habe den vierten "Dirty Harry" seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Was mir in Erinnerung blieb: der film wirkt zwischendurch auf mich fast etwas schmuddelig inszeniert, so im Stile von B-Reissern, die einen Drang zum Exploitationgenre haben. einfallsreich war das nicht wirklich, andererseits ist es auch ein Ausdruck der damaligen Zeit. Viele artverwandte Filme so um 1980 herum wirken irgendwie ganz ähnlich. "Dirty Harry IV" wirkt jedenfalls angestaubter als seine Vorgänger, er hat kaum noch etwas an Zeitlosigkeit oder Klasse an sich und dürfte primär wohl nur wegen Eastwood interessant sein. Lalo Schifrins Musik fand ich auch enttäuschend, wenngleich sie noch besser war als die zum fünften Teil - anstelle seines konsequenten Stiles arbeitet der Komponist hier mit teils viel zu zeitgeistigen Mitteln und das wirkt nicht unbedingt optimal.

Sondra Locke ist eine der furchtbarsten und nervigsten Schauspielerinnen jener Zeit, alleine deshalb fällt es mir schwer, den Film auszuhalten. Ausserhalb der Zusammenarbeiten mit Eastwood hatte sie ja nicht wirkliche Starrollen und mich wundert nicht, woran das liegt. Sie wirkt irgendwie immer genauso schmuddelig, als entstamme sie dem Exploitationkino - egal in welchem Film sie auftritt.

John Connor



Beiträge: 4.883

31.07.2015 20:10
#95 RE: Clint Eastwood-Retrospektive [DIRTY HARRY KOMMT ZURÜCK] Zitat · antworten

"Schmuddelig" - ja, das ist eine sehr treffende Charakterisierung dieses Films, auch, was die Ästhetik vieler Filme der Achtziger betrifft.
Mich erinnert dieser Teil stark an die EIN MANN SIEHT ROT-Fortsetzungen, was die story und die Machart generell angeht. Diese Streifen sind eine Sache für sich, aber für Filme der A-Kategorie, wie es die Dirty Harry-Filme der Siebziger waren, ist diese Orientierung an solchen Werken doch ein gewisser Rückschritt. Wobei: mit etwas mehr Sorgfalt hätte man das Thema durchaus überzeugender entfalten können, denn es ist vor dem Hintergrund des Themenrepertoires der Reihe gar nicht mal so uninteressant.

Besonders das Stück zu den Eröffnungscredits finde ich furchtbar, es passt eher zu einer Steve Martin-Komödie als zu einem Dirty Harry-Film.

Ja, bei Sondra Locke scheiden sich die Geister. Aber der Hinweis einiger Rezensenten, in SUDDEN IMPACT würde Locke sehr an Tippi Hedrens Marnie erinnern, ist ganz interessant - wenn man diesen Vergleich etwas strapazieren will, kann man in den Nahaufnahmen Lockes, die zu den Rückblenden überleiten, gewisse Analogien zu Hedrens Gesichtsausdruck in der Vergewaltigungsszene in MARNIE ausmachen.

fortinbras ( gelöscht )
Beiträge:

31.07.2015 22:01
#96 RE: Clint Eastwood-Retrospektive [DIRTY HARRY KOMMT ZURÜCK] Zitat · antworten

An Sondra Locke scheiden sich die Geister? Welche? Beleidigend für Tippi Hedren und "Marnie", dass man sie mit Locke verglich...

Über Geschmack kann man ja bekanntlich (nicht) streiten. Für mich zählt sie mit so Leuten wie Hanna Schygulla oder Iris Berben in jene Kategorie, die im Schmuddelfilm gut aufgehoben sind, nur bescheidenes schauspielerisches Talent haben und dennoch in Charakterrollen besetzt werden. Da wird dann das daraus, was Peter Lorre abfällig über viele seines Berufes sagte: "Facemakers!". Wobei es mir fast leid tut, Miss Locke in einen Topf mit der Gruselhanna zu werfen.

Clint Eastwood darf man natürlich auch zugestehen, mal danebengegriffen zu haben - retrospektiv betrachtet. Vielleicht schienen die Mängel des Filmes bei seinem Kinoeinsatz als Stärken...

lupoprezzo


Beiträge: 2.840

31.07.2015 22:55
#97 RE: Clint Eastwood-Retrospektive [DIRTY HARRY KOMMT ZURÜCK] Zitat · antworten

Zitat von fortinbras im Beitrag #96
... was Peter Lorre abfällig über viele seines Berufes sagte: "Facemakers!".


Das wird immer gerne kolportiert, stimmt aber so nicht: Peter Lorre war niemand, der über Kollegen (selbst wenn sie untalentiert waren) abfällig sprach. "Facemakers" sagte er allerdings oft und gerne (auch als Selbstbeschreibung), aber es war halt nicht abfällig gemeint. Wenn ich's richtig erinnere stellte das in einem Interview mal Vincent Price richtig, der mit ihm befreundet war und 1964 sogar Lorres Grabrede hielt.

sorry für's Offtopic

John Connor



Beiträge: 4.883

04.08.2015 16:26
#98 RE: FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR (1964) Zitat · antworten

Nachtrag zu FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR im Allgemeinen, zum Leone-Style im Besonderen:

Zitat von John Connor im Beitrag #14
FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR
Dollar_Schuss.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)



Eastwood hat in mehreren Interviews immer wieder auf eine Besonderheit des Leone-Stils aufmerksam gemacht, die auch von zahllosen Filmwissenschaftlern für bare Münze genommen wurde. In seiner Eastwood-Biografie fasst Schickel diese vermeintlich unfreiwillige Innovation Leones so zusammen (S. 122):

"Der Kontrast zwischen diesem Film [das ist: FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR] und Cowboys [das ist: RAWHIDE, jene Serie, die aus Eastwood einen veritablen TV-Star machte], 'wo alles geordnet war', schien Clint offensichtlich. Ein Beispiel, das Clint gerne zitiert, ist die Art und Weise, wie Leone Schießereien inszenierte. Das Fernsehen hatte die Regel der alten Spielfilmproduktionen übernommen: Wenn eine Waffe abgefeuert wurde, durfte nicht gleichzeitig die menschliche Zielscheibe gezeigt werden. Man zeigte zuerst, wie der Schuß losging, und dann, wie das Opfer strauchelte und hinfiel. Das war natürlich eine völlig überflüssige Geste, die Leone beim Betrachten amerikanischer Western entweder übersehen hatte, oder er hatte nicht verstanden, daß es eine beinahe heilige Abmachung war. 'Ich habe ihn nicht darüber aufgeklärt', erzählt Clint. 'Es machte Spaß, die Regeln zu brechen.'"

Und was sehe ich, als ich mir die 16. Episode der dritten Staffel von RAWHIDE ('Incident on the Road Back') anschaue:

Rawhide_Schuss_2.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)

Was beweist uns das?
Erstens: Man darf Äußerungen von Künstlern niemals für bare Münze nehmen - erst recht nicht, wenn sie sich selbst ins rechte Licht rücken.
Zweitens: Man findet in der Kunstgeschichte für fast jede vermeintliche Innovation Vorläufer.
Drittens: Es ist trotzdem berechtigt, Leone große Innovationskraft zu bescheinigen - denn schließlich hat Leone bewusste Nachahmer gefunden, und nicht Templeton.

fortinbras ( gelöscht )
Beiträge:

05.08.2015 13:41
#99 RE: FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR (1964) Zitat · antworten

Kurz noch zu Peter Lorres "Facemakers" und Lupoprezzos Einwand gegen mein Zitat:

Ich weiss, wie Lorre das gemeint hat und wollte keineswegs falsch zitieren oder ihm etwas unterstellen. Er hat sich nie, bzw nur sehr dezent über Kollegen ausgelassen und auch niemals welche abfällig als "Facemakers" abgewertet. Ich verstand das stets so, dass er diese Bezeichnung für sich und seine Zunft deshalb wählte, weil man mitunter einfach ein "Facemaker" ist, weil die Rolle nichts hergibt oder man sich keiner anderen Hilfsmittel bedienen kann. Letzteres kann man natürlich auch individuell anwenden für darstellende Künstler, die eine Neigung haben, die "Facemakermethode" als Standard einzusetzen. Bei manchen ist das recht oft der Fall und nicht selten werden die sehr bejubelt.

kogenta



Beiträge: 2.069

05.08.2015 23:40
#100 RE: FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR (1964) Zitat · antworten

Zitat von John Connor im Beitrag #98
Und was sehe ich, als ich mir die 16. Episode der dritten Staffel von RAWHIDE ('Incident on the Road Back') anschaue:

Das ist keineswegs ein Einzelfall, sowas habe ich schon oft gesehen und die Aussage Clint Eastwoods nie ernst genommen. Es wirkt in EINER Einstellung halt wesentlich dichter und brutaler, und wenn man diese Wirkung möchte, macht man das auch. Dass es bei Serien eher seltener vorkommt als bei Spielfilmen hat vermutlich rein produktionstechnische Gründe: zwei Einstellungen zu drehen und diese zusammenzuschneiden ist natürlich einfacher und schneller zu realisieren, da muss man eine eher komplizierte Einstellung nicht x-mal wiederholen, bis es passt. Und da Serien unter großem Zeitdruck gedreht werden, wählt man zumeist die einfachste Art.

Das Gleiche gilt auch für Dialog-Szenen: Eindringlicher wirken diese immer, wenn die Gesprächspartner in EINER Einstellung agieren, die keineswegs statisch sein muss. Abwechselnd per Schnitt die Personen zu zeigen, die ihre Sätze aufsagen, lässt sich natürlich schneller drehen; man muss nicht immer die ganze Sequenz wiederholen, sondern nur einen kurzen Schnipsel. Das ist besonders für gute Schauspieler, die mit weniger talentierten Kollegen drehen, eine Erleichterung, da sie nicht 20 mal dieselbe Szene spielen müssen, bis der Kollege oder ein Laien- bzw. Kinderdarsteller es endlich überzeugend hingekriegt hat. (Die Analogie zum x-en beim Synchronisieren ist nicht zu übersehen!)

Ich bin ein ausdrücklicher Freund langer durchgehender Einstellungen mit sowenig Schnitten wie möglich (Ausnahmen a la Peckinpah oder Sergio-Leone-Duelle bestätigen die Regel). Das Flickwerk an Schnipseln und das wirre hin- und herschneiden, das einem etliche Filme unmotiviert zumuten, ist manchmal wirklich schwer zu ertragen.

Gruß, kogenta

John Connor



Beiträge: 4.883

06.08.2015 22:47
#101 RE: FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR (1964) Zitat · antworten

Zur Facemaker-Debatte (klingt ja wie die Fortsetzung zu PROJEKT PEACEMAKER): Sondra Locke, die diesen Thread aufmerksam verfolgt, hat über ihre Agentin verlauten lassen: „We didn't need dialogue. We had faces!“

Zitat von kogenta im Beitrag #100

Das ist keineswegs ein Einzelfall, sowas habe ich schon oft gesehen und die Aussage Clint Eastwoods nie ernst genommen.


Mit Sicherheit sogar. Ich fand nur die Ironie des Ganzen einfach zu verführerisch, um es zu ignorieren: Eastwood und Schickel wollen ihre Aussagen am Beispiel von RAWHIDE illustrieren, und ausgerechnet dieses Kontrastbeispiel entkräftet ihre Behauptung.

Zwanziger_1_2.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)


Als frühe Vorwegnahmen dieser fraglichen Stilistik ('Schütze – Schuss – getroffene Zielperson' in einem Bildausschnitt) wäre wohl zuallererst an die Gangsterfilme Warners zu denken.
Zumindest für zwei Varianten der Leone-Einstellung habe ich bei einer Stichprobe (Raoul Walshs DIE GOLDENEN ZWANZIGER von 1939) beim Schnelldurchlauf zwei Stellen gefunden.

Die erste Variante dürfte die häufigste sein: der Schütze schießt schräg zur Kamera hin, die Zielperson ist in der Rückenansicht zu sehen).

Die zweite Variante entspricht in der Anordnung der Bildkomponenten schon mehr dem RAWHIDE/Leone-Beispiel: die getroffene Zielperson ist schräg frontal, der Schütze in voller Größe zu sehen, die ganze Einstellung ist in der Totalen/Halbtotalen.

Und genau das scheint mir das Besondere bei Leone (und der RAWHIDE-Episode) zu sein. Das Neuartige besteht nämlich gar nicht so sehr im Verzicht auf die Montierung zweier konsekutiver Einstellungen (also zwei Bildinformationen in eine Einstellung zu packen), wie Eastwood/Schickel meinen, sondern in der Kombination zweier disparater Einstellungsgrößen: Totale/Halbtotale und Naheinstellung. Denn bei Leone (und Templeton) sieht man vom Schützen nur die Hand.

Und das wiederum fügt sich schon besser in die typische Leone-Stilistik ein (man denke nur an die Einstellung zu Beginn von ZWEI GLORREICHE HALUNKEN, wo das Bild von der Totalen in ein und derselben Einstellung zur Nahaufnahme switcht, wenn Al Mulock seinen Kopf in die Einstellung schiebt).


Zitat von kogenta im Beitrag #100
Das Gleiche gilt auch für Dialog-Szenen: Eindringlicher wirken diese immer, wenn die Gesprächspartner in EINER Einstellung agieren (...)

Ich bin ein ausdrücklicher Freund langer durchgehender Einstellungen mit sowenig Schnitten wie möglich


Ich würde daraus nicht per se ein Qualitätsurteil ableiten bzw. es kommt drauf an. Wenn die Option für die eine oder die andere Gestaltungsweise in der jeweiligen Situation Sinn macht und ich als Zuschauer mein Vergnügen eher auf die inhaltliche denn auf die formale Ebene konzentriere (und mich bei der betreffenden Stelle nicht frage: wieso hat man die Szene jetzt so montiert und nicht anders), dann spielen die Unterschiede in der Regel keine so große Rolle für mich.
Ich denke z.B., dass die 'Vorstellungsgespräch'-Szene in MARNIE (ist mir gestern wieder aufgefallen, als ich ihn wieder schaute), wo Hitchcock ständig zwischen den drei beteiligten Personen hin- und herschneidet, als durchgehende Einstellung nicht so wirkungsvoll gewesen wäre.
Andererseits: wie im Hong Kong-Actionfilm die Kampfszenen gefilmt sind: in einer Einstellung mit flüssigen Kamerabewegungen, gefällt mir wesentlich besser als die vergleichsweise dilettantischen Kamppfszenen in den BOURNE- oder den jüngeren Bond-Filmen, wo man die mangelnde Akrobatik und Körperkoordination der Akteure durch schnelle Schnitte, Wackelkamera-Ästhetik auszugleichen versucht und dabei auch viele Anschlussfehler in Kauf nimmt. Aber: die meisten Fans dieser Filme scheint das ja nicht zu stören.

kogenta



Beiträge: 2.069

10.08.2015 05:49
#102 RE: FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR (1964) Zitat · antworten

Dein Beispiel mit den Kampf-Szenen drückt gut aus, was ich meine: Durch sehr kurze Einstellungen und schnelle Schnitte soll das akrobatische Unvermögen der Darsteller kaschiert werden. Man sieht gar nicht mehr wirklich, was vor sich geht. Ganz wie bei einem Taschenspieler, der mit schnellen Handbewegungen und seinem Redeschwall ablenken will, damit man seine Tricks nicht durchschaut.

Und das wird halt oft auch bei Dialog-Szenen aus demselben Grund gemacht. Schauspielerisches Unvermögen fällt bei 2sekündigen Einstellungen halt kaum auf; da braucht man im Grunde gar keine Schauspieler, das kann jeder, man wiederholt beim Dreh den Schnipsel halt 20 mal, bis es passt. Eine durchgehende Einstellung mit mehreren Darstellern zu drehen stellt dagegen ganz andere Anforderungen an die Darsteller und den Kameramann. Da kann man mit Taschenspieler-Tricks nichts vortäuschen! Und das wirkt halt in aller Regel wesentlich eindriglicher; gewiß auch unbewusst, falls man das nicht so konkret wahrnimmt.

Aber natürlich - Du erwähnst Hitchcock, ich hatte zuvor schon Leone und Peckinpah genannt - sollen lange Einstellungen kein Dogma sein. Einige Regisseure und Cutter leisten beim schneiden virtuose Arbeit, keine Frage. Nur muss das den Film dann auch aufwerten und nicht den Eindruck einer Not-Operation machen; bei einem unmotivierten Flickenteppich - und die Filme der letzten 20 Jahre tendieren leider zunehmend in diese Richtung - drängt sich der Eindruck des Dilettantischen halt sehr schnell auf; bei mir jedenfalls.

Gruß, kogenta

John Connor



Beiträge: 4.883

06.10.2015 00:00
#103 RE: Clint Eastwood-Retrospektive [DAS TODESSPIEL] Zitat · antworten

DAS TODESSPIEL (THE DEAD POOL [USA 1983])
Dead Pool_Poster.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)
DAS TODESSPIEL ist der fünfte und letzte Beitrag zur DIRTY HARRY-Reihe – und zugleich auch der schwächste. Im Ton ist er dem entspannteren dritten Teil DER UNERBITTLICHE viel näher als seinem düsteren Vorgängerfilm; dazu passt, dass DAS TODESSPIEL unter Kennern zumeist als „der Teil mit dem Spielzeugauto“ bekannt ist.

Nachdem es fast so ausgesehen hatte, als hätte Eastwood mit DIRTY HARRY KOMMT ZURÜCK die Reihe zum fälligen Abschluss gebracht, kam es einer mittleren Überraschung gleich, als er die Cop-Ikone der Siebziger erneut reaktivierte. THE DEAD POOL war der erste Film, den Eastwood nach seiner Amtszeit als Bürgermeister von Carmel drehte. Es mochten bei Eastwoods 'Comeback' also erneut strategische Überlegungen den Ausschlag gegeben haben, dass er mit Hilfe seines alter ego auf Nummer sicher ging, zumal sein letzter Streifen BIRD – der erste bei dem er nur als Regisseur und nicht zugleich auch als Darsteller in Erscheinung trat –, als Festivalfilm kein Mainstreampublikum anpeilte.

Wie dem auch sei – an der Kinokasse war THE DEAD POOL recht erfolgreich, auch wenn er bei Weitem nicht mit den sensationellen Einspielergebnissen der vorangegangenen Teile der Reihe mithalten konnte; dementsprechend bescherte ihm erstmals ein DIRTY HARRY-Film keinen Platz in der jährlichen Top Ten-Liste der beliebtesten Stars.

Anders als seine Vorgänger konzentriert sich DAS TODESSPIEL auf einen einzigen plot – der Handlungsfaden um einen Mafiaboss, dem dank Callahans Zeugenaussage der Prozess gemacht wurde, ist quantitativ und qualitativ gesehen recht belanglos; bezeichnenderweise wird sowohl die Vorgeschichte als auch der Abschluss dieses plot-Elements ausgespart. Immerhin motiviert es aber die erste Action-Szene des Films und Callahans Erscheinen auf der 'Todesliste'. Der plot um diese Liste ist denn auch der Kern der Haupt-Handlung und folgt mehr oder weniger der bewährten whodunit-Formel.

Während der Dreharbeiten zu einem Horrorfilm wird ein prominenter Rockstar (gespielt vom damals noch unbekannten Jim Carrey)in seinem Wohnwagen ermordet. Der Verdacht fällt zunächst auf den Regisseur des Films (Liam Neeson).
Eine TV-Journalistin, die über den Fall berichtet, erfährt bald, dass auf dem Filmset ein makabres Spiel im Gange ist: die Teilnehmer des Spiels notieren auf einer Liste die Namen jener bekannten „Persönlichkeiten ..., die es nicht mehr lange machen, weil sie alt oder krank sind, ... oder einen riskanten Beruf ausüben“.
Auf dieser Liste nun steht auch der Name des ermordeten Rocksängers, sowie des Produzenten des Horrorfilms, den es als Nächstes erwischt, ebenso der einer Filmkritikerin (ein Insidergag auf Kosten von Eastwoods Intimfeindin Pauline Kael?), die in ihrer Wohnung ermordert wird. Callahan, der in diesem Fall ermittelt und infolge des Mafiaprozesses selbst eine lokale Berühmtheit geworden, wandert ebenfalls auf diese Liste. Der Versuch des Killers, Callahans Namen mittels eines ferngesteuerten Miniaturautos mit einer Bombe an Bord von der Liste zu 'streichen', misslingt, weswegen er sich aus Rache an die TV-Journalistin heranmacht, mit der Harry mitlerweile ein Verhältnis begoennen hat…

Der whodunit-Fall wird routiniert, aber wenig engagierend mit den Actionfilm-üblichen Pfadabweichungen durcherzählt, wobei die Enthüllung des Killers für den Krimi-Freund auf besonders ärgerliche Weise erfolgt – handelt es sich dabei doch um eine Figur, die einfach aus dem Nichts auftaucht.

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Gäbe es die Figur des Harry Callahan nicht, und damit auch die üblichen Standardattraktionen der Reihe: Harrys wie immer gespanntes Verhältnis zu seinen Vorgesetzten, die diesmal aber recht trottelig gezeichnet sind; Harrys Arrangierung mit einem neuen Partner, der diesmal mehr als komischer sidekick daherkommt; Harrys Zusammenstöße mit bösen Buben im 10-Minuten-Takt (inklusive des obligatorischen Überfall-Gags usw. –, könnte man den Film schwerlich von belanglosen TV- oder Direct-to-Video-Produktionen der Achtziger Jahre unterscheiden.

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Zwar leisten sich weder die Regie noch Eastwood irgendwelche unprofessionellen Ausrutscher, mehr als routiniertes Mittelmaß liefern sie allerdings auch nicht ab. Für den Abschluss einer legendären Reihe hätte man sich als Fan freilich einen denkwürdigeren Schwanengesang gewünscht.

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Nächster Film: SINOLA

fortinbras ( gelöscht )
Beiträge:

21.10.2015 12:27
#104 RE: Clint Eastwood-Retrospektive [DAS TODESSPIEL] Zitat · antworten

Eigentlich möchte ich zum letzten "Dirty Harry" nur eines vermerken: der Film hat ein für mich ansprechendes Filmplakat.

Gemalte Filmplakate sind ja leider ab Ende der 80er fast gänzlich aus der Mode gekommen und waren schon vorher seltener geworden, was ich schade finde, weil die besten Fotomontagen niemals die künstlerische Stufe eines wirklich gut designten Plakates erreichen.

Wie dem auch sei: "Das Todesspiel" hat ein cleveres Filmplakat. Es zeigt nur eine Pistole und Clint Eastwood. Das ist beeindruckend simpel und absolut effektiv, weil es nicht mehr braucht. Es spielt auch gekonnt mit den Eastwood-Identifikationsfilmen: Western und Cops. Man könnte einen Westerntitel drüberschreiben und das Plakat könnte man so belassen. Das ist schlichtweg essentieller Eastwood auf dem Plakat.

Und dann bin ich gespannt auf John Connors Essay zu "Sinola", weil den habe ich erst vor wenigen Wochen gesehen.

John Connor



Beiträge: 4.883

25.10.2015 21:01
#105 RE: Clint Eastwood-Retrospektive [SINOLA] Zitat · antworten

SINOLA (JOE KIDD [USA 1972])
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SINOLA, unmittelbar nach DIRTY HARRY entstanden, dürfte der unscheinbarste Eastwood-Western überhaupt sein (und ist bis heute der letzte geblieben, der nicht zugleich unter Eastwoods Regie entstanden ist). Dabei konnten die Voraussetzungen für JOE KIDD nicht vielversprechender sein: das Drehbuch stammte von Elmore Leonard, dessen Western-Kurzgeschichten und –Romane seit Ende der Fünfziger erfolgreich für den Film adaptiert wurden (besonders gelungen: HOMBRE), auf dem Regiestuhl saß der Western-Fachmann John Sturges (THE MAGNIFICENT SEVEN). Allerdings: als Drehbuchautor war Leonard noch relativ unerfahren und bis dato alles andere als erfolgreich; Sturges‘ Stern war schon lange am Sinken, sein letzter Kassenschlager lag mit THE GREAT ESCAPE schon eine Dekade zurück.

So unbefriedigend sich SINOLA im Western-Oeuvre Eastwoods auch ausnehmen mag, erfolglos an den Kinokassen war der Film nicht. Mit DIRTY HARRY im Tandem bescherte er Eastwood gar seine erste Top-Position in der Quigley-Liste.

Eastwood spielt die Titelfigur JOE KIDD, einen Pferdezüchter in bescheidenen Verhältnissen mit Hang zu gelegentlichem Rowdytum. Als er dem Haftrichter vorgeführt wird, stürmen mexikanische Bauern unter der Führung John Saxons den Saal und kündigen an, ihrer Entrechtung durch Großgrundbesitzer und Eisenbahner nicht länger tatenlos zusehen zu wollen. Der Posse, die sich später an die Verfolgung der Mexikaner macht, möchte sich der als Bergführer erfahrene Eastwood jedoch nicht anschließen, weil er keine Probleme mit den Aufständischen habe. Aus demselben Grund lehnt er auch das hochdotierte Angebot des Großgrundbesitzers Robert Duvall ab, der mit seiner mit modernsten Waffen ausgestatteten Killer-Truppe Jagd auf Saxon machen will. Erst als er erfährt, dass Saxon seine Pferde gestohlen hat, willigt Eastwood ein, sich Duvalls Trupp anzuschließen, bereut dies aber, als er Zeuge von Duvalls brutalen Methoden wird…

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SINOLAS größtes Problem liegt darin, dass die Figurenkonstellation unausgegoren wirkt, weil der Film zunächst unentschieden bleibt bezüglich der Frage, ob er John Saxons charismatischen mexikanischen Revoluzzer oder Robert Duvalls skrupellosen Landbaron zu Eastwoods Gegenspieler aufbauen soll. Dass die Entscheidung letztlich zugunsten Duvalls ausfällt, hat dann zur Folge, dass Eastwood bis zum Finale in eine passive Rolle gedrängt wird, Saxons ambivalente Figur bis dahin komplett untertaucht und die Psychologie der Charaktere auf der Strecke bleibt.

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Das alles muss im Grunde freilich kein Manko sein, sind doch eine Menge guter B-Western mit dünneren Prämissen und flacheren Charakteren großartig über die Runden gekommen. Doch SINOLA möchte offenbar mehr sein, mindestens ein erwachsener GEnrefilm, der die ausgetretenen Pfade des US-Western mit Anleihen beim Italo-Western beackert, was ihm nicht besonders gut gelingt – immerhin aber steuert Lalo Schifrin einen sehr eingängigen Italo-Western-affinen Soundtrack bei.

Auch das Motiv der Jagd, wie es hier ausgestaltet wird und das zweite Drittel dominiert, sorgt dafür, dass der Film in der Mitte ziemlich ‚hängt‘ und zu einer reichlich trägen Angelegenheit wird. Allerdings macht der Kameramann Bruce Surtees aus dieser Not eine Tugend und stattet den Film mit wunderschönen herbstlich getönten Landschaftsaufnahmen aus, die er in ruhigen, langen Kamerafahrten einfängt.

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In der ersten halben Stunde, als Eastwood noch belustigt und unbeteiligt das Treiben im Grenzstädtchen Sinola beobachtet, macht er trotz seines ungewöhnlichen Outfits (jedenfalls für RAWHIDE-Nichtkenner) eine sehr sympathische und coole Figur. Und der Film tut gut daran, in diesen Abschnitt so viele Clintismen wie möglich einzubauen, obwohl diese weder für den plot noch für die Charakterisierung der Figur besonders relevant sind: als er seinem sadistischen Zellengenossen mit dem Bohnentopf eine Lektion erteilt, dessen späteren Angriff im Saloon wirkungsvoll abwehrt, mit der Geliebten Duvalls flirtet, mit dessen hitzköpfigem Handlanger Don STroud die Kräfte misst... Sobald er aber sich den Stoppelbart abrasiert und in sein Westerner-Outfit mit dem viel zu großen Hut schlüpft, wird er zunehmend blasser und blasser. Erst im Finale blitzt die Lakonie des Eastwoodschen Helden wieder auf, wenn dieser mit einer Lok in den Saloon rast und Duvall symbolträchtig hinrichtet – diese beiden Aktionen wirken aber merkwürdig aufgesetzt, so als ob man den Film auf Teufel komm raus irgendwie spektakulär abschließen wollte.

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