Zitat von marginalDie Brandt-Fassung, wo es mir wirklich aufgefallen ist, war "Die Filzlaus", wo Marquis auf Lino Ventura ständig rumkaspern mußte. Die Performance des Schauspielers war anfangs kühl und zurückgenommen, bis Jacques Brels tragikomischer Trottel ihn mehr und mehr in den Wahnsinn treibt, eine charakterliche Entwicklung also. Hier hat Brandt tatsächlich versagt, da er Marquis von Anfang an im Bierkutscherstil jeden Hotelpagen anmotzen läßt, so dass jede schauspielerische Nuance darüber verloren ging.
Umso schmerzlicher der Verlust der DEFA-Fassung, in der Walter Niklaus in den erwähnten frühen Szenen Ventura das entsprechende drohend ruhige Timbre gab ("Ich möchte in Ruhe meinen Kaffee trinken!")
Beim Sehen des Films fand ich Marquis von Ton und Lautstärke her gar nicht so schlimm wie befürchtet. Vom Tonfall her traf er das "drohend ruhige Timbre" eigentlich recht gut. Nervig waren allerdings die ständigen Flapsigkeiten, die das Dialogbuch ausgerechnet dieser Figur (viel stärker als allen übrigen im Film) in den Mund legte. Die schnoddrigen Sprüche passten absolut nicht zum (anfangs) beherrschten, kühlen und überlegten Auftreten des Berufskillers und dessen eher humorloser Art. Insofern würde ich hier auch von einer Charakterveränderung sprechen. Walter Niklaus kann ich mir in dieser Rolle hervorragend vorstellen, da gerade er ja oft sehr wie jemand klang, der genau überlegt hat, was er sagt und tut.
fortinbras
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12.08.2014 14:24
#92 RE: Charakterveränderungen in der Synchronisation
Die Titelfigur hat in diesem Fall etwas von Lord Byron oder einem Dandy, wie ihn Oscar Wilde gerne in Szene setzte. Frankenstein darf pointierte Konversation machen, ist sehr sarkastisch und zwar freundlicher, aber doch deutlich ambivalenter gezeichnet als im ersten Film.
Hans Nielsen war im Vorgängerfilm ideal für den arrogant-überheblichen Dandy. Schade beinahe, daß er nicht auch die Fortsetzung sprach.
In "Frankensteins Rache" ist der Baron etwas geläutert, aber doch noch ganz vom Ehrgeiz gepackt. Cushing spielt die Rolle ganz famos und fein nuanciert. Er ist sarkastisch, ironisch, überlegen und konsequent. Aber: er hat Momente, an denen die Angst deutlich zu merken ist, daß er wieder versagen könnte. Oder er ist verbittert über das, was in der Vergangenheit geschah. Diese Momente schafft Schürenberg leider nicht so umzusetzen, wie Cushing es tat. Aus dem bebenden, fast kindlich trotzig und doch zwanghaft kühl vorgetragenen Satz "This time it must be perfect!", was sofort klar macht, daß er Angst vorm Scheitern hat, sich das Ziel aber so hochlegt, wird bei Schürenberg mit dem nicht ganz glücklich übersetzten "Diesmal wird es mein Meisterwerk!" alles zu einer bereits fixen Sache. Frankenstein ist in den ambivalentesten, persönlichsten Momenten in der deutschen Fassung ohne wirkliche Selbstzweifel - Schürenberg spricht ihn konstant gleich. Dennoch eine wundervolle Arbeit, die der Rolle weitgehendst durchaus gerecht wird. Nur einmal merkt man, daß da etwas nicht so ganz stimmig ist: Cushings Mimik und sein kühler, fast leerer Blick beim Sprechen von seinem Scheitern, will nicht so ganz zu Schürenbergs ironisch-überlegenem Ton passen.
Auch Eunice Gayson trifft es, aber deutlich positiver. Die Rolle ist an sich sehr undankbar, da die Geschichte ohne eine Frauenfigur ausgekommen wäre. Aber ein Hammer Film ohne etwas "Hammer Glamour" geht ja nun mal nicht. Eunice Gayson hat eine Stimme und Spielart, die etwas naiv mädchenhaft klingt, fast karikaturhaft. Die Stimme will nicht so zur elegant-klassischen Erscheinung passen (darum ließ man sie wohl auch in "Dr. No" synchronisieren). Deutsch macht die junge Renate Küster aus dem sehr naiven, teils fast dümmlichen Fräulein Konrad ein liebenswerteres Wesen, das nur schlichtweg etwas weltfremd agiert. Das bekommt der Rolle und der Atmosphäre sehr gut.
Zitat von Gast im Beitrag #92da die Geschichte ohne eine Frauenfigur ausgekommen wäre
Dann hätte man allerdings ohne die Untersuchung mit dem Höhrrohr auskommen und damit auf eine humoristische Szene (solche hatte Cushing ja nicht allzu oft) verzichten müssen.
fortinbras
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12.08.2014 16:12
#94 RE: Charakterveränderungen in der Synchronisation
Auf die schöne Sequenz in der Ordination, in der Cushing (und Schürenberg!) ganz exzellente Salon-Komödie spielt, würde ich auch nicht verzichten wollen!
Meine Kritik betraf die künstlich als Katalysator für einige Dinge in die Geschichte eingebrachte weibliche Hauptfigur. Im originalen Drehbuch hat sie mehr Szenen und manches ist logischer, aber man hätte das problemlos ohne Fräulein Konrad lösen können...
Sehr schöner Beitrag, eine vergleichende Schauspielanalyse im besten Sinne.
Dabei fällt mir ein: Wie wäre es eigentlich, wenn man eine neue Extra-Rubrik „Vergleich Vorlage-Synchro“ (meinetwegen auch 'Original' und Synchro) einrichten würde? Man könnte dann alle Threads aus dem „Allgemein“-Bereich dorthin verschieben, die sich wie dieser hier ausdrücklich mit Vergleichen beschäftigen - auf der Ebene der schauspielerischen Interpretation wie auf der Ebene der sprachlichen Übertragung (ich denke hier besonders an die vielen kenntnisreichen und informativen Beiträge von berti und Stefan).
Dann hätten wir all diese interessanten Threads in gebündelter Form beisammen, was dann eventuell zu neueren, spezielleren Threads animieren könnte. Als Synchronforum sollten wir uns diese Extravaganz schon leisten können.
Wir haben schon einen Bereich, der für den Vergleich von Vorlagen und Synchros ausgelegt ist. Er nennt sich "Synchron-Forum".
Aber wir könnten ja einen internen Bereich nur für angemeldete Mitglieder einrichten, in der wir mit Blick auf dein neues Profilbild über unsere Lieblings-Muschis reden können oder du deine schon lange angekündigte ultimative Todesengelliste bekanntgeben. (Warst du nicht damals sogar dieser Gegenspieler von Tru Davies?)
Hmm, nach deinem posting möchte ich dieses Auswahlkriterium erst recht unterstreichen:
Zitat von John Connor im Beitrag #95...Threads aus dem Allgemein-Bereich dorthin verschieben, die sich wie dieser hier ausdrücklich mit Vergleichen beschäftigen...
Vor allem diese hochanalytischen Threads hätten dort eine schöne Heimat: - Die kuriosesten Synchronbesetzungen - Ungewöhnliche und bemerkenswerte Synchronbesetzungen - Sprecher-Wohnort(wechsel) etc. (Nicht umsonst hat ja der Initiator dieser Threads diese mit dezent-unaufdringlichen Glühbirnchen versehen).
Dann wenigstens mal ein Übersichts-Thread mit Verlinkungen, damit wir während bertis Urlaubszeiten nicht völlig orientierungslos sind...
Ganz ehrlich: Ich fände das für einen eigenen Bereich nicht sonderlich ergiebig. Es kämen nur eine Handvoll Threads zusammen und spezifische Diskussionen lassen sich dort eh nicht finden: Die sind entweder Teil eines Film-, eines Serien- oder eines Schauspielerthreads.
Was Wohnwortwechsel großartig mit einem Vergleich zwischen Original und deutscher Fassung zu tun haben, sehe ich auch nicht ein.
fortinbras
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03.09.2014 13:18
#99 RE: Charakterveränderungen in der Synchronisation
Die Rolle des Morgan mal kurz beschrieben: junger walisischer Bergarbeiter, etwas ungehobelt und in Gegenwart seiner Freunde etwas provinzielles Imponiergehabe. In ihm schlummert aber mehr, so wird er von einer Lehrerin gefördert. So verbessert sich neben seinem Bildungsstandard auch seine Aussprache und sein Benehmen ein wenig, allerdings ist es eine Gratwanderung für ihn, denn dadurch wird er auch zum Aussenseiter in seiner bisherigen Welt.
Nun ist ja John Dall für diese Rille eine etwas seltsame Besetzung, weil sein leicht affektiertes "Upperclass"-Gehabe einen Widerspruch zur Rolle darstellt. Allerdings verflüchtigt sich der Eindruck rasch, weil er die Rolle sprachlich schön gestaltet. Mit breitem walisischen Akzent, rollendem "R" und wenig gepflegter Aussprache, die sich nach und nach bessert (nur das walisische "R" bleibt), gelingt ihm eine durchaus glaubwürdige Darstellung. Wobei ihm zugute gehalten werden muß, daß der Film sehr bühnenhaft inszeniert wurde.
Daß man das mit dem Akzent nicht so gut rüberbringen kann, ist klar. Da kann man Joachim Pukaß keinen Vorwurf machen. Seine Darstellung aber, für die auch Curt Ackermann als Synchronregisseur mitverantwortlich ist, verändert Morgan vollkommen. Durch Pukaß ist er von Anfang bis zum Ende ein etwas arroganter Schnösel. Diese lagen ihm ja perfekt, aber in dieser Rolle paßt es nicht und er entwickelt sich in keinster Weise mit der Figur mit. Schade, weil diese Interpretation die deutsche Fassung schwächt.
fortinbras
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09.01.2015 11:08
#100 RE: Charakterveränderungen in der Synchronisation
daß J. Edgar Hoover darin mitwirkt und am Inhalt und der Präsentation dieses Filmes beteiligt war, sagt eigentlich eh alles aus darüber. Ein Film, der perfekt Anti-Amerikanismus fördert, wenn man es darauf anlegt. Zum Kotzen, wie edelmütig und gerecht die USA darin präsentiert wird und vor allem der Polizeiapparat. Dieser ist stets auf der Seite der Unterdrückten, übt objektiv Gerechtigkeit aus, stellt sich an die Seite von ausgebeuteten Mexikanern und hilft Indianer, die noch immer ausgegrenzt werden, zu ihrem Recht. Solche Märchen gibt's sonst nicht mal bei John Wayne.
Die belanglosen Episoden werden nur von James Stewart zusammengehalten, der so ziemlich das einzige ist, das von Interesse ist.
Als gealteter FBI-Agent, der Vorträge hält, wirkt er recht konsequent und gefestigt. In den Rückblenden aber, bei den ganzen Einsätzen ist Stewart ganz er selbst, was aber ihn und auch seine Figur liebenswert macht. Er hat dieses mitunter Schleppende, Zögerliche, etc, das macht die übermäßig edle Figur wieder menschlich und greifbar. Die Unbeholfenheit, wie der listige Agent zuhause in der Familie agiert, das ist typisch Stewart. Das konnte Siegmar Schneider so prächtig rüberbringen.
Nun wird Stewart hier aber von Friedrich Schoenfelder synchronisiert. Berliner Gäste waren bei der Münchener Riva keine Seltenheit, es war auch nicht Schoenfelders einziger Einsatz dort. Warum die Wahl aber gerade auf ihn fiel, ist etwas rätselhaft.
Vorweg gesagt: Stewart mit Schoenfelders Stimme ist durchaus in Ordnung, da gab es viel Schlimmeres. Schoenfelder ist sozusagen im Erzählerpart auch viel präsenter und läßt den Film fast bedeutsamer oder härter erscheinen. Leider wird das durchgezogen und Schoenfelder spricht Stewart durchgehend konsequent, überlegen, sehr distinguiert und absolut "unamerikanisch". Das erzeugt mitunter sogar Widersprüche zum Bild, denn Stewart getarnt als Arbeiter mit seiner zögerlichen Sprechweise wirkt glaubwürdig, während Schoenfelders akustisches Auftreten das eines Lords ist, was den anderen Beteiligten seltsam erscheinen sollte.
In den Szenen zuhause im Kreis der Familie (davon wurden in der deutschen Fassung glücklicherweise fast 20 Minuten geschnitten) wirkt Schoenfelder wie ein edler Patriarch. Dabei ist das ganz und gar nicht so, denn Stewart zuhause ist einfach etwas unbeholfen zwischen Pantoffelheld und Vorbild. Das geht in der deutschen Fassung nicht nur verloren, sondern wirkt unglaubwürdiger durch Schoenfelders Präsenz.
Da Schoenfelder auch anders konnte und erst kurz zuvor etwa so zurückhaltend, subtil und menschlich David Niven in "Getrennt von Tisch und Bett" sprach, nehme ich schon stark an, daß hier von Seiten der Synchronregie das bewußt so in Fahrt gebracht wurde.
Zitat von Silenzio im Beitrag #88Spencer Tracy's Rolle in "Blinde Wut" (Fritz Lang) wird man in beiden Synchros nicht gerecht. Während er mit Elmar Wepper viel zu positiv und weich wirkt, klingt er mit Karl Sturm unnachgiebiger und fast schon unsympathisch. Brauchbare Alternativbesetzungen wüsst ich allerdings auch nicht. Bei der DEFA allenfalls noch so "spezielle" Stimmen wie Hans Oldenbürger, Hasso Billerbeck.
Sehr verspätet hat mich ein Foto Tracys aus den 30ern darauf gebracht, dass Helmut Schellhardt sehr gut hätte funktionieren können - eine gewisse physiognomische Ähnlichkeit gab es nämlich ... und Schellhardt hätte die Härte ebenso mitgebracht wie die Heldenaura.
Ich hatte es schon länger vor, den vergessenen Faden aus der Versenkung zu holen, denn mein folgendes Beispiel passt wohl am Besten hier hinein:
In der zweiten Synchro von "Cocktail für eine Leiche" wird Douglas Dick (als "Kenneth Lawrence" von Hubertus Bengsch synchronisiert. Mit ihm wirkt er (besonders zu Beginn seines Auftritts) durch seine typische Sprechweise leider wie ein selbstverliebter, versnobter Schnösel; in der ersten Synchro, mit Michael Chevalier hingegen kommt er als ein zurückhaltend-höflicher junger Mann rüber (genau so, wie auch im Original). Ich persönlich hätte für die Rolle hingegen spontan Thomas Danneberg bevorzugt.
Mir fallen da zwei Sitcoms ein, wo ein Charakter durch die Synchronisation eine Charakterveränderung hat:
1. "Alf": Tommi Piper verleiht Alf mit seiner kratzigen Stimme etwas rotzfreches, vorlautes, während die Originalstimme mehr etwas cooles, entertainmentmäßiges hat. Ich muss bei der englischen Stimme irgendwie immer an einen Showmoderator oder Radiosprecher denken. Jedenfalls klingt er nicht so frech wie Tommi Piper.
2. "Full House": Bob Saget hat durch Uwe Büschken in der Serie etwas naives, fast schon trotteliges. Im Original hat er mehr etwas selbstironisches.
Beim Stichwort Alf fällt mir Barney Geröllheimer ein, der (für mein Empfinden) im Original eine ganz ähnliche Stimme hat wie Alf/Paul Fusco. Mel Blanc orientierte sich hier an einem der "Honeymooners" - die waren und sind in Deutschland unbekannt. Insofern nachvollziehbar, dass Gerd Duwners sich merklich vom O-Ton entfernte - nach den ersten 6 Folgen viel deutlicher als anfangs. Im Original wirkt Barney reichlich dümmlich, während er in der deutschen Fassung (auch durch sein Gekicher) weitaus kindlicher klingt und damit auch sympathischer. Gefühlt klingt auch Fred deutlich wärmer und sympathischer, mit allen drei "klassischen" Stimmen. Nordhausen, so oft er Fred auch sprach, zählt für mich irgendwie nicht als ernst zu nehmende Fred-Stimme ... also auch eine deutliche Charakterveränderung (so dass vom Charakter fast nichts mehr übrig bleibt).
Zitat von berti im Beitrag #1Eddie Murphys Image hierzulande wurde unbestreitbar entscheidend durch Randolf Kronbergs Synchro beeinflußt, die erheblich vom O-Ton abweicht.
Ich würde trotzdem nicht sagen, dass bei Kronbergs Synchronisation eine Charakterveränderung stattgefunden hat.
Letztens habe ich einige Szenen mit Eddie Murphy im O-Ton erleben können und obwohl Kronberg (schon alleine wegen des enormen Altersunterschieds) rein stimmlich sehr weit vom Original entfernt war, kommt Murphy im Original mMn genauso rotzfrech rüber, wie er es mit Kronberg tut! Nur halt auf eine andere Art und Weise. Kronberg und Murphy haben zumindest in älteren Filmen eine ähnliche Art zu spielen gehabt.
Die eigentliche "Charakterveränderung" fand aus meiner Sicht erst mit Dennis Schmidt-Foß statt.
Sprich: Nur weil eine Stimme sehr weit weg vom Original ist, heißt das nicht automatisch, dass der Charakter verändert wird.