Zitat von Stefan der DEFA-FanBesonders gelungen sind für mich persönlich sogar ausgesprochen viele: "Mr. & Mrs. Smith", "Im Schatten des Zweifels", "Das Fenster zum Hof", "Der Mann, der zuviel wusste", "Psycho", "Familiengrab". Die "nur" gelungenen (z.B. "Frenzy", "Die Vögel", "Über den Dächern von Nizza", "Geheimagent" etc.) gar nicht mitgerechnet.
Liegen die Qualitäten für dich im Gesamteindruck (Besetzung, Regie, Dialoge, Mischung), oder gibt es bei beiden spezielle Punkte, die besonders herausstechen?
Die Qualität von Dialogen und Sprechern ist für mich bei beiden Filmen auf dem gleichen Niveau, aber die Mischung von "Fenster zum Hof" kann ich einfach nur als perfekt bezeichnen, wie man es selten findet - die verwaschenen Sprachklänge von der anderen Seite des Hofes, nicht einfach nur leiser, sondern tatsächlich dumpf und hallig und oft eher vage Geräuschkulisse, sind ausgesprochen realistisch - dagegen klingt "Harry" eben reichlich steril (wofür weder Petruo & Pollack noch die Schauspieler etwas können).
Bei diesem Beispiel bin ich persönlich der Meinung, dass hier eine Synchro entstand, bei der mir komischerweise vor Erscheinen von Bräutigams Lexikon nie der Gedanke gekommen wäre, dass sie erst 30 Jahre nach dem Film entstanden sein könnte. Erstaunlich, da einige Besetzungen (Horst Schön) und derbere Dialogstellen das ja nahelegen!
Kann ich auch bestätigen (dass mir erst sehr spät aufgefallen war, dass es eine neuere Synchro sein muss) - und ich habe mich auch schon gefragt, woran genau das liegt. Für mich kann es nur die Mischung sein in Kombination mit analoger Aufnahmetechnik. Das würde ich zumindest einmal vermuten. Natürlich gehen auch hier die Meinungen auseinander (Siegmar Schneiders Stimme war einigen schon zu alt - was ich z.B. überhaupt nicht so empfinde). Von den ganzen Hitchcock-Neusynchros ist diese (für mich) jedenfalls die stimmigste. Vertigo war auch nicht schlecht - hier finde ich die Urfassung aber persönlich besser. Von "Harry" kenne ich nur die Neufassung und finde sie gut - aber auch auf mich wirkt sie etwas zu steril.
Welche "derberen" Dialogstellen meinst du denn bei "Das Fenster zum Hof"? Die Neufassung und die Urfassung tun sich da im Gesamtbild nicht viel, was die Wortwahl angeht. Man denke nur an das Telefongespräch zwischen Jeff und Gunnison ganz am Anfang z.B.
Oder meinst du speziell Stellas Dialoge (Stichwort "Pettingparty")? Da ist die Urfassung in der Tat etwas zahmer (auch ein Beispiel "Wenn General Motors bis zu zehn Mal am Tag pinkeln geht, dann muss bald ein ganzes Land Wasser lassen" etc.).
Zitat Bei diesem Beispiel bin ich persönlich der Meinung, dass hier eine Synchro entstand, bei der mir komischerweise vor Erscheinen von Bräutigams Lexikon nie der Gedanke gekommen wäre, dass sie erst 30 Jahre nach dem Film entstanden sein könnte. Erstaunlich, da einige Besetzungen (Horst Schön) und derbere Dialogstellen das ja nahelegen!
Ich wusste auch nicht, dass die bekannte Synchro erst 30 Jahre nach dem Film entstanden ist, da sich bei ihr die Dialoge gut in die Hintergrundgeräusche einfügen und das Gesamtwerk etwas zeitloses hat. Ich bin mal irgendwann darauf hingewiesen worden, dass diese Fassung erst 1984 erstellt wurde. Die Soundkulisse ist übrigens etwas dumpfer als in der OF. Auch dass Siegmar Schneider nochmal für diesen Film als Stimme von James Stewart besetzt wurde, stört nicht, wenn er auch etwas älter klingt. Das zerstört die Wirkung aber keineswegs.
Zitat von smeagolWelche "derberen" Dialogstellen meinst du denn bei "Das Fenster zum Hof"? Die Neufassung und die Urfassung tun sich da im Gesamtbild nicht viel, was die Wortwahl angeht. Man denke nur an das Telefongespräch zwischen Jeff und Gunnison ganz am Anfang z.B. Oder meinst du speziell Stellas Dialoge (Stichwort "Pettingparty")? Da ist die Urfassung in der Tat etwas zahmer (auch ein Beispiel "Wenn General Motors bis zu zehn Mal am Tag pinkeln geht, dann muss bald ein ganzes Land Wasser lassen" etc.).
Einmal meinte ich die genannten Sätze von Stella, daneben auch, dass Jeff am Telefon zu Gunnison sagt "Ich reiße mir Ihretwegen fast den A**** auf, und Sie stehlen mir die Aufträge". Weißt du denn, was er in der Kinosynchro an dieser Stelle sagt? Komisch fand ich auch, dass Stella beim Messen der Körpertemperatur meint, Jeff müsse "hormonelle Unterfunktion" haben, da die "Badeschönheiten", die er beobachte, seine Temperatur nicht ansteigen ließen. Ist die Aussage in der alten Fassung (nach damaligen Maßstäben) ähnlich frivol?
Im Vergleich klingen die angesprochenen Szenen so:
I. Am Telefon mit Gunnison
Kinosynchro 1955 Jeff: "Ich lasse mich für dich umbringen und zur Belohnung gibst du die besten Aufträge an Morgan und Lambert"
WA-Synchro (1984) Jeff: "Morgan oder Lambert? Na großartig. Ich bringe mich fast um für Sie, reiße mir den Arsch auf und zum Lohn stehlen Sie mir die Aufträge"
O-Ton Jeff: "Swell. I get myself half-killed for you - and you reward me by stealing my assignments."
II. Dialog mit Stella
Kinosynchro 1955 Stella: "Sie haben zu wenig Hormone" Jeff: "Können Sie das vom Thermometer ablesen?" Stella: "Diese Bikini-Püppchen, die sie dauernd beobachten, haben ihre Temparatur nicht gesteigert - nicht um 1 Grad".
WA-Synchro 1984 Stella: "Sie haben hormonelle Unterfunktion" Jeff: "Wie können Sie das vom Thermometer ablesen?" Stella: "Die Badeschönheit dort, die Sie immer beobachten, hat ihre Temperatur in einem Monat nicht um ein Grad erhöht"
O-Ton Stella: "You've got a hormone deficiency" Jeff: "How can you tell that from a thermometer!" Stella: "Those sultry sun-worshippers you watch haven't raised your temperature one degree in four weeks"
III. Stella über moderne Beziehungen
Kinosynchro 1955 Stella: "Alles Unsinn. Früher war es so, dass man jemanden sah, sich verliebte und man heiratete. Heute wälzt man dicke Bücher, wirft mit Fremdworten um sich und versucht, sich gegenseitig zu ergründen. Bis man nicht mehr weiß, ob es ein verliebtes Abenteur oder ein psychologisches Experiment ist."
WA-Synchro 1984 Stella: "Bödes Zeug. Früher war es so: Man sieht jemanden, fliegt aufeinander - man heiratet. Heutzutage liest man viele Bücher, wirft mit 'ner Menge Fremdwörter um sich, psychoanalysiert sich gegenseitig - bis man nicht mehr unterscheiden kann zwischen einer Pettingparty und einem Zivildienstexamen"
O-Ton Stella: "Baloney! Once it was see somebody, get excited, get married. Now, it's read books, fence with four syllable words, psychoanalyze each other until you can't tell a petting party from a civil service exam."
Man kann schon sagen, dass die 55er Fassung etwas gemässigter war in den Dialogen - aber das gleicht sich an anderer Stelle wieder aus. Jedenfalls ist mir die 84er Fassung bislang nicht übermässig flapsig oder unangemessen aufgefallen.
Danke für die ausführliche Antwort! Demnach hast du die 55er-Fassung komplett vorliegen? Haben beide Synchros für dich denn von der Besetzung her Pluspunkte, oder würdest du einer eher den Vorzug geben?
Eine komplette Version der 55er Synchro gibt es nicht mehr - ich habe eine 16mm Kopie der Erstfassung aufgetrieben, die circa 10 Minuten gekürzt ist. Beide Fassungen sind sehr gut meiner Meinung nach - jedoch ziehe ich die 84er Fassung vor, weil ich Ursula Krieg für Stella nicht so passend empfinde. Paul Klinger für Tom Doyle ist aber OK und Siegfried Schürenberg als Gunnison auch. Eleonore Noelle ist sowieso über jeden Zweifel erhaben - hört man ja auch sehr deutlich in "Über den Dächern von Nizza" - Monica Bielenstein gefällt mir aber ebensogut. Wie schon gesagt finde ich die 84er-Fassung rundum gelungen während mir die 55er Kinoversion nicht 100% gefällt (halt gerade die sehr wichtige Rolle der Stella).
Angefügte Bilder:
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@Stefan: Vermutlich kennst du die Erstsynchros von "Das Fenster zum Hof" und "Immer Ärger mit Harry" noch nicht, da du ansonsten (wie beim "Auslandskorrespondent" und "Vertigo") etwas dazu geschrieben hättest. Oder hattest du doch die Gelegenheit?
Nein, hatte ich leider nicht. Allerdings reicht für mich ein Blick auf die Besetzung, um die Vermutung zu treffen, dass sie deutlich besser sein dürften als die Erstfassung von "Vertigo".
Zitat von smeagolEine komplette Version der 55er Synchro gibt es nicht mehr - ich habe eine 16mm Kopie der Erstfassung aufgetrieben, die circa 10 Minuten gekürzt ist.
Es ist fast ein ganzer Akt, der fehlt und zwar die ganze Szene, in der Tom Doyle Lisa kennenlernt und sie und Jeff Doyle von ihren Vermutungen erzählen. Die Kinosynchronfassung setzt recht spät in diesem Akt wieder ein, damit man in der 16mm-Version der Handung noch folgen konnte.